Kommentar zur Kolumne von Götz Aly Kommentar zur Kolumne von Götz Aly : Neid ist Neid. Und Antisemitismus ist Antisemitismus
Götz Aly ist Kolumnist der Berliner Zeitung, ein genauer Beobachter und einer der besten Kenner des deutschen Antisemitismus und seiner mörderischen Geschichte. Am 8. Dezember schrieb er seine Kolumne unter dem Titel: „Stille Antisemiten gegen Zuckerberg“.
Er bezog sich dabei auf eine Reihe von Äußerungen in Blogs. Mark Zuckerbergs Ankündigung, er werde in den nächsten Jahren einen Gutteil seines Vermögens von 45?Milliarden Dollar für Unternehmungen spenden, die sich um mehr Gerechtigkeit in der Welt kümmern werden, wurde lächerlich gemacht, als verlogen charakterisiert. Namentlich griff Götz Aly den Medienredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Michael Hanfeld und Sascha Lobo, Internet-Kenner und Kolumnist von Spiegel-Online, an. Sascha Lobo antwortete Aly auf seiner Website mit einem Beitrag, der wohl fünf Mal so umfangreich ist. Für Michael Hanfeld antwortete Jürgen Kaube, Herausgeber der FAZ.
Sascha Lobo unterstellt Mark Zuckerberg „mehrdeutige Grundsätze“
Was hatte Götz Aly geschrieben? Lobo bezeichne „Zuckerberg ‚als erste Stütze und größten Nutznießer eines Systems, das unbedingt kritikwürdig ist.‘ Lobo beschimpft Zuckerberg als einen, der ‚mehrdeutigen Grundsätzen‘ folgt, ‚die Ökonomisierung von allem nicht als Problem, sondern als Lösung betrachtet‘ und – besonders verwerflich – listig ‚getarnt‘ nur nach einem trachtet, ‚die gesamte Menschheit zu Facebook zu holen.‘“
So weit Götz Aly über Sascha Lobo. Sascha Lobos Antwort: ein Loblied auf Götz Alys kluge Analysen des Antisemitismus. Lobo zitiert aus Alys „Warum die Deutschen? Warum die Juden?“: „Neid und Versagensangst, Missgunst und Habgier trieben den Antisemitismus der Deutschen an (…) Die Todsünde des Neides, kollektivistisches Glücksstreben, moderne Wissenschaft und Herrschaftstechnik ermöglichten den systematischen Massenmord an den europäischen Juden.“
Diesem Aly-Zitat fügt Sascha Lobo hinzu: „Vor diesem Hintergrund muss man seinen sorgenvollen Text in der Berliner Zeitung verstehen, er hat das von ihm beschriebene Muster an die Zuckerberg-Kritik angelegt. Er mag dabei über das Ziel hinausgeschossen sein, aber er hat auf einen wichtigen Punkt hingewiesen. Es gibt sehr wohl eindeutig antisemitische und naheliegenderweise neid- und missgunsterfüllte Kritik an Mark Zuckerberg. Und nicht in geringem Ausmaß.“
Ich sehe – anders als Sascha Lobo – nicht, dass Götz Aly über das Ziel hinausgeschossen ist. Er hat das Ziel gewechselt. In „Warum die Deutschen? Warum die Juden?“ zeigte er, dass der Antisemitismus von „Neid und Versagensangst, Missgunst und Habgier“ angetrieben wurde. In seinem Artikel „Stille Antisemiten gegen Zuckerberg“ gilt jetzt der Treibstoff selbst als antisemitisch. Keine der Sascha Lobo zugeschriebenen Äußerungen ist antisemitisch. Ähnliche Äußerungen mögen bei den Nazis innerhalb einer antisemitischen Argumentation eine Rolle gespielt haben, aber sie sind darum nicht selbst antisemitisch.
Götz Aly wittert in Michael Hanfeld „Weltverschwörer“
Weiter schreibt Götz Aly zu Michael Hanfeld: Weltverschwörer „wittert auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Deren Medienredakteur Michael Hanfeld sagt, Zuckerberg komme ‚dahergeritten wie der heilige Martin‘, tatsächlich aber sitze er ‚auf dem größten trojanischen Pferd seit den Tagen des Odysseus‘. ‚Mit sentimentalem Ton‘, jedoch ‚verlogen‘, mit der ‚Camouflage‘ des Unschuldigen betreibe er sein ‚globales Geschäft‘.“
Das ist alles. Es ist nicht zu verstehen, dass Götz Aly darin Antisemitismus erkennt. Er schreibt weiter: „Antisemitisch? Süddeutsche, Spiegel und FAZ werden das zurückweisen. Allerdings steht in ‚Mein Kampf‘ über Juden Ähnliches: ‚Man wusste nicht, was man mehr bestaunen sollte, ihre Zungenfertigkeit oder ihre Kunst der Lüge‘, ihre ‚teuflische Gewandtheit‘, diese ‚ebenso kalten wie schamlos geschäftstüchtigen‘, krassen Egoisten‘.“ Wer „Mein Kampf“ nicht zur Hand hat, der mag im Internet nachlesen.
Die von Aly als antisemitisch bezeichneten Invektiven finden sich dort auch gegen Jesuiten und Engländer. Die Pointe seiner Analyse in „Warum die Deutschen? Warum die Juden“ war doch gerade, dass er herausarbeitete, dass der Judenmord gerade nicht nur Sache antisemitischer Ideologen war, sondern dass viele statt von der Rassenlehre von Neid und Habgier getrieben wurden.
An solchen und schlimmeren Emotionen wird es gegenüber einem 31-jährigen Mann, der behauptet, 45 Milliarden einfach mal so beiseitelegen zu können, ganz sicher nicht fehlen. Wahrscheinlich auch nicht bei Journalisten wie den erwähnten und dem gerade schreibenden. Man kann, soll, muss diese Gefühle kritisieren. Das tut man aber nicht, wenn man sie in einen anderen Topf wirft.
Zurück zu den Texten. Jürgen Kaube erklärt zu Alys Kritik an Hanfelds Zuckerberg-Artikel in einem offenen Brief an Götz Aly: „In keinem einzigen Satz des inkriminierten Artikels geht es um Zuckerbergs Herkunft. Das wird von Ihnen konzediert. Der moderne, stille Antisemit ist für sie einer, der das Wort ‚Jude‘ vermeidet, wenn er Juden angreift. Allerdings kommen auch Anspielungen auf Zuckerbergs Zugehörigkeit zu einer anderen Gruppe als derjenigen der Großunternehmer im Artikel nicht vor.
Vergleich mit Nazi-Angriffen
Nichts an dem Argument des Beitrages wäre zu ändern gewesen, hätten Jeff Bezos (Amazon) oder Larry Page (Google) oder Jack Dorsey (Twitter oder Doug McMillon (Walmart) einen offenen Brief geschrieben, in dem sie die Errichtung einer besseren Welt als ihr Unternehmensziel behauptet hätten(…) Wollen Sie uns also mitteilen, dass, wer von jemandem sagt, er rede anders, als er handele, diesen unausgesprochenermaßen als Juden attackiere? (…) Wollen Sie uns ernsthaft sagen, dass ein und dieselbe Kritik, wenn sie an einem protestantischen Internettycoon geübt wird, ihren Charakter ändert, wenn sie Mark Zuckerberg betrifft?“
Das ist wahrscheinlich der Punkt, um den es geht. Götz Aly weist darauf hin, dass Mark Zuckerberg Jude ist, dass die Angriffe die er jetzt erfährt, sehr denen ähneln, die die Nazis gegen Juden vortrugen. Er hat damit ganz sicher recht. Man kann sich vorstellen, was in ihm, was in seinen älteren Verwandten vorgeht bei der Lektüre dieser Auslassungen.
Aber. Es ist kein Antisemitismus, jemanden vorzuwerfen, er spiele ein doppeltes Spiel, er sei ein Heuchler, er solle lieber dort Steuern zahlen, wo seine Firmen das Geld erwirtschaften, statt dort, wo er möglichst wenig Steuern zahlen muss. Man darf das sagen, auch wenn man davon ausgeht, dass alle gesetzlichen Regelungen eingehalten werden. Vielleicht, sollte man, könnte einem ja in den Kopf kommen, Gesetze ändern. Das alles ist richtig oder falsch, von Neidgefühlen oder von – sagen wir mal – staatsbürgerlicher Verantwortung getrieben. Antisemitisch aber ist es nicht.
Antisemitisch wäre die Behauptung, jemand wäre so, weil er Jude wäre. Das wäre selbst dann antisemitisch – und das erschwert die Debatte – wenn es nicht offen vorgebracht, sondern heimlich unterstellt wäre. In einer einander augurenhaft zublinzelnden Welt von Antisemiten wäre über einen „Zuckerberg“ „Heuchler“ zu sagen, eine antisemitische Äußerung. Aber machen wir uns nichts vor: In jenem Rassistenbiotop würde „Zuckerberg“ schon genügen.
Wir werden keinen Schritt weiter kommen, wenn wir nicht die Dinge beim Namen nennen. Neid ist Neid. Missgunst ist Missgunst. Habgier ist Habgier und Antisemitismus ist Antisemitismus. Manchmal gehen sie zusammen. Manchmal nicht.