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Kommentar zum dritten Geschlecht Kommentar zum dritten Geschlecht: Für Mann und Frau und darüber hinaus

17.08.2018, 08:39
Drei Möglichkeiten für einen Geschlechtseintrag - "W" (l-r), "M" und "X" - sind auf dem Banner der «dritten Option» zu sehen.
Drei Möglichkeiten für einen Geschlechtseintrag - "W" (l-r), "M" und "X" - sind auf dem Banner der «dritten Option» zu sehen. dpa

Divers? Intersexuell? Transsexuell? Vielen Menschen sind die Begriffe, die jetzt zum Thema Geschlecht diskutiert werden, ein Rätsel, manchen gar ein Graus. Früher war die Welt doch so einfach: Es gab Frauen, es gab Männer, Schluss. Die Kategorie „divers“, die den Standesämtern künftig bei uneindeutigen Fällen zur Verfügung steht, bringt wieder etwas mehr Unübersichtlichkeit in die Welt. Muss das wirklich sein?

Interessant ist da ein Blick in die Vergangenheit. Vor der Tatsache, dass ein kleiner Teil der Menschheit weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich ist, stand der Staat nämlich bereits früher. In den meisten Gebieten Sachsen-Anhalts – nämlich in den früher preußischen Landesteilen – gab es bereits vor 200 Jahren eine rechtliche Lösung dafür.

Das Allgemeine Landrecht von 1794 sprach von „Zwittern“ und gab deren Eltern das Entscheidungsrecht, in welchem Geschlecht sie das Kind erziehen wollten. Das war eine schlicht pragmatische Lösung. Zugleich erkannte das Gesetz an, dass sich so ein Kind in eine ganz andere Richtung entwickeln konnte. War das der Fall, durfte der Betroffene nach seinem 18. Geburtstag frei entscheiden, „zu welchem Geschlecht er sich halten wolle“. Das war preußische Liberalität.

So großzügig zeigten sich spätere deutsche Staaten nicht mehr. Fast 150 Jahre verlangte das Standesamt Eindeutigkeit: männlich oder weiblich. Der Staat ignorierte die Biologie, die das eben nicht in jedem Fall liefern kann. Er ignorierte auch das Leiden all jener, die in der zugedachten Kategorie nicht leben konnten oder wollten. Das hat jetzt ein Ende. Die Einführung der Kategorie „divers“ ist daher kein Schritt in die Auflösung der Geschlechter, wie es mancher befürchten mag. Er ist zunächst die Anerkennung von Tatsachen, die bereits dem Gesetzgeber des Preußischen Landrechts geläufig waren.

Die Neuregelung nimmt niemandem etwas weg. Es gibt weiter Frauen, es gibt weiter Männer. Auch kann die Gesetzesänderung nicht abstellen, dass viele Betroffene in Scham und Verunsicherung aufwachsen, dass sie ausgegrenzt und angepöbelt werden. Durchaus denkbar, dass der Begriff „divers“später durch einen treffenderen ersetzt wird. Vorerst aber zeigt er: Die Würde des Menschen ist nicht an die Ausformung als Mann oder Frau geknüpft. Sie gilt für jeden.

Den Autor erreichen Sie unter:[email protected]