1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Martin Sonneborn nach "extra 3"-Beitrag: Martin Sonneborn: "Putin ist souveräner als Erdogan"

Martin Sonneborn nach "extra 3"-Beitrag Martin Sonneborn: "Putin ist souveräner als Erdogan"

Von Michael Hesse 02.04.2016, 07:52
EU-Politiker und Satiriker Martin Sonnerborn vor dem Europäischen Parlament in Straßburg.
EU-Politiker und Satiriker Martin Sonnerborn vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. EPA

Richtig bekannt wurde Martin Sonneborn (50) erst als Spitzenkandidat der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die PARTEI), für die er mittlerweile im Europäischen Parlament sitzt. Die Partei gründete er 2004 gemeinsam mit Redakteuren des Satiremagazins Titanic, deren Chefredakteur er bis 2005 war.

Sonneborn versteht sich als Medienguerilla. In der Rolle des Außenreporters war er lange in der ZDF-Satiresendung „heute-show“ zu sehen; das führte sogar zu einigen diplomatischen Verstimmungen, als er auf der Frankfurter Buchmesse 2009, deren Partnerland China war, ahnungslosen chinesischen Schriftstellern Sätze über Menschenrechtsverletzungen in den Mund legte.

Herr Sonneborn, ist eine Reaktion wie die von Recep Tayyip Erdogan hilfreich für Satiriker?

Es ist eine bewundernswerte Reaktion, wie man sie sich besser nicht wünschen kann. Wir haben uns bei Titanic immer gefreut, wenn so etwas passiert ist, wenn uns etwa ein Papst verklagt hat oder Beckenbauer und der DFB millionenschwere Verfahren angedroht haben. Das zeigt ja, dass man ins Schwarze getroffen hat.

Gibt es keine Grenzen, bei denen man sich sagt, jetzt wird es bitterernst?

Nein, also wir haben ja den Auftrag der Titanic-Gründer, die Grenzen der Satire monatlich neu auszuloten, schon deshalb kann es keine festgeschriebene Grenze geben. Als die Mohammed-Karikaturen in Umlauf kamen, und wütende Islamisten randalierten, habe ich in der Redaktion einen Wettbewerb ausgeschrieben: Der erste Redakteur, der eine Fatwa auf sich zieht, bekommt eine Woche Urlaub. Daran wird seit 2005 gearbeitet. Bisher erfolglos, ein Sonderurlaub musste noch nicht gewährt werden.

Warum reagiert Erdogan überhaupt so? Nur, weil der Boss vom Bosporus keinen Spaß versteht?

Ich glaube, Erdogan ist ein Idiot. Ein kranker Mann am Bosporus. Kurz habe ich gedacht, er erinnert mich an Hitler in seinen letzten Tagen im Bunker. Erdogan nimmt die Welt etwas verschwommen wahr und wird von seinen Beratern nicht mehr gewarnt oder gebremst. Vielleicht sind das die letzten Zuckungen eines untergehenden Regimes.

Das wäre ja selbst Wladimir Putin nicht passiert?

Putin? Nein, der ist souveräner. Er hätte höchstens einen Marschflugkörper geschickt.

Eine Art spätorientalische Dekadenz bei Erdogan?

Nein, so würde ich es nicht bezeichnen. Es zeigt eher eine große Verwirrtheit und weltferne Egozentrik. Jeder einigermaßen intelligente Despot weiß doch, dass man auf Späße dieser Art keineswegs reagieren darf. Helmut Kohl und Merkel zum Beispiel haben nie auf Satire reagiert, und sie hätten weiß Gott gute Gründe gehabt. „Extra 3“ hat ein älteres Publikum, die hätten sicher auch kommentarlos hingenommen, was sie da gesehen haben, wenn Erdogan das nicht so befeuert hätte.

Also müssen wir Erdogan doch dankbar sein?

Schön ist natürlich, dass es nun Diskussionen über Satire gibt. Aber das sind ja lustige Wellenbewegungen. Nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo hat sich die große Mehrzahl der Medien und Politiker schützend vor die Satire geworfen. Drei Tage später hatte man in den Medien schon wieder Schwierigkeiten, etwas aggressivere Satire zu platzieren. Was diese Schwierigkeiten angeht, ist es übrigens bezeichnend, dass jetzt in der ZDF-Mediathek jenes „Schmähkritik“ genannte Gedicht von Jan Böhmermann gelöscht wurde, das er in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ vorgetragen hatte und in dem er sich vergleichsweise harmlos mit Erdogan beschäftigte.

In der Politik ist man aber auch nicht besonders mutig.

Peinlich ist, wie die Bundesregierung sich verhält. Dass sie versucht, die ganze Erdogan-Geschichte herunterzuspielen, anstatt sich unmissverständlich und öffentlich zu äußern, ist tatsächlich nicht gerade ermutigend.

Wie hätte die Bundesregierung reagieren sollen?

Ich hätte zumindest nicht versucht, die absurde Einbestellung des deutschen Botschafters zu vertuschen. Die Bundesregierung hätte klar sagen sollen, es gibt hier Grenzen, Freund Türke. Auch und gerade, weil sich Erdogan in Europa zur Zeit unfassbar aufspielt.

„Ich hätte den Türken den Krieg erklärt“

Was hätten Sie als deutscher Botschafter im türkischen Außenamt gesagt?

Oh, das weiß ich nicht. Ich hätte vermutlich ein wenig vor mich hin genuschelt, wäre sehr höflich gewesen und hätte zugesehen, dass ich da möglichst schnell wieder rauskomme. Was soll man auch sagen in den Kreisen Erdogans? Die Türkei gehört eben nicht zum Kulturkreis Europas. Und solange ich im Europa-Parlament sitze, wird die Türkei deswegen auch nicht in die EU aufgenommen. Ich arbeite gerade an einer Umgestaltung der EU, an einem Kern-Europa mit 27 Satellitenstaaten. Da ist kein Platz für so ein Regime.

Die Mehrheiten haben Sie für dieses neue Europa allerdings noch nicht stehen?

Nein, leider nicht. Aber es arbeiten jetzt sehr viele Seiten daran mit. Wir unterstützen auch den bevorstehenden Brexit und planen gerade, mit 50 Leuten in Parteianzügen drei Tage vor der Abstimmung in England zu landen und den Briten zu befehlen, in der EU zu bleiben. Das Unternehmen heißt „German Day“, kurz: G-Day. Ich glaube, das wird dann das Zünglein an der Waage spielen und helfen, die Briten rauszukanten.

Ist die böse Ironie das richtige Mittel gegen Autokraten?

Das kann man sicherlich unterschiedlich bewerten. Ich sehe es als gutes Mittel. Die Köpfe, die sich in Deutschland satirisch betätigen, tun das ja nicht nur, um ihre Hefte oder Sendungen zu füllen. Satire ist eine Art Notwehr, die es erleichtert, mit dem Irrsinn, der uns in diesem wahnwitzigen kapitalistischen System umgibt, zurechtzukommen. Wir kritisieren Dinge, die uns belästigen oder bedrohen, und die sind mit einem guten Witz einfach besser zu ertragen.

Für wen ist es entblößend? Nur für Erdogan oder für die deutsche Seite, die auf ihn in der Flüchtlingskrise setzt?

Es ist für beide Seiten entblößend. Es ist der unverzeihliche Fehler eines alternden Diktators, sich auf diese Weise mit einer Kunstform auseinanderzusetzen, die er nicht verstehen kann. Und auf deutscher Seite ist es eigentlich sogar geschickt, alles unter der Decke zu halten. Dämlich ist es nur, wenn man damit auffliegt. Aber zumindest ist der Unterhaltungswert der Bundespressekonferenz deutlich gestiegen, in diesem Herummäandern und den hilflosen Versuchen, sich aus der Affäre zu ziehen, ohne zu erklären, dass der deutsche Botschafter einbestellt wurde. Ich an Merkels Stelle hätte dem Türken daraufhin übrigens den Krieg erklärt.

Kann ja noch kommen. Sie sitzen ja im Europa-Parlament. Gibt es denn auf Seiten der EU den nötigen Humor?

Zumindest die Verwaltung hier hat Humor. Sie haben Udo Vogt, den NPD-Vertreter, einem Fraktionslosen – wir sind als solche der Abschaum des Parlaments und haben Plätze zwischen 780 und 800  – den Sitzplatz mit der Nummer 788 zugewiesen. 88 steht bei unseren völkischen Freunden für „HH“. Unter den Abgeordneten ist der Humor dagegen leider nicht sehr ausgeprägt.

Auch auf deutscher Seite und bei der Kirche gibt es Grenzen des Humors?

Für viele Randgruppen, besonders für die Kirche, gibt es recht enge Humorgrenzen. Für Satiriker sollte es natürlich keine geben. Aber wahrscheinlich ist Titanic das einzige Medium, das keine von außen gesetzten Grenzen kennt. Und so soll es auch sein.

Das Gespräch führte Michael Hesse.