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Ex-NRW-Ministerpräsident Rüttgers Jürgen Rüttgers: "Populisten sind ganz einfach Lügner"

Von Joachim Frank 09.12.2016, 06:29
Jürgen Rüttgers
Jürgen Rüttgers imago stock&people

Herr Rüttgers, Sie verheißen in Ihrem neuen Buch die „Wahrheit über Europas Zukunft“ und verlangen mehr Demokratie. Wieso eigentlich? Volksabstimmungen sind zuletzt immer gegen Europa ausgegangen.

Der Ausweg aus der großen Krise Europas kann nicht darin liegen, ein paar Kompetenzen von Brüssel in die nationalen Hauptstädte zurückzuverlagern und parallel die gemeinsame Verteidigung mit einer europäischen Armee und den Schutz der Außengrenzen zu stärken. So einfach ist das nicht. Die Barriere des Misstrauens vieler Bürger gegen Europa kann nur mit mehr Demokratie abgebaut werden.

Woran denken Sie dabei?

Eines der Probleme ist die Institution des Europäischen Rats. Die Runde der Staats- und Regierungschefs gleicht einer Fürstenversammlung, die hinter verschlossener Tür und mit geheimer Agenda tagt. Er ist Gesetzgeber und Exekutive zugleich. Ergebnisse werden nach nationalem Gusto kommuniziert, und kein Bürger hat die Möglichkeit, gegen Beschlüsse des Rates zu klagen, wenn er sich in seinen Grundrechten verletzt sieht. Das alles verstößt elementar gegen demokratische, rechtsstaatliche Prinzipien.

Betreiben Sie damit das Geschäft von Europagegnern wie der AfD?.

Nein, ich bemühe mich um Krisenmanagement durch Reform der europäischen Institutionen.

Mit mehr direkter Demokratie?

Europäische Referenden halte ich für keine gute Lösung. Wir wissen doch und erleben es ständig, dass dieses Instrument hoch anfällig für Lügen ist. Wir sollten übrigens aufhören, politische Lügner als „Populisten“ zu bezeichnen, sondern sie ganz einfach Lügner nennen. Auch muss man die Lügen der Lügner offen legen. Beim Oberlügner namens Trump ist das gemacht worden. Lügen ist auch etwas ganz anderes als „dem Volk aufs Maul schauen“, was zu tun die Populisten von sich behaupten.

Vorigen Sonntag haben die Österreicher und die Italiener unterschiedliche Signale in Richtung Europa gesandt: Alexander van der Bellen in Wien hat die Wahl auch mit dem Bekenntnis zu Europa gewonnen. Matteo Renzi an einer anti-europäischen Phalanx gescheitert.

Renzi hat den Italienern genau die falsche Frage gestellt: „Seid ihr für den Abbau demokratischer Rechte?“ Es war klar, dass sich dagegen die unterschiedlichsten Kräfte mit ihrer je eigenen Agenda zusammenrotten würden. Weil sie wussten: Die Menschen wollen nicht weniger, sondern mehr Demokratie. Politiker sind nicht dafür gewählt, die Lösung von Problemen an das Volk zu delegieren, sondern die Lösungen zu entwickeln und zur Abstimmung zu stellen.

Was heißt das für die Flüchtlingspolitik, und für die erneute Kanzlerkandidatur Ihrer gerade wiedergewählten Parteivorsitzenden Angela Merkel?

Die Parteien müssen dahin zurückkehren, dass sie den Bürgern klar sagen, was sie zu tun gedenken, und sich daran auch messen zu lassen. Sonst verstärkt sich, was wir in den vergangenen Landtagswahlen immer wieder erlebt haben und was von Wahlkampfmanagern gern übersehen wird: Nicht die Politik entscheidet, worüber abgestimmt wird, sondern die Bürger.

War der CDU-Parteitag mit seinen Beschlüssen zu einer restriktiveren Flüchtlingspolitik ein Schritt heraus aus dieser Gefahrenzone?

Der Parteitag hat erkennbar eine Kurskorrektur vorgenommen. Die Rechtsordnung darf nicht wie im Verschiebebahnhof hin und her manövriert werden. Konkret: Wer kein Recht hat, sich in Deutschland aufzuhalten, kann nicht auf Dauer hierbleiben. Das muss der Staat konsequent durchsetzen.

Sie haben von der Themensetzung vergangener Landtagswahlen gesprochen. In NRW haben wir eine vor uns. Was raten Sie dem CDU-Spitzenkandidaten Armin Laschet?

Ich habe mir beim Abschied aus der Landespolitik den Verzicht auf schlaue Kommentare vom Spielfeldrand auferlegt. Aber wer mit „asymmetrischer Demobilisierung“ Wahlkampf macht, ein schreckliches Wort übrigens. . .

 . . das die von Angela Merkel perfektionierte Methode beschreibt, die Themen des politischen Gegners zu übernehmen und sie damit als Wahlkampfmunition zu entschärfen . . .

… wer also aus taktischen Gründen oder um die Bevölkerung nicht zu polarisieren nicht sagt, was er nach der Wahl machen will, hinterlässt inhaltlich Leerstellen. Das rächt sich. Hinzu kommt die hohe Beschleunigung, mit der wahlentscheidende Themen aufkommen oder verschwinden.

Noch zwei Sexualmorde durch Flüchtlinge wie denen in Freiburg und Bochum, und wir könnten solch ein Turbo-Thema bekommen.

Das ist wahr. Umso fataler wäre es, wenn die Politik auf solche furchtbaren Ereignisse – die hoffentlich nicht eintreten – mit tagesaktuellem Aktionismus reagieren würde. Deshalb braucht die Politik eine Programmatik mit klaren Leitlinien. Es ist ja nicht so, dass die Bürger die Komplexität der Problemlagen nicht mitbekämen, in denen Politik sich heute abspielt. Im Gegenteil, es macht ein Stück der Unruhe aus, dass die Dinge so kompliziert sind, die Politik dies aber immer nur beschreibt und beklagt, statt zu handeln. Das ist das Einfallstor für die Leute mit den einfachen, vielfach rückwärtsgewandten Antworten: der Rückkehr zum Nationalismus, der Wiedererrichtung von Grenzen, dem Garaus für die offene Gesellschaft.

Das Gespräch führten Joachim Frank und Peter Pauls