Interview zu Steuersündern Interview zu Steuersündern: Steuerflucht ist keine Frage von Vermögen
Halle (Saale)/MZ - Herr Wenzler, viele Leute reagieren auf das Bekanntwerden des früheren heimlichen Kontos von Alice Schwarzer und die Kritik, die sie jetzt einstecken muss, mit einem: Recht geschieht ihr! Wie sehen Sie das?
Thomas Wenzler: Ich sehe das ein bisschen anders. Für Frau Schwarzer gilt das Steuergeheimnis. Das ist strafbewehrt. Wer das getan hat, wer die Informationen durchgestochen hat, kann dafür belangt werden. Und wer dabei ein Dienstgeheimnis verletzt hat, muss damit rechnen, aus dem Dienst entfernt zu werden.
Stehen wir in Sachen Steuerflucht vor einem Eliten-Problem oder ist der Versuch, mit Hilfe von Konten im Ausland die deutschen Steuern zu umgehen, ein Breitenphänomen?
Wenzler: Das ist ein Breitenphänomen. Ich betreue zur Zeit etwa 50 Selbstanzeigen, viele Klienten sind aus dem Köln-Bonner Raum, aber auch von weiter weg, aus Berlin. In der Hauptsache sind das Kunden einer bestimmten Schweizer Großbank. Die Leute sind zu mir weniger wegen des Falls Hoeness gekommen, auch nicht wegen der Steuer-CDs. Es sind hauptsächlich die Banken selbst, die ihre Kunden zur Selbstanzeige drängen.
Warum tun die Banken das?
Wenzler: Weil sie nicht mehr ständig Ärger mit den deutschen Behörden haben wollen. Bei Julius Bär und Credit Suisse ist das Thema inzwischen durch, weil deren Kunden sich bis zum 31. Dezember erklären mussten. Die Anleger sind meist keine Millionäre. Beim Großteil dieser Leute liegt das Guthaben in der Schweiz irgendwo zwischen 200.000 und 700.000 Euro. Diese Anleger bekommen im Jahr ein paar Tausend Euro an Zinsen heraus. Das Geld reicht, um davon einen Urlaub in der Schweiz zu finanzieren. Wenn sie aber jetzt ein Konto in Übersee, zum Beispiel in Singapur anlegen, geht allein für die Flüge dorthin so viel Geld drauf, wie es die angelegte Summe gar nicht hergibt.
Was sind das für Leute?
Wenzler: Ich habe von der älteren Dame in den 80er über den pensionierten Kriminalbeamten bis zum höheren Ministerialbeamten viele verschiedene Klienten. Man kann also wirklich nicht sagen: So etwas machen nur vermögende Leute.
Wie erklären Sie sich das Verhalten?
Wenzler: Diese Menschen haben verschiedene Motive. Es gibt so Kölsche. Die erklären mir mit schwerem Akzent: In den 70er Jahren, als der Brandt kam, da wussten Sie ja gar nicht, was kommt. Der Russe stand doch in Ostdeutschland. Es gibt auch Schwarzgeld-Einnahmen von Handwerker-Betrieben, größeren und kleineren. Und es gibt auch eine kleine Anzahl jüdischer Mandanten, die sagen: Wir wussten nie, was passiert. Eine Frau hat mir mal gesagt: Das Geld, was da in der Schweiz liegt, ist das, was meine Mutter für erlittene Auschwitz-Haft bekommen hat. Die wollte von diesem Geld dem deutschen Staat keine Zinsen zahlen.
Wie steht Deutschland denn im internationalen Vergleich mit Blick auf die Steuerlast der Bürger da?
Wenzler: Steuerflucht ist kein rein deutsches Phänomen. Wenn ich manchmal mit Mandanten zu seiner Bank fahre, dann höre ich viele Sprachen. Da treffen Sie Franzosen, Italiener, Belgier, Niederländer. Die Steuerlast für die Deutschen ist nicht übermäßig. Im Übrigen haben wir ja auch ein Gemeinwesen, das finanziert werden muss.
Was müsste sich ändern, damit die Steuerflucht abnimmt?
Wenzler: Wissen Sie, der Steuersatz könnte auch bei zwei Prozent liegen und die Leuten würden immer noch Steuern hinterziehen. Solche Leute wird es immer geben. Das ist keine Frage der Höhe des Steuersatzes. Darüber hinaus gibt es natürlich ein Problem: Ein Teil der Leute fühlt sich ungerecht behandelt, wenn sie in der Zeitung lesen, wie Amazon es durch das Hin- und Herschieben von Unternehmensgewinnen schafft, in Deutschland praktisch keine Steuern zu zahlen. Ein anderer Teil ist sicher auch darauf aus, dem Staat ein Schnippchen zu schlagen.
Sind wir ein Volk von Geldgierigen, das nicht wahrhaben will, dass, wer viel hat, auch mehr geben muss?
Wenzler: Nein, es gibt sicher Leute, die bereit sind, mehr zu geben, weil sie mehr als andere haben. Diese Haltung entspricht der des französischen Citoyen, also des Staatsbürgers, der sich seiner Verantwortung für das Gemeinwesen bewusst ist. Den gibt es zu wenig. Den Bourgeois, also den Bürger, der mehr an sich selbst denkt, dagegen mehr.