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Manuela Schwesig im Interview Manuela Schwesig im Interview: "Väter sind keine Mütter zweiter Klasse"

Von Melanie Reinsch 27.07.2016, 09:58
Familienministerin Manuela Schwesig.
Familienministerin Manuela Schwesig. Paulus Ponizak

Berlin - Einen Tag vor ihrem Urlaub sitzt Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) in ihrem kühlen Büro im Familienministerium, während es draußen brütend warm ist. Sie trinkt einen Latte Macchiato, vor ihr liegen Marzipanherzen.

Frau Schwesig, München, Würzburg, Ansbach - kann man nach den Ereignissen der letzten Tage noch beruhigt Kinder in Deutschland in die Welt setzen und großziehen? 

Ja, unbedingt. Wir stehen zwar alle unter dem Eindruck der Gewalttaten der letzten Tage, diese bestimmen im Moment das Lebensgefühl vieler Menschen in Deutschland.

Ich habe selbst vor vier Monaten eine Tochter geboren, und bin froh, dass meine Kinder in einem Land leben, das friedlich, sicher und demokratisch ist - im Vergleich zu so vielen Regionen auf der Welt. Auch wenn wir im Moment diese schlimmen Taten erleben, dürfen wir unsere Zuversicht nicht verlieren. Ich bin überzeugt davon, dass Kinder in unserem Land eine gute und sichere Zukunft haben.

Wie erklären Sie Ihrem neunjährigen Sohn Julian, was gerade in der Welt passiert?

Das ist in den letzten Tagen schwieriger geworden. Nach dem Amoklauf in München haben wir am Frühstückstisch darüber gesprochen. Da hat mein Sohn mich gefragt: „Mama, warum macht jemand so etwas?“  Niemand hat darauf eine einfache Antwort. Aber wir reden darüber. Das ist wichtig, denn die Kinder bekommen das mit. Diese Ereignisse totzuschweigen wäre nicht gut. Ich beobachte bei meinem Sohn und auch bei anderen Kindern, dass sie ein hohes Maß an Humanität und Empathie besitzen. Umso wichtiger ist es, die Geschehnisse einzuordnen.

Nach dem Amoklauf in München findet jetzt auch wieder eine Debatte über die sogenannten Ego-Shooter-Computerspiele statt. Auch der Täter David S. spielte diese gewaltverherrlichenden Killerspiele. Was denken Sie darüber?

Ich bin keine Freundin von diesen „Killerspielen“. Wer aber jetzt sofort ein Verbot dieser Spiele fordert, der stellt damit Millionen anderer Spieler unter Generalverdacht. Nicht jeder Spieler wird gleich zu einem Amokläufer – allerdings haben Amoktäter solche Spiele gespielt.

Über die Wirkung dieser Spiele zu diskutieren halte ich für richtig – allerdings nicht ein Verbot dieser Spiele. Wir sollten jetzt besonnen reagieren - und nicht mit politischen Schnellschüssen.

Gewalt, Amoklauf, Killerspiele – fast vergisst man es, dass Sommer ist, Ferienzeit.  Müssten Sie jetzt nicht eigentlich mit Ihren Kindern am Badesee oder im Urlaub sein?

Mein Sohn ist jetzt schon bei seinen Großeltern am Badesee in Mecklenburg-Vorpommern. Ab nächster Woche geht es dann auch für uns in den Urlaub.

Der Mann bleibt Daheim

Klappt es mit der Vereinbarkeit zwischen Beruf und Privatleben so wie Sie es sich vorgestellt haben?

Es klappt, aber es ist ein Spagat, den eben sehr viele Familien erleben. Auch ich bin auf eine Schule mit Hortplatz für meinen Sohn angewiesen. Mein Mann ist jetzt in Elternzeit, nur so können wir Beruf und Familie so vereinbaren, dass beide für die Kinder da sind. Ich versuche, einmal in der Woche einen Homeoffice-Tag einzulegen, damit auch mein Mann den Kontakt zur Firma nicht verliert. Ich vermisse meine Familie, wenn ich in Berlin bin. Und gleichzeitig sehe ich mich gerade in Zeiten wie diesen in der Pflicht, den einen oder anderen Termin mehr zu machen.

Ihr Mann nimmt Elternzeit. Das ist zwar nicht mehr unüblich, aber längst noch nicht gesellschaftlich anerkannt. Wird Ihr Mann schief angesehen, weil er ein Jahr lang seinen Beruf  nicht ausübt?

Das hat zunächst keine Begeisterungsstürme in seinem Unternehmen ausgelöst. Zwischenzeitlich sind die Reaktionen durchweg positiv. Es ist wichtig, dass es Väter gibt, die klar machen, dass sie auch Zeit mit ihrer Familie verbringen möchten.

Väter haben es immer noch schwer, das durchzusetzen.  Das ist noch lange nicht selbstverständlich.  Es gibt aber immer mehr junge Väter, die es eben anders machen wollen als ihre eigenen Väter. Ihnen reicht der Gute-Nacht-Kuss am Abend nicht. Moderne Familienpolitik muss den Fokus auf Mütter und Väter legen. Väter sind keine Mütter zweiter Klasse. Ich kenne kein Unternehmen, das Pleite gegangen ist, weil  Väter in Elternzeit gegangen sind.

Stellen Sie sich manchmal die Frage, was noch für Sie selbst übrig bleibt?

Ja, aber die Zeit mit Kindern geht so schnell vorbei. Die Zeit, in der ich auf der Terrasse Bücher lesen kann, kommt wieder. Ich bin sehr froh, dass ich eine Familie habe und einen Beruf. Und ich finde, man darf sein Glück auch nicht überfordern.

Wollen Sie als Familienministerin Vorbild sein und zeigen, wie  die Vereinbarkeit zwischen Karriere und Beruf funktionieren kann?

Für mich war immer klar, dass ich Kinder will - und einen Job haben möchte. Das haben wir natürlich privat entschieden und nicht, weil wir ein Vorbild sein wollen. Das, was ich politisch vertrete, will ich natürlich auch selbst leben. Alles andere wäre unglaubwürdig. Das ist auch das, was immer mehr junge Paare wollen. Es muss die Vereinbarkeit geben, aber es muss auch Zeit für die Familie da sein. Das ist auch der Ansatz der Familienarbeitszeit und des Familiengeldes.

Schwesig will das Familiengeld durchdrücken

Sie wollen ein Familiengeld einführen. 300 Euro pro Kind und Monat, wenn beide Elternteile ihre Wochenarbeitszeit auf 28 bis 36 Stunden heruntersetzen. Mit einem ähnlichen Modell sind Sie 2014 vor Ihrem Koalitionspartner schon einmal gescheitert. Wie wollen Sie die Union dieses Mal überzeugen?

Ich sehe das nicht als Scheitern an, wenn die Union meine Vorschläge nicht sofort umsetzt. Ich würde die Idee des Familiengeldes gern noch in dieser Legislatur umsetzen und habe einen Vorschlag gemacht. Wenn die Union es auch ernst meint, dass Familien mehr Zeit füreinander haben sollen, dann kann sie den Vorschlag gar nicht lange blockieren.

Schon jetzt gibt es mächtig Gegenwind für die Idee: Zu eng sei das Stundenkorsett, zu unflexibel und realitätsfern, sagt die Union.  Warum setzen Sie dieses enge Stundenfenster?

Das ist nur eine Ausrede, um das Modell abzulehnen.  Wir müssen ein Fenster  vorgeben.  Denn Frauen, die nur 15 oder zehn  Stunden arbeiten, können auf Dauer nicht ihre Rente und ihr Einkommen sichern. Nur ein Drittel der Frauen, die berufstätig sind und Kinder bis zu einem Alter von vier Jahren haben, können mit ihrem Einkommen ihre Existenz sichern - bei den Männern schaffen das 83 Prozent. So kann es nicht bleiben.

Kann das  Familiengeld auch die Unterschiede in der Bezahlung von Frauen und Männern verringern? Immer noch verdienen Frauen in Deutschland 21 Prozent weniger als Männer.

Ja, das ist eine Antwort darauf. Aber ich möchte auch mit einem Lohngerechtigkeitsgesetz ein Auskunftsrecht, für möglichst viele Frauen schaffen, damit sie erfahren können: Warum verdiene ich soviel wie ich verdiene? Wie sind die Kriterien? Und wie bin ich im Vergleich zu anderen Kollegen eingestuft.  Hier geht es um Transparenz.

Das Lohngerechtigkeitsgesetz steht ganz oben auf Ihrer Agenda.  Sie wollen, dass diese Auskunftsregelung für möglichst viele Mitarbeiter gilt, die Union möchte nur Betriebe ab 500 Mitarbeiter verpflichten. Das Gesetz stockt, Ihre Partei wirft der Union Blockadehaltung vor.

Wenn wir das begrenzen, erreichen wir nur wenige. Deshalb halte ich eine  Begrenzung für falsch. Dann würden wir nur 20 Prozent der Frauen erreichen. Hier zeigen sich wieder die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen innerhalb der Koalition. Ich setzte mich für die Interessen der Familien, der Frauen und Männer ein – und die Union hat nur die Interessen der Wirtschaft im Blick. Aktuell stehen wir mitten in den Verhandlungen.

Warum reden wir in Deutschland überhaupt so ungern über das, was wir verdienen? In Skandinavien wäre diese Auskunftspflicht beispielsweise überhaupt kein Problem…

Sie haben Recht. Dort gibt es ein Auskunftsersuchen schon längst. Wir wissen auch, dass das dazu geführt hat, dass Frauen danach besser bezahlt wurden. Und das ist auch die große Angst der Gegner. In Deutschland ist das Reden über Geld ein großes Tabu. Darum gibt es auch so einen großen Streit.

Kritisiert wird außerdem, dass sich die Unternehmen alle drei bis fünf Jahre einer detaillierten Überprüfung unterziehen müssten, um Lohnungleichheiten aufzudecken. Zu viel Aufwand für kleine Betriebe, kritisiert Ihr Koalitionspartner.

Zuviel Aufwand ist immer eine typische Ausrede, wenn es um die Rechte von Frauen geht. Dann ist plötzlich immer alles zu bürokratisch. Diese Überprüfung soll gar nicht für kleine Betriebe gelten. Wenn alles in Ordnung ist bei den Unternehmen, muss auch keiner Angst haben.

Bei diesen verhärteten Fronten klingt es aber nicht danach, als ob ein entsprechendes Gesetz noch in dieser Legislatur kommt…

Ich habe immer gesagt, dass dieses Gesetz das schwerste Gesetz wird, weil es an einem der letzten großen Tabus unserer Gesellschaft rüttelt – und weil es um Geld geht. Das ist auch eine Machtfrage. Ein Jahr ist genug Zeit, um ein solches Problem anzugehen.

Wird die Frage der Kanzlerkandidatur innerhalb der SPD auch mal eine Frage sein, die nicht nur unter Männern ausgetragen wird?

Ich bin sicher, dass die Frauen in der Spitze bei dem Thema „Kanzlerkandidatur“ ein Wörtchen mitreden werden. Aber auch hier sage ich: Das ist ein Thema, das wir im Wahljahr 2017 entscheiden.

Familienministerin Manuela Schwesig.
Familienministerin Manuela Schwesig.
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