Kuba Kuba: Auf den Spuren von Che Guevara im Karibik-Staat

Havanna/dpa. - Es ist heiß in Havanna. Norberto Collado Abreusteht mit durchgedrücktem Kreuz in der Nachmittagssonne. Das Redenüberlässt er üblicherweise Fidel Castro. Doch jetzt soll er vorjungen Soldaten der kubanischen Marine sprechen. Der hagere 85-Jährige mit seiner schlichten blauen Uniform und den drei Sternen aufden Epauletten sieht nicht aus wie ein Held, aber für viele Kubanerist er einer: Er war der Kapitän, der die «Granma» steuerte, dielegendäre Yacht, mit der Castro und Che Guevara mit ihren Kämpfern imDezember 1956 aus dem mexikanischen Exil zurück nach Kuba kamen, umihren Guerilla-Kampf gegen das Batista-Regime zu führen.
Die Marinesoldaten vor dem Museum der Revolution hängen an seinenLippen. Und kaum hat er aufgehört zu sprechen, da tost der Applaus.Der Veteran der Revolution braucht nicht viele Worte, um sich Respektzu verschaffen, vielleicht, weil zu spüren ist, dass er immer nochfest an die Revolution glaubt. «Fidel Castro brauchte Matrosen,deshalb ging ich zu ihm», erzählt er mit ruhiger Stimme, sobeiläufig, als sei die Beteiligung an dem Himmelfahrtskommando nurein Karibiksegeltörn von vielen gewesen.
«Wir haben heimlich Schießübungen gemacht, um uns vorzubereiten.82 Männer waren wir, als wir gestartet sind.» Die «Granma» landete anKubas Südostküste - doch die Aktion war längst verraten worden.Batistas Luftwaffe griff die Guerilleros an und tötete viele vonihnen. «Wir haben uns in den Zuckerrohrfeldern versteckt», sagtNorberto Collado. Am Ende der Kämpfe hatten nur 12 Guerillerosüberlebt - darunter Castro und Che Guevara.
Lange ist das her, die Revolution ist Geschichte - und für vieleBesucher Kubas inzwischen ein Sightseeing-Programm, das auch überdeutsche Reiseveranstalter gebucht werden kann. Statt am Strand inVaradero zu liegen, touren die Urlauber dann nicht auf den Spuren«Papa» Hemingways, sondern auf denen der Revolution. Gerade vonoffizieller Seite wird sie umso hartnäckiger beschworen, jeernüchternder sich der Alltag in dem kommunistischen Karibik-Staatzeigt, in dem Stromausfälle keine Seltenheit sind, privateInternetzugänge dagegen verboten.
Autos Marke Lada gehören noch zu den moderneren Fahrzeugen aufKubas Straßen, unter zahlreichen betagten amerikanischen Modellen,die noch ein paar Jahrzehnte mehr hinter sich haben. Das offizielleDurchschnittseinkommen liegt bei nicht einmal 15 Euro im Monat. Undobwohl Menschenrechtler Entwicklungen zum Besseren sehen, zog AmnestyInternational auch im «Jahresbericht 2005» eine nicht wirklicheuphorische Bilanz: Regierungskritiker und ihre Angehörigen werdennach Einschätzung der Organisation nach wie vor bedroht unddrangsaliert.
An die glorreiche Vergangenheit zu erinnern, erscheint da nurkonsequent. Das Museum der Revolution ist seit Mitte der 70er Jahreim ehemaligen Präsidentenpalast untergebracht; 21 Präsidentenresidierten dort in der Vor-Castro-Ära. 1957 haben Studentenversucht, den Palast zu stürmen und Batista zu ermorden. Im Marmor anden Wänden des Treppenhauses sind noch Einschusslöcher zu sehen.
«Es waren 50 Männer, die damals dabei waren», erzählt Elio PenaMartinez. «24 davon wurden erschossen, 5 schafften es bis zumSpiegelsaal.» In einem Zimmer dahinter soll Batista gesessen undKaffee getrunken haben. «Die Revolutionäre haben eine Handgranategeworfen und zwei Leibwächter getötet», sagt der kleine grauhaarigeMann mit der großen Brille, der Besucher durch das Museum führt.«Doch als die fünf in Batistas Arbeitszimmer kamen, war erverschwunden.» Erst nach der Revolution wurde die geheime Treppeentdeckt, über die der Diktator entkommen konnte.
Nachdem Batista Anfang 1959 endgültig in die DominikanischeRepublik und später nach Spanien geflohen war, nutzte Castro dessenArbeitszimmer: «Am Anfang der Revolution wurden alle Gesetze hierunterzeichnet», sagt Elio Pena. Der Schreibtisch, an dem Castro undChe Guevara zusammen gesessen haben, ist noch immer zu sehen. Dortwurde auch die Urkunde unterzeichnet, die den in Argentiniengeborenen Che erst zum kubanischen Staatsbürger machte.
Und es sind nur wenige Meter zu einem zweiten Schreibtisch, an demGeschichte geschrieben wurde, Weltgeschichte sogar: Hier tagte derMinisterrat während der Kubakrise 1962, als auf Befehl dessowjetischen Staats- und Parteichefs Nikita Chruschtschow Atomwaffennach Kuba gebracht wurden. «Kuba rechnete mit einem Angriff der USA»,sagt Elio Pena, der damals 21 war und sich noch gut an die Stimmungin den Tagen erinnern kann, in denen nicht nur auf Kuba ein dritterWeltkrieg befürchtet wurde. In Havanna wurden schon Schützengräbenausgehoben. Aber dann einigten sich die Großmächte, ohne die Kubanerauch nur zu informieren. Wie demütigend das gewesen sein muss, istimmer noch zu merken, wenn Elio Pena fast ein halbes Jahrhundertspäter davon erzählt.
Im oberen Stockwerk des Revolutionsmuseums kauert Che Guevara imGebüsch - als Wachsfigur in Uniform. Die Ausstellung huldigt demGuerillaführer in einer Form von naivem Personenkult, die beieuropäischen Museumspädagogen eher Kopfschütteln auslösen würde:Fotos zeigen Che als Kleinkind, Che als Schüler, Che zu Pferd oderChe als Demonstranten.
Zu den Exponaten in den Vitrinen gehört eine Mütze aus Ches Besitzsowie einer seiner Pfeifenköpfe, ein Hemd, das Ches Kombattant CamiloCienfuegos getragen hat - und dessen Karabiner. Es ist eine fastpersönlich wirkende Sammlung, der auf den ersten Blick anzumerkenist, dass es hier nicht um die kritische Auseinandersetzung mit dereigenen Geschichte geht.
Norberto Collado ist für seine Ansprache vor den kubanischenKadetten nicht zufällig zum Museum der Revolution gekommen: Auch die«Granma» ist hier ausgestellt. Wie eine überdimensionale Reliquie derRevolutionsgeschichte ist die weiße Yacht in einem eigenen Gebäudenur hinter Glas zu sehen, bewacht von Soldaten, die alle Besucher imBlick behalten. Eine Yacht als Symbol des kubanischenFreiheitskampfes - Ironie der Geschichte, dass der private Besitz vonBooten auf der Karibikinsel nicht erlaubt ist.
Die Sammlung unter freiem Himmel vor dem «Granma»-Gebäude wirktdeutlich martialischer: Zwei kleine Panzerfahrzeuge Marke Eigenbaustehen dort, umfunktionierte Trecker, mit denen Che Guevara gegenBatistas Truppen kämpfte. Auch der Landrover Fidel Castros wirdgezeigt - «Commandancia General» ist mit einem Pinsel auf dieBeifahrertür geschrieben. Zu den bizarrsten Ausstellungsstückengehört ein Teil eines amerikanischen B-26-Bombers, der von denKubanern abgeschossen wurde. Und nur wenige Schritte weiter lodertdie ewige Flamme für die «Märtyrer der Revolution», die im Kampfgegen Batistas Truppen getöteten Kubaner.
Die Spuren der Revolution sind aber auch an etlichen anderenStellen noch zu sehen. Gleich am Eingang zu Havannas Universität zumBeispiel. Vor dem Portal breitet eine Frauenfigur als Symbol der AlmaMater ihre Arme aus. Heute sind an der Universidad de la Habana 6000Studenten eingeschrieben. «Während der Revolution gab es immer wiederDemonstrationen», sagt der Geschichtsprofessor Carlos MarchanteCastellanos. «Viele Studenten und viele Dozenten waren im Widerstandgegen Batista.»
Gleich zu Beginn der Revolution brachten Studenten einen Panzer indie Universität - dort steht er heute noch in einem Innenhof. Und ander Wand des Hauptgebäudes erinnert eine Tafel an die sieben Opferder Bombardierungen während der Invasion in der Schweinebucht imApril 1961. Einer der jungen Männer soll sterbend «Fidel» mit seinemBlut auf Stein geschrieben haben - ein Faksimile des Schriftzugs istan der Wand am Uni-Eingang zu sehen.
Fidel Castro wird voraussichtlich, ganz unumstritten ist seinGeburtsjahr nicht, im nächsten August 80 Jahre alt. Der «Commandanteen Jefe» - Oberbefehlshaber - genannte Staatschef hat seinenKampfgefährten Che Guevara schon um mehr als drei Jahrzehnteüberlebt. Dass Che tot sein soll, erscheint auf Kuba allerdingsirgendwie unwahrscheinlich. Der Guerillaführer ist noch immerallgegenwärtig. Ob im Hinterland oder in der Hauptstadt Havanna:Überall ist sein markantes Gesicht zu sehen - auf Propaganda-Bannernund auf T-Shirts genau wie auf Buchdeckeln und Postkarten. Mallachend mit Zigarre, mal versonnen schauend, mal in Uniform nebenFidel Castro.
Und unvermeidlich ist das berühmte Che-Porträt von Alberto Korda,das auf seinem Siegeszug rund um den Globus auch zahllose deutscheWG-Zimmertüren erobert hat: Che mit langen Haaren und sternverziertemBarett. Die Pop-Ikone der Revolution, wird von der kommunistischenRegierung genauso vereinnahmt wie von der Devotionalien-Industrie,die vor allem an Touristen aus dem kapitalistischen Ausland verkauft- Che sells.
Die wenigsten Touristen, die sich in Hotelshops und Souvenirlädenaus dem breiten Che-Repertoire bedienen, beschäftigen sich intensivmit der Geschichte des argentinischen Arztes, der vom «neuenMenschen» träumte und gegen wirtschaftliche Ausbeutung und politischeUnterdrückung kämpfte. Der Mythos lebt, allerdings nur an derOberfläche.
Auch für Norberto Collado Abreu ist die Revolution längstVergangenheit. Aber richtig sei sie gewesen, sagt er, schon weil siedem Rassismus des Batista-Regimes ein Ende bereitet habe. «Ich wollteimmer Offizier in der Armee werden, als ich jung war», erzählt er.«Als Schwarzer durfte ich das nicht.»
Heute hat der 85-Jährige ganz andere Interessen - Fußball zumBeispiel. Ein Sohn von ihm lebt in Deutschland und deshalb auch zweiseiner Enkelkinder. Deshalb kennt er sich auch mit den Mannschaftender Bundesliga aus - und nicht nur das. «Ich sammle die Trikots»,sagt Fidel Castros alter Kampfgefährte und lächelt. Dem nächstenSommer blickt er schon mit Spannung entgegen. Nicht wegen Fidelsrundem Geburtstag, sondern wegen der Fußball-Weltmeisterschaft - unddas, obwohl Kuba gar nicht qualifiziert ist.