NoGroKo-Tour Juso-Chef Kevin Kühnert bekommt auf NoGroKo-Tour in Berlin-Marzahn viel Zuspruch

So etwas riechen Wähler zehn Kilometer gegen den Wind, dass da eine Partei ist, die mit sich selbst hadert“, sagt Juso-Chef Kevin Kühnert. Damit meint er nicht, dass die SPD gerade über das Ja oder Nein zur großen Koalition streitet. Er kritisiert vielmehr, dass die SPD sich nicht mehr an die Lösung der großen Fragen herantraue. Sie habe im Wahlkampf beispielsweise keine Antwort auf die Frage vorgelegt, „wie wir die extrem ungleiche Vermögensverteilung in den Griff bekommen“.
Kühnert ist auf „No Groko-Tour“, wie es die Jusos selbst nennen, also auf Tour gegen die große Koalition. Am Dienstagabend ist der Berliner dafür einmal nicht im Rest der Bundesrepublik unterwegs, sondern er ist auf Einladung der Jusos Marzahn-Hellersdorf ins Informationszentrum der Internationalen Gartenausstellung gekommen.
Das mit der Tour klingt ein bisschen nach Rockstar, vielleicht sogar ein bisschen größenwahnsinnig – einerseits. Andererseits gibt Kühnert tatsächlich gerade Tausenden Menschen ein Gesicht, die gegen die große Koalition sind. Die Handys junger und älterer Sozialdemokraten gehen für Fotos in die Höhe, als Kühnert mit fünf Minuten Verspätung um kurz nach 19 Uhr den Raum betritt – mit einem dicken Rucksack. Der kommt unter den Tisch, an dem auch zwei lokale Jusos sitzen. Am Rednerpult hängt eine rote Tasche mit dem Aufdruck „Auch ich trage Verantwortung“.
„Die SPD kann der Union nicht mehr vertrauen“
Sie ist eine Antwort der Jusos auf die in der SPD, die sagen, man müsse in der großen Koalition Verantwortung für das Land übernehmen. Kühnert warnt seine Partei davor, „zum dritten Mal innerhalb von zwölf Jahren gegen dieselbe Wand zu laufen und dann zu glauben, dieses Mal würde sie brechen“. Das führe nur zu Kopfschmerzen.
Für 110 Besucher gibt es Stühle im Raum. Es sind aber mehr Leute gekommen, einige Besucher müssen stehen. Kühnert führt aus, warum der Koalitionsvertrag mit CDU und CSU aus seiner Sicht wenig taugt. „Wir finden fast tausend Mal die Worte ,wollen’ und ,möchten’ in diesem Papier“, ergänzt er. Das sei „die maximal unkonkreteste Formulierung“ für politische Projekte. Die SPD könne der Union nicht mehr vertrauen, sagt Kühnert. Sonst, so argumentiert er, wäre das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit in der vergangenen Legislaturperiode Wirklichkeit geworden.
Dann gibt es Gelegenheit für Fragen und Statements aus dem Publikum. Die Besucher sind völlig unterschiedlich: Jusos, aber auch ältere Sozialdemokraten. Unter denen, die ans Mikrofon kommen, sind auch mehrere, die sich als Mitglieder einer kommunistischen Jugendorganisation vorstellen. Und eine Frau, die sich als Mitglied der Jungen Liberalen zu erkennen gibt.
SPD als angeschlagener Boxer im Ring
Keine Frage, hier haben sich von den Sozialdemokraten eher die versammelt, die gegen die große Koalition sind. Tommi Hoffmann, 30 Jahre alter Einzelhandelskaufmann, verleiht seiner Enttäuschung über die Kehrtwende der Parteispitze Ausdruck. Er donnert ins Mikrofon: „Ich bin maßlos enttäuscht von Herrn Schulz. Ich schäme mich, für diesen Mann Wahlkampf gemacht zu haben.“ Der 20-jährige John Reichel, Chef der Jusos in Marzahn-Hellersdorf, kritisiert, die verschickten Abstimmungsunterlagen zum Mitgliederentscheid seien mit einseitigen Informationen versehen. „Wir hatten uns darauf geeinigt, dass beide Meinungen den Mitgliedern mitgeteilt werden“, sagt er. „Warum geschieht das nicht?“
Zu Wort meldet sich auch der 77-Jährige Rudi Finck. Er wählt schon seit der Wende SPD, ist der Partei aber erst viele Jahre später beigetreten – geworben von einem jungen Sozialdemokraten. Die SPD stehe als „angeschlagener Boxer im Ring“, sagt er. Und: Ein solcher Boxer müsse weiterkämpfen. Das heiße: in der großen Koalition Inhalte umsetzen. Finck lobt aber auch, dass Kühnert immer sehr sachlich argumentiere. Und der Rentner fordert, in der SPD müssten mehr Junge ran.
Und Kühnert? Der Juso-Chef lächelt angesichts von so viel Zuspruch. Was die große Koalition für Ostdeutschland bedeute, wird Kühnert – aufgewachsen im Westen der Stadt – hier im Osten noch gefragt. Der Juso-Chef erzählt, dass er seine NoGroko-Tour im Wahlkreis der einstigen AfD-Chefin Frauke Petry in Sachsen begonnen habe. Die Menschen dort legten Wert auf eine gute öffentliche Daseinsvorsorge. Darauf, dass man auch am Wochenende mit dem Bus die Freundin drei Dörfer weiter besuchen könne. Kühnert sagt: „Darauf gibt dieser Koalitionsvertrag keine Antwort.“