Madagaskar Madagaskar: Westliche Adoptiveltern entdecken «entsorgte» Zwillinge
Mananjary/dpa. - Im Osten Madagaskars haben Zwillinge geringerÜberlebenschancen. Ein Fluch hängt dort über Kindern, die gemeinsam auf die Welt gekommen sind. Vor allem beim Stamm der Antanambahoakagibt es die alte Überlieferung, dass Zwillinge als Unheilsbringersofort abgelehnt werden müssen; daher wurden viele von ihnen getötetoder ausgesetzt», sagt Julie Rasoarimanana. Die Madegassin leitet imKüstenort Mananjary das «Aufnahme- und Transitzentrum für verlasseneZwillinge» (CATJA). Es gilt als weltweit einzigartige Institution,die seit ihrer Gründung 1987 schon mehr als 440 Zwillinge bei sichaufgenommen und an Adoptiveltern vermittelt hat.
Zwillinge sind in der Region mit einem «Fady» belegt - aufMadagaskar weit verbreiteten Tabus, die sich auf Überlieferungenstützen. Im Falle der Antanambahoaka und eines Nachbarstamms geht esauf eine Legende zurück, wonach ein Häuptling auf der Flucht vorAngreifern eines seiner Zwillingskinder zurückgelassen hatte. Als eres retten wollte, wurde er getötet - ein böses Omen. Seitdem habenZwillinge einen schweren Stand: Sie gelten als Boten des Unheils.
Viele Eltern trennen sich von den unerwünschten Zwillinge schondirekt nach der Geburt. «Die machen sich nicht einmal die Mühe, dieKleinen einzukleiden, geschweige denn, sie zu stillen», sagt Julie.Häufig sind es Verwandte der Familie, die das Kind abliefern. DieKleinen müssen oft erst einmal aufgepäppelt werden, wenn sie nachtagelangen Reisen über unwegsame Pisten völlig geschwächt in demHeim eintreffen. Da es vom Staat keine finanzielle Unterstützunggibt, werden die Kinder umgehend zur Adoption freigegeben.
«Zur Zeit haben wir etwa 60 Kinder hier. Das sind neben denälteren, schwer vermittelbaren Kindern aber auch Waisen undBehinderte», sagt CATJA-Koordinatorin Rasoarimanana. Seit sich dieInstitution als Anlaufstelle für unerwünschte Kinder etablierthat, ist die Zahl der bekannt gewordenen Tötungen drastisch gesunken.
Schwierigkeiten, die Kleinen zu vermitteln, kennt die Einrichtungnicht. Aus Frankreich, Norwegen, Kanada, der Schweiz und Afrika gibtes Anfragen potenzieller Adoptiveltern. «Für kinderlose Familien sindzwei gleichaltrige Kinder auf einmal eben praktischer», erklärt sichdie Madegassin das große Interesse. Prinzipiell gilt: Je kleiner dieKinder, umso schneller finden sie neue Eltern. Und: Zwillinge werdenimmer gemeinsam in neue Familien vermittelt.
Potenzielle Adoptiveltern müssen durch ein Prüfungsverfahren desMinisteriums, aber vor allem einer Anforderung genügen: sie müssenlegal verheiratet sein und dürfen nicht mehr als maximal drei Kinderadoptieren. Einzige Ausnahme sind zwei Zwillingspaare. Zwei Monatedauerte der Adoptionsprozess früher, heute ist es ein Jahr. AuchMadonna müsste sich bei Interesse diesen Gesetzen unterwerfen, meintdie Heimleiterin. Sie selbst hat mütterlicherseits Vorfahren vomgleichen Stamm. Auch sie glaubte einst an den Fluch - bis sie ihrenmittlerweile verstorbenen Ehemann Auguste traf, der CATJA gründete.
Auguste war Prediger und überzeugte seine Frau. Allerdings bliebenauch bei ihr letzte Zweifel. Als ihre Mutter erneut schwanger wurdeund einen ungewöhnlich dicken Schwangerschaftsbauch hatte, brach beiihr der Angstschweiß aus. «Ich war erleichtert, als es dann doch nurein Bruder war», gibt sie heute zu.