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Madeleine Albright im Interview Madeleine Albright: "Donald Trump untergräbt Presse und Justiz er verachtet Minderheiten"

Von Michael Hesse 17.07.2018, 13:22
Donald Trump bei seinem Treffen mit Wladimir Putin
Donald Trump bei seinem Treffen mit Wladimir Putin AFP

Die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright spricht im Interview über faschistische Anzeichen in westlichen Demokratien, die fließenden Übergänge, die Hilflosigkeit der Politik und ihr Buch, das eine Warnung sein soll.

Madeleine Albright, Sie haben den europäischen Faschismus als Kind erlebt und zählten zu seinen Opfern. Sie haben ein sehr persönliches Buch über einen möglichen neuen Faschismus geschrieben. Wie sehr verstört Sie diese Gefahr angesichts Ihrer Vergangenheit?

Madeleine Albright: Ich bin nicht verzweifelt. Die Menschen fragen mich immer wieder: Sind Sie Optimistin oder Pessimistin. Ich sage dann: Eine Optimistin, die sehr besorgt ist. Das Buch habe ich auch aufgrund meiner eigenen Geschichte geschrieben, aber nicht allein aus diesem Grund. Auch meine Tätigkeiten als UN-Botschafterin der USA und als Außenministerin, die Länder, die ich besucht habe und deren Geschichte und Politik ich verfolgte, waren Gründe, dieses Buch zu schreiben.

Madeleine K. Albright, geboren 1937 in Prag, war unter US-Präsident Bill Clinton (1993 bis 2001) die erste Außenministerin der USA. Ihre Familie emigrierte erst von Prag nach London und später in die USA. Von 1978 bis 1981 war sie Mitglied des US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsrats und ab 1993 US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen. Seitdem ist sie als Universitätsdozentin tätig und leitet eine Consulting-Firma in Washington.   

Warum haben Sie ihm den Titel „Faschismus. Eine Warnung“ gegeben?

Weil es den Weg zum Faschismus auch in Ländern geben kann, die demokratische Systeme haben. Aber zugleich auch eine Bevölkerung, die daran interessiert ist, was vor sich geht. Hierbei soll sie das Buch unterstützen. In den USA ist das Buch bereits erschienen, und das Interesse der Menschen war groß. Mir ist es wichtig, eine intelligente Diskussion über die Anzeichen des Faschismus zu führen. Denn besorgniserregend ist, dass er Schritt für Schritt kommt und deshalb in vielerlei Hinsicht unbemerkt bleibt. Bis es dann zu spät ist.

Sie starten Ihr Buch mit einem Zitat von Primo Levi: Jedes Land hat seinen eigenen Faschismus. Heißt das: Erwartet nicht, dass der heutige Faschismus genauso aussieht wie der von Hitler und Mussolini?

Jeder Faschismus ist ein bisschen anders, genauso wie sich die Epochen unterscheiden. Was wir heute vor Augen haben, ist nicht das Dritte Reich. Wenn wir uns seine Charakteristika ansehen, ohne davon auszugehen, dass alles immer gleich ist, lassen sich gewisse Aspekte des Faschismus erkennen, vor denen man warnen muss. Allerdings war es der schwierigste Teil des Buches, genaue Definitionen zu finden, eben weil es Unterschiede gibt. Ich habe deshalb den historischen Ansatz mit einer Gegenwartsanalyse kombiniert, weil ich die Wege aufzeigen wollte, wie der Faschismus ganz verschiedene Gesellschaften durchdrungen hat. Als ich Mussolini und Hitler im Zuge meiner Forschungen verglich, war ich in gewisser Weise geschockt.

Was meinen Sie konkret?

Beiden wurde verfassungsgemäß die Macht übertragen, Mussolini in Italien durch König Emmanuel, Hitler durch Reichspräsident Hindenburg. Alle anderen, über die ich schreibe, die Kommunisten einmal ausgenommen, sind gewählt worden. Das war ein Bestandteil ihres Aufstiegs.

Das bedeutet, einen Schritt nach dem anderen innerhalb eines Systems zu machen?

Mussolini sagte einmal, wenn wir beim Hühnchen-Rupfen eine Feder nach der anderen ausreißen, ist der Lärm insgesamt nicht so groß. Man hört nur kleine Schreie. Das ist es, worüber ich schreibe. Der Faschismus wirkt innerhalb eines Systems. Seine Anhänger untergraben die Demokratie und die demokratischen Institutionen, verunglimpfen die Presse und machen die Fremden oder Migranten als Schuldige für die jeweilige schlechte wirtschaftliche Situation aus. Man setzt auf den Angstfaktor, nicht auf den Hoffnungsfaktor. Und ein Schritt führt hier zum anderen.

Die Frage ist ja, warum so viele Wähler für die Populisten stimmen. Liegt es daran, dass sie zornig sind, weil sie sich als Verlierer fühlen?

Wir befinden uns in einer Zeit, die von einem sehr schnellen technologischen Wandel geprägt ist. In vielen Ländern hat das zu einer hohen Arbeitslosigkeit geführt. Die vernachlässigten Bildungssysteme befähigen die Menschen nicht mehr dazu, mit der Technologie Schritt zu halten. Zudem werden durch die neuen Technologien Informationen weitergegeben, ohne dass man sichergehen kann, dass diese auch wirklich wahr sind. Das ist ein großes Problem.

Sie meinen Fake News?

Ja. Es ist eine Tatsache, dass viele mittlerweile ihre Informationen über die sozialen Netzwerke beziehen, in denen die Menschen nur die Dinge aufnehmen, mit denen sie ohnehin einverstanden sind. Es wird in den USA noch dadurch verschärft, dass US-Präsident Donald Trump die Presse als Feind des Volkes darstellt. Aber es gibt auch Menschen, die wütend sind, weil sich im Zuge des Klimawandels die Lebensbedingungen in den Ländern verändern und die demokratischen Kräfte aus ihrer Sicht nicht schnell genug darauf reagieren. Das ist eine ganze Reihe von Aspekten, die mich nervös machen.

Die politischen Kräfte reagieren nicht richtig auf den Wandel?

Man könnte vielleicht sagen, dass die Menschen ihre Informationen aus dem 21. Jahrhundert bekommen und die Regierungen Antworten aus dem 19. Jahrhundert geben. Sie reagieren nicht ausreichend auf die Spaltungen in der Gesellschaft, die dann von anderen ausgenutzt und sogar noch verschärft werden, indem sie nach Sündenböcken suchen. Diese Rolle versucht man den Einwanderern zuzuschieben.

Warum Amerika unter Donald Trump ein zerrissenes Land ist

Ist es eine Gefahr, dass wir die Demokratie einfach für eine Selbstverständlichkeit halten?

Das ist eine sehr große Gefahr. Deshalb versuche ich zu zeigen, wie schnell Menschen mit faschistischem Gedankengut um sich werfen, obwohl keiner von ihnen sagen würde, er sei mit Faschisten einer Meinung. Dass so etwas möglich ist, liegt eben daran, dass man der Charakteristik des Faschismus nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt.

Amerika scheint ein zerrissenes Land zu sein. Ist die Ungleichheit in Vermögen und Einkommen das große Problem?

Es gibt die Ein-Prozent-Gruppe, die über sehr viel Geld verfügt und ein elitäres Leben führt. Über das ganze Land zerstreut gibt es aber Menschen, die spüren, dass ihnen Zugang und Möglichkeiten für den Aufstieg fehlen. Die USA hatten immer den amerikanischen Traum, dass jeder die Chance habe, einmal ein besseres Leben zu leben. Doch nun glauben die Eltern zum ersten Mal nicht mehr, dass ihre Kinder ein besseres Leben werden führen können. Und das, obwohl die Eltern ihrerseits bereits in einer schwierigen Zeit leben. Das ist, wie gesagt, eine Folge der neuen Technologien und eines Bildungssystems, das die Menschen nicht mehr in die Lage versetzt, sich Arbeitsplätze in einer hoch technologisierten Gesellschaft zu sichern.

Hat US-Präsident Donald Trump die politischen Instinkte eines autoritären Führers wie Mussolini?

Er ist der antidemokratischste Präsident, den wir in der modernen Geschichte hatten. Seine Instinkte gehen wirklich in diese Richtung. Ich habe ihn aber nie explizit einen Faschisten genannt und denke auch nicht, dass er einer ist. Er macht vieles, das alles nur noch verschlimmert. Er untergräbt die Justiz und die Presse. Er verachtet den Wahlprozess und Minderheiten. Er ist daran interessiert, Spaltungen zu verschärfen. Aus diesen Gründen bin ich sehr besorgt. Es gibt in den USA den Satz des Heimatschutzes: Wenn du etwas beobachtest, sag etwas. Und ich sehe einige Dinge. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir nicht nur etwas sagen sollten, sondern auch etwas dagegen tun müssen.

Wie beurteilen Sie als Ex-Außenministerin Trumps internationale Politik?

Er hat das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt, eine der gefährlichsten und dümmsten Entscheidungen, die man treffen konnte. Es liegt dem ein Verständnismangel zugrunde, wie Verhandlungen und Verträge wirklich zustande kommen. Das hat nun zur Folge, dass Irans Fähigkeiten auf dem nuklearen Feld keine Schranken mehr gesetzt werden. Ich glaube, Trump hat einfach nicht verstanden, was er da getan hat. Ich habe immer geglaubt, dass die Werte und das demokratische System der Vereinigten Staaten ein Vorbild für andere Länder sind.

Das scheint vorbei zu sein.

Die USA verhalten sich genau spiegelverkehrt zu dem, was von ihnen erwartet wird. Und das ist das Problem. Amerika wurde als ein Land angesehen, das hinter demokratischen Prinzipien und Menschenrechten stand, die USA waren nicht für Folter, man stand nicht auf der Seite derer, die die demokratischen Gesellschaften untergraben. Der Stuhl des Führers der freien Welt ist leer. Leider. Trump unterstützt und lobt Menschen wie Orbán in Ungarn oder Kaczynski in Polen.

Staaten in Osteuropa, die immer autoritärer werden.

Und das besorgt mich sehr und macht mich ungeheuer nervös. Viktor Orbán spricht von einer illiberalen Demokratie, was im Grunde genommen nur ein Weg ist, Einwanderer jagen zu können. Leider ist Polen eine Art Imitat dessen, was sich zuvor in Ungarn entwickelt hat. In Europa setzen immer mehr Staaten auf den Angstfaktor. Es sind harte Zeiten. Politiker wie in Ungarn und Polen sind viel mehr an ihrer Macht interessiert als an dem Wohlergehen ihrer eigenen Leute.

Wie schätzen Sie Wladimir Putin ein?

Man sollte niemals vergessen, dass er ein KGB-Offizier gewesen ist. Er ist in Propaganda sehr geschult. Und er ist klug. Als ich ihn 2000 traf, wirkte er sehr smart. Er hat die Abwesenheit der USA in verschiedenen Regionen für Russland ausgenutzt, so etwa im Nahen Osten. Er weiß, wie man moderne Technologien nutzt, er hat sich mit Informationsdiensten bewaffnet. Und was er versucht, ist, Europa von den USA zu trennen. Er spielt sein Spiel sehr gut.

Ist er ein Faschist?

Er hat gewiss größere faschistische Tendenzen als viele andere. Aber das einzige Land, das ich für wirklich faschistisch halte, ist Nordkorea. Russland ist dennoch gefährlich. Ganz oben auf Putins Agenda steht, sein Land wieder groß zu machen. Es versucht, die USA von ihren Freunden und Verbündeten zu separieren, Einfluss auf Wahlen zu nehmen.

Was wir lernen ist, dass Geschichte kein Pfeil ist, der immer nur vorwärts fliegt?

Ich denke, dass sich die Dinge verbessern. Aber eben nicht immer. Ich glaube nicht, dass das Dritte Reich zurückkehrt. Nichts ist exakt das gleiche. Wir müssen gewarnt sein, und nur so können wir etwas tun. Wir müssen aufpassen.