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Kein Sex mit der Schwester

Von Christian Rath 12.04.2012, 18:47

Strassburg/MZ. - Einvernehmlicher Sex zwischen Geschwistern darf bestraft werden. Das hat gestern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg entschieden. Das deutsche Inzestverbot kann damit bestehen bleiben, die Klage des heute 35-jährigen Patrick S. wurde abgelehnt. Er saß in Deutschland mehr als drei Jahre in Haft, weil er regelmäßig mit seiner Schwester geschlafen hatte.

Kein Massenphänomen

Die Geschichte von Patrick S. und seiner sieben Jahre jüngeren Schwester Susan K. hat in Deutschland schon viele Wellen geschlagen. Sie hat rechtspolitische Diskussionen ausgelöst und sogar das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Bisher ohne Erfolg.

Es handelt sich nicht um ein Massenphänomen. Im Gegenteil. Inzest unter Geschwistern ist extrem selten, weil Kinder, die zusammen aufwachsen, in der Regel keine sexuelle Anziehung empfinden. Doch die Geschwister Patrick S. und Susan K. wachsen nicht gemeinsam auf. Patrick war drei Jahre alt, als er in ein Kinderheim kommt. Sein Vater, ein Alkoholiker, hatte ihm ein Messer an den Hals gehalten und Nachbarn deshalb die Polizei alarmiert. Patrick kommt bald zu Pflegeeltern, einem kinderlosen Paar bei Potsdam, die ihn auch adoptieren. Deshalb hat er einen anderen Nachnamen als seine Schwester.

Als Patrick S. älter ist, sucht er Kontakt zu seinen leiblichen Eltern. Das Jugendamt stellt den Kontakt zu seiner Mutter her, die noch lebt. Patrick will sie für eine Woche besuchen, fühlt sich wohl und aufgehoben und zieht dann, als 23-Jähriger, sogar bei seiner alten Familie ein. Dass er eine Schwester hat, wusste er vorher gar nicht. Jetzt teilen sie sich ein Zimmer.

Doch schon nach einem halben Jahr stirbt die herzkranke Mutter. Nun sind die beiden allein und versuchen, sich Halt zu geben. Susan K. ist geistig etwas zurückgeblieben und hat nicht einmal die Förderschule abgeschlossen. Ihr Bruder war zwar auch auf der Förderschule, ist aber deutlich selbstständiger, und machte anschließend eine Lehre als Schlosser. Susan bewundert ihren Bruder. Bald schlafen sie auch miteinander, ohne Schutz, Susan K., damals 16, wird schwanger. Das Jugendamt schöpft Verdacht und findet heraus, dass S. der Vater des Kindes ist. Die Strafanzeige führt zu einer ersten Verurteilung. In Deutschland ist der Geschlechtsverkehr zwischen Geschwistern strafbar (siehe Text: Die gesetzlichen Regelungen).

Patrick S. und Susan K. wissen nun zwar, dass sie etwas Verbotenes tun, hören aber nicht damit auf. Die beiden zeugen noch drei weitere Kinder, zwei von ihnen sind leicht körperbehindert und gelten auch als minderintelligent, ein drittes hat einen Herzfehler, der aber operiert werden kann. Die drei älteren Kinder werden vom Jugendamt weggenommen, weil die Eltern als überfordert gelten. Das vierte Kind, ein Mädchen, darf Susan K. behalten. Patrick S. muss aber immer wieder ins Gefängnis, um die Strafen wegen fortgesetzten Inzest abzusitzen. Mehr als drei Jahre verbringt er in Haft. Sie bleibt wegen ihrer ängstlichen Persönlichkeit straflos.

Beschwerde gescheitert

2008 landet sein Fall beim Bundesverfassungsgericht. Ein Leipziger Anwalt hat sich seiner angenommen und will den Inzest-Paragraf für verfassungswidrig erklären lassen. Doch überraschend deutlich wird die Verfassungsbeschwerde mit sieben zu eins Richterstimmen abgelehnt. Die Strafbarkeit des Geschwister-Inzests sei vertretbar, so die Entscheidung, um das traditionelle Bild der Familie zu bewahren, den unterlegenen Partner einer Beziehung zu schützen und um Erbschäden zu vermeiden. Nur der liberale Vizepräsident Winfried Hassemer hielt die Klage von S. Klage für berechtigt.

Ohne Entschädigung

Auch der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte ließ S. nun abblitzen, einstimmig mit sieben zu null Stimmen. Die Richter stellten fest, dass der Geschwister-Inzest in etwas mehr als der Hälfte der europäischen Staaten strafbar ist, während in den übrigen Staaten keine Strafe droht. Wenn aber in Fragen von moralischer Bedeutung in Europa kein Konsens besteht, billigt der EGMR den Staaten in der Regel einen großen Beurteilungsspielraum zu. So auch hier. Die Haftstrafe für einvernehmlichen Sex mit seiner Schwester habe Patrick S. Recht auf Privatleben nicht verletzt. Er bekommt keine Entschädigung.

Die Beziehung zu seiner Schwester ist zerbrochen.

Aktenzeichen: 43547 / 08

Mehr im Netz unter: www.mz-web.de/inzest