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Kanzleramtsminister im Porträt Kanzleramtsminister im Porträt: Peter Altmaier ist Angela Merkels Mann für die schwierigen Themen

Von Daniela Vates 08.07.2015, 16:03

Berlin - Es verlassen in dieser Nacht mehrere dunkle Limousinen das Kanzleramt und ein Fahrrad. Es ist weit nach Mitternacht, eine warme Nacht. Auf dem Fahrrad sitzt ein Mann, groß und schwer. Er strampelt durch den Tiergarten. Bis gerade eben hat er über Stromtrassen und Kohlekraftwerke verhandelt, stundenlang an diesem Abend im Kanzleramt, davor monatelang am Telefon, per E-Mail und bei weiteren Treffen. Die anderen, die in den Limousinen, werden sich am nächsten Tag feiern, es gibt eine Einigung, es ist nicht einfach gewesen, jeder will ein Sieger sein. Der Mann auf dem Fahrrad hat am nächsten Tag das nächste Problem auf dem Tisch liegen, so wie alles bei ihm auf den Tisch landet, was schwierig ist in der deutschen Politik: NSA-Affäre, Energiewende, Mindestlohn, Erbschaftssteuer. Und wenn Europa zerfällt über der Griechenlandpleite oder wenn neue Hilfen durch den Bundestag gebracht werden müssen, wird ihm das weitere lange Nächte bereiten.

Aber erst einmal ist er ein Radler in der Nacht. Er ist vermutlich der einzige im Dienst radelnde Minister, um diese Uhrzeit und auch sonst. Als „ein ganz vereinzelter, aber vergnügter Kanzleramtsminister“ auf dem Rad, so hat sich Peter Altmaier selbst vor einigen Wochen auf dem Kurznachrichtendienst Twitter beschrieben und dazu auch noch erklärt, es sei doch bemerkenswert, „wenn ein Minister dynamisch mit dem Fahrrad aus dem Unterholz bricht“. Es war ein Spaß auf eigene Kosten, Altmaiers kräftige Gestalt hat ja wenig hat ja wenig von einem hüpfenden Reh. Vor ein paar Jahren hat er sein Gewicht mit um die 140 Kilogramm angegeben. Und auch im übertragenen Sinn ist das Bild nicht ganz stimmig, Altmaier stürmt selten unvermittelt und getrieben. Er ist Brotbotschafter, von einem hüpfenden Reh.

Zentrale Figur des Kabinetts

Vor ein paar Jahren hat er sein Gewicht mit um die 140 Kilogramm angegeben. Und auch im übertragenen Sinn ist das Bild nicht ganz stimmig, Altmaier stürmt selten unvermittelt und getrieben. Er ist Brotbotschafter, Grünkohlkönig von Oldenburg, Botschafter des deutschen Bieres und zwischendurch auch Clown vom Dienst im Kabinett. Aber er ist auch ein bedächtiger, ein planvoller Politiker.

Vor allem aber ist Peter Altmaier die zentrale Figur des Kabinetts, nach Merkel natürlich. Klar, Wolfgang Schäuble ist der Kassenwart, Ursula von der Leyen beweist, dass Frauen sogar Verteidigungsministerin sein können. Innenminister Thomas de Maizière muss für die CDU gerade mit Asyl-Gewetter die AfD-Pegida-Flanke abdecken.

Der Kanzleramtsminister aber muss die zentralen Regierungskonflikte lösen, die, an denen eine Regierung scheitern kann. Auch Merkel ist da involviert, nicht wenig. Die Vorarbeit, das Geschacher mit Fraktionen und Bundesländern, macht ihr Chef-Organisator. Das liegt nicht an Altmaier, sondern am Amt. Aber es liegt an der Person, ob und wie es funktioniert. Dass es auch schlecht laufen kann, war in der letzten Wahlperiode zu besichtigen, in der Union und FDP das Regieren versuchten. Ronald Pofalla setzte auf Härte, auf Muskelspiele, Tricks und Überlegenheits-Gesten. Es krachte vernehmlich, Pofalla lieferte sich einen Machtkampf mit der damaligen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Das Stocken der Energiewende, für das Umweltminister Norbert Röttgen gehen musste, war auch der fehlenden Vermittlungsfähigkeit Pofallas zuzuschreiben. Im Streit um den Euro-Rettungskurs verlor Pofalla die Fassung und beschimpfte den widerspenstigen CDU-Mann Wolfgang Bosbach in Gossensprache.

Der Mann für alles

Altmaier übernahm erst Röttgens Job und nach der Wahl den von Pofalla. Es waren die offiziellen Karrierestationen. Inoffiziell aufgestiegen war er schon zuvor: Wenn es schwierig wurde, wenn der Euro wankte oder der Bundespräsident, schickte Merkel nicht ihre Minister zum Erklären nach draußen und in die Talkshows. Den Job übernahm Altmaier. Der Jurist aus dem Saarland, der als EU-Beamter angefangen hatte, war schon lange in Merkels Unterstützerkreis. Er war einer derer, die früh gegen Helmut Kohl opponiert hatten, keiner von denen, die mit Merkel um den Chefposten konkurrierten. Er war offen: Für die Grünen, mit denen er in der „Pizza-Connection“ in Bonn über Koalitionsmöglichkeiten sprach, als die in seiner Partei noch als Öko-Spinner galten.

Für Schwule und Lesben, mit denen er als erster CDU-Bundespolitiker überhaupt diskutierte. Für das Internet, als das in der CDU noch nicht mal als Neuland gesehen wurde. Altmaier war auch einer der ersten Politiker auf Bundesebene, der Twitter als Kommunikationsmittel entdeckte.

Er experimentierte und analysierte lange in der zweiten Reihe vor sich hin, als Staatssekretär, dann als Geschäftsführer der Bundestagsfraktion. Er war für Journalisten gut erreichbar, er betrachtete seine Partei nüchtern, fast wie von außen. Es waren weniger Phrasen als bei anderen, es wirkte glaubwürdig. Für Merkel war er angenehm, weil er nicht nach oben drängte. Nach und nach wurde der Mann aus der zweiten Reihe Cheferklärer der Merkel-Politik. Als er über Twitter dem strauchelnden Christian Wulff eine andere Öffentlichkeitsarbeit empfahl und sich weigerte, die Präsidentenaffäre in Talkshows kleinzureden, wirkte das wie eine Rücktrittsaufforderung von ganz oben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Peter Altmaier, der selbst in der Opposition anerkannt ist, hat den Ruf eines gründlichen Arbeiters. Als Merkel-Nachfolger wurde er aber noch nie ins Gespräch gebracht

Er habe lange gedacht, dass seine Erscheinung, sein Übergewicht, seine Lippenspalte, eine Karriere erschwere, sagt Altmaier. „Ein Politiker, der so aussieht wie ich, kann es in der heutigen Mediendemokratie nicht in die erste Reihe schaffen“, habe er gedacht. Mittlerweile hat er seine Kilos zum Markenzeichen gemacht. Er spricht von seinem „markanten Äußeren“, das ein Vorteil sein könne, weil es Aufmerksamkeit schaffe. Er lässt sich zu seinen Essgewohnheiten interviewen. Man weiß also, dass er gerne kocht, dass er in seiner Wohnung nahe dem Luxus-Kaufhaus KaDeWe gerne Leute bewirtet und sich bei CDU-Frühstücken mit Helmut Kohl mit diesem gemeinsam „intensiv und liebevoll“ der Leberwurst, dem Schinken und dicken Käsescheiben widmete.

Kohl durfte man nicht beim Essen fotografieren oder filmen. Er wirkte mit seiner Größe und Masse bedrohlich, erdrückend. Altmaier wirkt wie die bildgewordene weiche Seite der Macht.

Freundlich, kommunikativ und mit einem Vergnügen an Albernheiten: In der Twitterdisziplin der „Einbuchstabendrehtiere“, in der durch einen veränderten Buchstaben neue Tiernamen entstehen, hat er großen Eifer entwickelt: Das „Wahlross“ hat er da gefunden, und aus dem Frettchen wurde das zu viel naschende „Fettchen“. Er bemisst Sitzungspausen auch mal nach der Anzahl von Würstchen, die darin verspeist werden können. Das ist neulich öffentlich geworden, weil im Bundestag ein Mikrofon angeschaltet
geblieben war. Altmaier hat augenzwinkernd darauf hingewiesen, dass er zu diesem Zeitpunkt, um halb zehn Uhr morgens, schon seit dem Frühstück nichts mehr gegessen habe.

Ruf eines gründlichen Arbeiters

Selbstironie kommt also dazu und zelebrierte Genussfreude, die Undiszipliniertheit eines sonst Hochdisziplinierten. Mit Würstchen, volksnäher geht es kaum. Der Mitteilungsbedarf erreicht seine Grenze dort, wo es ganz privat wird. Als Altmaier Minister wurde, gab es Fragen nach seinem Beziehungsleben. Er lebe alleine, sagte er. „Der liebe Gott hat es so gefügt.“ Und er hadere nicht damit. Es gab eine Debatte in den Medien, ob das denn nun alles gewesen sein könne. Aber es war dann alles. Er hat den Ruf eines gründlichen Arbeiters, kein Blender also. Man könne „nicht viel Schlechtes über ihn sagen“, bescheinigen ihm auch Politiker der Opposition, die sich sonst schon qua Definition an der Regierung reiben. Er sei „immer wach und gut im Stoff“ und außerdem kompromissbereit.

Zuletzt hat man ihn ein wenig ratlos gesehen, das kommt selten vor. Eigentlich hat Altmaier immer noch einen Rest Optimismus übrig. Es war wieder schwierig, Altmaier saß wieder in Talkshows, aber bei Griechenland wusste er nicht recht weiter. „Wut ist ein schlechter Ratgeber“, war noch der prägnanteste Satz. Bei der Aufklärung der NSA-Spähaffäre mauern die USA, Altmaier kommt mit seiner Konzilianz nicht weiter, die Härte in Washington muss ihn selbst überrascht haben. Aber ausgerechnet er, der große Kommunikator, darf nun nicht darüber sprechen, alles ist bis zur Absurdität hochgeheim.

Und es kommt dazu, dass der freundliche Altmaier auch mal seine unangenehme Seite zeigen muss: Den Abgeordneten des Bundestags droht er im Herbst mit Strafanzeige wegen Geheimnisverrats, weil immer wieder Regierungsakten an die Öffentlichkeit geraten. Er rutscht in die Rolle des Verhinderers, sein Trost, der Trost der gesamten Regierungsseite ist, dass die NSA-Affäre die Wähler ja ohnehin nicht interessiere.

Nie als Merkel-Nachfolger im Gespräch

Altmaier muss mit dem US-Botschafter sprechen und neue Spitzelaktionen rügen, das überlagert die Nachricht über die Koalitionseinigung im Energie-Streit. Der Kanzleramtsminister ist die zentrale Figur an diesem Tag, einer, der die USA zur Ordnung ruft.

Die Kanzlerin übernimmt danach, es geht wieder um Griechenland. Es kann sein, dass sie scheitert, wenn Europa an Griechenland scheitert. Es kann sein, dass sie noch ein paar Jahre weitermacht. Ewig wird das nicht sein.

Das Interessante ist, dass Peter Altmaier nie genannt wird, wenn es um die möglichen Nachfolger von Angela Merkel geht. Er ist auf allen Seiten der Partei bis in die Opposition hinein akzeptiert. Peter Altmaier ist präsent und scheint gleichzeitig unsichtbar. Er ist 57, fast genauso alt wie Ursula von der Leyen und jünger als Thomas de Maizière, die sehr wohl genannt werden. Das Alter also kann kein Grund sein. Vermutlich liegt es daran, dass sich Altmaier noch nie aufgedrängt hat, sondern irgendwann einfach da war. Oder daran, dass man als Kanzler nicht einfach so durch die Nacht radeln kann.