Munitionsspezialist Nammo Munitionsspezialist Nammo: Gut in Schuss

Schönebeck - Dick eingepackt drückt Andreas Schnitzler den Abzug kurz nach hinten. Ein Knall und das Projektil schlägt auf der 50 Meter entfernten Zielscheibe ein.
Die Hülse der Patrone fällt klirrend auf den Boden der Kältekammer. Es sind minus fünf Grad Celsius. Schnitzlers Atem kondensiert in der Luft, während er die nächste Patrone - 2,59 Gramm schwer, Marke Lapua Biathlon Polar - in das Kleinkaliber-Gewehr einlegt. Die Waffe ist in einen Schraubstock eingespannt, so dass sie sich kein bisschen bewegen kann. „Diese Präzision ist entscheidend“, sagt Testschütze Schnitzler und drückt wieder ab.
Spezialisierung auf Sportwaffen
In der Kältekammer der Nammo GmbH geht es um Millimeter. Die Firma aus Schönebeck (Salzlandkreis) stellt Munition her und hat sich auf Sportwaffen spezialisiert. Jedes Jahr verlassen 185 Millionen Patronen das Werk am Ortsrand der Elbestadt. Rund 15 Prozent davon sind für die Paradesportart von Nammo Schönebeck gefertigt: Biathlon.
In der beliebten Wintersportart hat sich das Unternehmen, das zu einem skandinavischen Rüstungskonzern gehört, in den letzten Jahren eine Monopolstellung erarbeitet. Die deutsche Mannschaft um Franziska Hildebrandt aus Köthen (Anhalt-Bitterfeld) benutzt ebenso Geschosse aus Schönebeck wie die Norweger um Alt-Star Ole Einar Björndalen. Und die Erfolge sprechen für sich. Bei den Olympischen Winterspielen im vergangenen Jahr im russischen Sotschi wurden 32 von 33 Medaillen im Biathlon mit Munition der Marke Lapua erschossen. Und auch im finnischen Kontiolahti, wo ab heute die Weltmeisterschaften stattfinden, ist ein ähnliches Ergebnis wahrscheinlich.
Streuung von 1,6 Zentimetern
„Wir beliefern 95 Prozent der Top-Biathleten mit Munition“, sagt Christoph Tolonitz. Der 27-Jährige ist selber Sportschütze, war 2007 Mannschafts-Europameister mit dem Kleinkalibergewehr und trainiert bei der Giebichensteiner Schützengilde in Halle. Bei Nammo leitet der gelernte Büchsenmacher seit 2013 den Sportservice. Tolonitz steht in dem Raum neben der Kältekammer und schaut auf einen Bildschirm. Dort erscheinen nach und nach kleine Punkte auf einer elektronischen Zielscheibe. „Das ist das Trefferbild von den Testschüssen“, erklärt er und fügt an: „Sieht gut aus.“
Die Tradition der Patronenfabrikation geht in Schönebeck (Salzlandkreis) bis in das Jahr 1829 zurück. Damals gründeten die beiden Unternehmer Luis Sellier und Nicolaus Bellot an der Elbe eine Zündhütchenfabrik. Auf dem Gelände von damals befinden sich heute noch die Produktionsstätten der Nammo Schönebeck GmbH. Das traditionsreiche Unternehmen ist damit die älteste noch produzierende Munitionsfabrik Deutschlands.
Bekannt ist es vor allem unter den Namen SK Jagd- und Sportmunition - so hieß der Betrieb nach der Wende - und Lapua - so hieß das Unternehmen, das SK 1992 aufkaufte und mittlerweile im skandinavischen Nammo-Konzern aufgegangen ist. Noch heute wird die produzierte Munition unter diesen beiden Marken geführt. Bei Nammo Schönebeck, wo seit Anfang des Jahres ausschließlich Sportmunition hergestellt wird, arbeiten derzeit 78 Mitarbeiter.
Damit meint Tolonitz nicht das abstrakte Muster, das entstanden ist, sondern die geringe Streuung. Die Einschussstellen der Projektile, die Andreas Schnitzler aus dem eingespannten Testgewehr abgeschossen hat, liegen nur wenige Millimeter auseinander. Diese Genauigkeit ist das wichtigste Kriterium bei Sportmunition. Wenn beim Biathlon im Liegen geschossen wird, haben die Scheiben einen Durchmesser von nur 4,5 Zentimetern. Umso wichtiger ist es, dass die Kugel auch genau zu dem Punkt fliegt, den der Schütze anvisiert hat. Die Trainingsmunition von Nammo streut nur ungefähr 1,6 Zentimeter. Bei der Hochleistungsvariante ist der Unterschied noch geringer.
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Doch das Verkaufsargument speziell für Biathleten ist noch ein anderes: „Unsere Biathlonmunition ist weniger kälteempfindlich als die Patronen anderer Hersteller“, erklärt Tolonitz. Auch bei hohen Minusgraden bleibt die Streuung der bleilegierten Geschosse gering. Im WM-Austragungsort Kontiolahti werden zwar nur Temperaturen um Null Grad erreicht, aber im russischen Chanty-Mansijsk, wo jedes Jahr ein Weltcup stattfindet, können es minus 20 Grad werden.
Mit der einmaligen Entwicklung der Munition ist es für Lapua aber noch nicht getan. „Wir müssen die Patronen jedes Jahr aufs neue abstimmen“, sagt Andreas Schnitzler. Deswegen stehen immer im Sommer die Spitzenteams in Schönebeck Schlange. „Oft kommen Trainer oder Betreuer mit allen Gewehren der Mannschaft vorbei“, erzählt der Testschütze. Nicht selten schauen aber auch die Athleten persönlich vorbei.
Patronen bestimmen die Menge
„Wir nehmen uns dann jedes Gewehr einzeln vor“, sagt Schnitzler. Pro Waffe werden 15 bis 20 verschiedene Lose ausprobiert. Ein Los ist eine Produktionseinheit – also eine bestimmte Anzahl von Patronen, die zur gleichen Zeit unter den gleichen Bedingungen produziert wurde. Nur bei Munition aus einem Los kann garantiert werden, dass die Geschosse auch die gleichen Eigenschaften haben.
Sind die richtigen Patronen gefunden, wird die Menge bestimmt. „Ein Top-Biathlet verschießt pro Jahr bis zu 15.000 Patronen“, sagt Schnitzler. Im Handel kosten 50 Stück Biathlon-Munition rund 18 Euro. Pro Stück sind das 36 Cent. Für Weltcupmannschaften, die große Mengen kaufen, ist der Preis geringer. Allerdings stellt sich für manche Teams eine andere Herausforderung. Weißrussland, die Ukraine und Russland dürfen von Nammo derzeit nicht beliefert werden. „Gegen die Länder gibt es ein Embargo und da wird auch nicht zwischen Biathlon- und Maschinengewehrmunition unterschieden“, erklärt Christoph Tolonitz.
Besuch in der Kältekammer
Bei der Biathlon-WM in Kontiolahti werden trotzdem alle Top-Athleten mit Lapua-Patronen schießen. Auch Tolonitz wird vor Ort sein. „Um unsere Kunden einen optimalen Service zu bieten“, wie er sagt. Und Kunden hat er viele bei der WM. Andreas Schnitzler hingegen bleibt in Schönebeck. „Hier gibt es auch genug zu tun“, sagt er. Jeden Tag kommen Sportschützen zu ihm in die Kältekammer. Man müsse kein Topathlet sein, um bei Nammo zu testen, sagt Schnitzler. Die WM wolle er dennoch verfolgen. „Ich drücke jedem die Daumen, der mit unserer Munition schießt.“ Dauerjubel ist ihm damit gewiss. (mz)
