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Kambodscha Kambodscha: Ein Prozess wie in Nürnberg 1945

Von Michelle Fitzpatrick 25.06.2011, 14:46
Das Foto zeigt Nuon Chea, der als Chefideologe hinter Staatschef Pol Pot stand, im Gerichtssaal in Phnom Penh. Kürzlich räumte er ein Massaker an «Verrätern» ein, die nicht «umerziehbar» gewesen seien. (FOTO: DPA)
Das Foto zeigt Nuon Chea, der als Chefideologe hinter Staatschef Pol Pot stand, im Gerichtssaal in Phnom Penh. Kürzlich räumte er ein Massaker an «Verrätern» ein, die nicht «umerziehbar» gewesen seien. (FOTO: DPA) ECCC

Phnom Penh/dpa/AFP. - Vor dem Völkermord-Tribunal in Kambodscha hat der zweite Prozess gegen Verantwortliche des Rote-Khmer-Regimes begonnen. Angeklagt sind die vier ranghöchsten noch lebenden, jedoch gebrechlichen Ex-Politiker des Terror-Regimes, darunter der frühere Stellvertreter von Staatschef Pol Pot sowie dessen Außenminister.

Das Gerichtsverfahren ist eine entscheidende Etappe auf dem Weg zur nationalen Aussöhnung eines traumatisierten Volkes: Es handle sich um den wichtigsten Prozess, den das UN-Sondertribunal für Kambodscha zu führen habe, sagt Ko-Ankläger Andrew Cayley und vergleicht das Ausmaß und die Komplexität des Verfahrens mit den Nürnberger Prozessen nach dem Nationalsozialismus in Deutschland.

Vor Gericht stehen der Regimeideologe, «Bruder Nr. 2» Nuon Chea, der ehemalige Staatschef Khieu Samphan, Ex-Außenminister Ieng Sary sowie die ehemalige Ministerin für soziale Fragen, Ieng Thirith. Sie müssen sich wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermords während der ultrakommunistischen Herrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979 verantworten. Zwei Millionen Menschen - ein Viertel der kambodschanischen Bevölkerung zu der Zeit - kamen damals durch Erschöpfung, Hunger, Krankheit, Folter und Hinrichtungen ums Leben. Obwohl gemeinhin von Völkermord die Rede ist, betrifft dieser Anklagepunkt ausschließlich die Massaker an Vietnamesen und der muslimischen Minderheit der Cham.

Auch wenn es in den ersten Prozesstagen von Montag bis Donnerstag vorerst nur um das Prozedere des Verfahrens geht, wie die Auflistung von Zeugen, erhoffen sich die Überlebenden, «ein sehr dunkles Kapitel» in der Geschichte ihres Landes zu verstehen, wie Theary Seng sagt, die während der Rote-Khmer-Herrschaft ihre Eltern verlor. «Die wichtigste Frage ist 'warum' - warum haben sich die Kambodschaner gegenseitig umgebracht?», fragt sie. Sie sei froh, die Verantwortlichen auf der Anklagebank «im Angesicht mit ihren Opfern» zu sehen. Mit Aussagen der Beschuldigten ist allerdings frühestens im August zu rechnen.

Die vier Beschuldigten, die während ihrer Herrschaft Religion, Geld und Schulen abschafften und die Städte leerten, um Kollektivfarmen zu errichten, weisen die Vorwürfe zurück. «Sie werden auf nicht schuldig plädieren und es ablehnen zu kooperieren», sagt die Rechtsberaterin für Kambodschas Dokumentationszentrum, Anne Heindel. Nuon Chea räumte allerdings in einer Dokumentation kürzlich das Massaker an «Verrätern» ein, die nicht «umerziehbar» gewesen seien. 2006 hatte er gesagt, nichts zu bereuen und «für das Wohl des Volkes» gehandelt zu haben.

Der Prozess ist der zweite gegen Verantwortliche der Roten Khmer, nachdem im vergangenen Jahr erstmals ein Urteil gegen ein führendes Regime-Mitglied gefällt wurde. Nach einem Geständnis wurde der einstige Folterchef Kaing Guek Eav alias Duch im Juli 2010 zu 30 Jahren Haft verurteilt. Derzeit wartet er auf ein Urteil im Berufungsverfahren; im Prozess gegen die vier Ex-Anführer des Regimes könnte er als Zeuge gehört werden.

Nach langen Verhandlungen zwischen der UNO und der Regierung in Phnom Penh war 2003 das Sondertribunal für Kambodscha ins Leben gerufen worden, tausende Schergen werden jedoch niemals belangt werden können. Der Hauptverantwortliche, «Bruder Nr. 1» Pol Pot, starb unter ungeklärten Umständen 1998. Acht Jahre später starb sein gefürchteter Militärbefehlshaber Ta Mok im Gefängnis.

Die Opfer und Ankläger hoffen nun, dass die vier ab Montag vor Gericht stehenden Angeklagten lange genug leben, um für ihre Taten verurteilt zu werden. «Das ist meine größte Sorge», sagt Cayley. Er gehe aber davon aus, dass die Beschuldigten im Alter von 79 bis 85 Jahren körperlich fit genug sind, um den Prozess durchzustehen.

Chum Mey (l)und Bou Meng überlebten den Terror der Roten Khmer. In einem ehemaligen Gefängnis stehen sie vor den Schädeln der Opfer. (FOTO: DPA)
Chum Mey (l)und Bou Meng überlebten den Terror der Roten Khmer. In einem ehemaligen Gefängnis stehen sie vor den Schädeln der Opfer. (FOTO: DPA)
EPA