1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Kommentar: Kommentar: Streit mit Erdogan: Beatrix von Storch entdeckt die Pressefreiheit

Kommentar Kommentar: Streit mit Erdogan: Beatrix von Storch entdeckt die Pressefreiheit

Von Clemens Schnur 30.03.2016, 15:22
Lügenpresse? Das war einmal. Beatrix von Storch möchte jetzt Verteidigerin der deutschen Pressefreiheit sein.
Lügenpresse? Das war einmal. Beatrix von Storch möchte jetzt Verteidigerin der deutschen Pressefreiheit sein. imago stock&people

Wegen des zweiminütigen Satire-Filmchens „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ im ARD-Spätprogramm wurde dieser Tage der deutsche Botschafter in das türkische Außenministerium einbestellt. Der Wunsch: Der unliebsame, kritische Beitrag des NDR-Magazins „Extra 3“ über die türkische Regierung im Allgemeinen und den Politikstil des türkischen Präsidenten Erdogan im ganz Speziellen solle doch bitte gelöscht werden. Über alle Parteigrenzen hinweg sind deutsche Politiker über den Versuch der Einflussnahme von Seiten Ankaras entsetzt.

Das Zielobjekt: die Pressefreiheit. Ein grundgesetzlich verankertes Recht von Rundfunk, Presse und (Online-)Medien auf freie Ausübung ihrer Tätigkeit, das unzensiertes Veröffentlichen von Informationen und Meinungen garantieren soll - und damit auch Meinungsbildung und -vielfalt. Eine für das Funktionieren einer modernen Demokratie grundlegende Errungenschaft aus Zeiten der Aufklärung.

In diese Debatte hat sich nun auch die AfD-Europaabgeordnete und Berliner Landesvorsitzende Beatrix von Storch eingeschaltet. Als scheinbare Hüterin der schutzbedürftigen Pressefreiheit. In einem Facebook-Post stellte sie am Mittwochvormittag die Frage, ob Deutschland „der Büttel Erdogans“ sei und: „Warum bestellen wir jetzt nicht den türkischen Botschafter ein – für dringende Nachhilfe in Pressefreiheit?!“

Durchschaubare Doppelmoral

Wo aber Freiheit beginnt und wo sie endet, ist immer Definitionssache. Für manche dagegen reine Auslegungssache. Und zweckgebunden. Denn an von Storchs Posting verwundert dabei nicht etwa, was hier - zurecht - thematisiert wird, sondern wer hier die vorbehaltlose Verteidigung der Pressefreiheit unterstützt. Ist es doch dieselbe Beatrix von Storch, die gerade einmal vor rund zwei Wochen gegen den damals ihr selbst unliebsamen,  AfD-kritischen Beitrag „Frühling für Frauke“ des Neo Magazins Royale wetterte. Darin besingt Moderator Jan Böhmermann, unterstützt von einer Begleitband im Stile des Berliner 20-Jahre-Ensembles „Comedian Harmonists“, rechtspopulistische und völkische Tendenzen in der AfD.

Zuspitzung, Übertreibung, Verspottung und Entlarvung - kurzum: Satire. Nicht aber für von Storch. Stattdessen will sie in Böhmermanns Song einen klaren Fall von „mit staatlichen Zwangsgebühren finanziertem Propagantainment“ oder gar „Unterhaltungshetze“ erkannt haben. „GEZ abschaffen“ forderte von Storch und vergaß dabei, dass die Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten seit Ende 2012 in dieser Form nicht mehr existiert.

Zwar lässt sich auch über das Konstrukt des aus der Gebühreneinzugszentrale hervorgegangenen ARD ZDF Beitragsservices eifrig debattieren. Dennoch: „GEZ“ wurde nie „bezahlt“, sondern eine „Rundfunkgebühr“. Auch wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht staatlich finanziert, sondern aus Gebühren. Und wird nicht etwa behördlich kontrolliert, sondern wie im Falle der ARD durch den Rundfunkrat und des ZDF durch den Fernsehrat.

Sprachlich feine, aber nicht unbedeutende Unterscheidungen, über die von Storch bei ihrer Medienschelte offenbar großzügig hinwegsah. Wer aber anderen in eiliger Manier eine Lektion erteilen will, ohne selbst über Inhalte und Begrifflichkeiten ausreichend in Kenntnis zu sein oder sie bewusst zu ignorieren, entlarvt allenfalls sich selbst.