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Interview mit Verbandschef Carsten Körnig Interview mit Verbandschef Carsten Körnig: «Das Rennen ist noch nicht entschieden»

Von Jakob Schlandt 02.11.2012, 18:31

Berlin/MZ. - Was ist uns die Solarenergie wert, wo beginnt die Geldverschwendung? Carsten Körnig, Chef des Solarverbandes BSW, hat sich stets für den Ausbau eingesetzt und stellt sich im Gespräch der Kritik am Photovoltaik-Boom. Er glaubt daran, dass die deutsche Solarindustrie trotz Pleitewelle und schwindender Beschäftigtenzahlen noch eine gute Zukunft vor sich hat.

Herr Körnig, Sie rühren als Chef des Verbands seit Jahren die Werbetrommel für Ihre Branche. Was hat uns der Solarboom gebracht?

Ziel war es, Solarenergie zum Durchbruch zu verhelfen und einen Massenmarkt für Photovoltaik zu schaffen. Mit höheren Stückzahlen fallen die Preise und die Forschung wird angekurbelt. Das ist gelungen. Sogar mehr als das: Wir sind heute weit besser als erwartet! Solarstrom ist nicht mehr teurer als Strom aus Meeres-Windanlagen oder Bioenergie und er wird immer preiswerter.

Kein Zweifel: Ohne Deutschlands Förderprogramm gäbe es die globale Solarindustrie nicht in dieser Größenordnung. Die Schattenseite ist der Anstieg der Strompreise. Die Energiewende verliert deshalb in Umfragen an Akzeptanz. War es das wert?

Ich teile Ihre Einschätzung nicht. Die Solarenergie ist als bürgernahste Energieform weiterhin sehr beliebt und die meisten Menschen wissen, dass an der Energiewende kein Weg vorbei führt. Rund drei Millionen von ihnen haben bereits in Solartechnik investiert und die Energiewende selbst in die Hand genommen. Man kann sich aber fragen, ob Deutschland den Hauptteil der Entwicklungskosten allein schultern musste. Es wäre schön gewesen, wenn andere Länder mitgemacht und die finanziellen Lasten mitgetragen hätten. Aber war das möglich? Ich glaube kaum.

Dennoch ist Ihre Branche heftigen Attacken ausgesetzt, weil die Förderung so teuer geworden ist. Vor ein paar Jahren haben Sie selbst gesagt: Man darf auf der Überholspur nicht den Fuß vom Gas nehmen. Bereuen Sie das?

Nein. Es ging darum, einer der wichtigsten Technologien dieses Jahrtausendes zum Durchbruch zu verhelfen. Gegen den Widerstand und die Attacken aus der alten Energiewirtschaft. Richtig ist: Die Dosierung der Förderung war sehr schwierig. Der Ausbau der Photovoltaik hatte schon Fahrt aufgenommen, als es noch relativ teuer war. Nahezu alle hatten die Dynamik und Investitionsbereitschaft unterschätzt. Aber das ist Vergangenheitsaufarbeitung. Fakt ist jetzt: Die Preise der Photovoltaik sind so drastisch gefallen, dass Solarenergie zukünftig kein Kostentreiber ist.

FDP und Teile der Union schlagen immer häufiger die radikale Kürzung der Solarförderung vor. Macht Ihnen das Sorgen?

Die radikale Kürzung hat es leider schon diesen Sommer gegeben: Die Fördersätze sanken in den letzten zwölf Monaten bereits um rund 40 Prozent und werden jetzt von Monat zu Monat weiter sinken. Es gäbe auch keine sachliche Grundlage für die Kürzung, weil sich dadurch die Kosten nicht spürbar verändern: Neue Solaranlagen wirken sich kaum aus und die Kosten für die bestehenden Solaranlagen sind für 20 Jahre fix. Wer würde also von einer radikalen Kürzung profitieren? Wir sind davon überzeugt, dass die Akzeptanz der Photovoltaik in weiten Teilen der Bevölkerung und auch in der Politik nach wie vor hoch ist – zu hoch, als dass sich derart unsinnige Positionen durchsetzen könnten.

Wie schnell sollte die Photovoltaik in den kommenden Jahren noch ausgebaut werden?

Bund und Länder sind sich ja weitgehend einig, die Stromversorgung langfristig komplett oder zumindest nahezu vollständig auf Erneuerbare Energien umzustellen. In den nächsten zehn Jahren soll die Hälfte der Wegstrecke zurückgelegt sein. Dies kann nur mit einem weiteren kraftvollen Ausbau der Solarenergie gelingen. Der von der Koalition derzeit angestrebte Zielkorridor von jährlich 2,5 bis 3,5 Gigawatt ist deutlich zu klein und passt nicht zu den ehrgeizigen Zielen. Wir wollen bis 2020 den Solaranteil an der deutschen Stromversorgung auf mindestens zehn Prozent verdoppeln und langfristig mit Hilfe von Speichern auch 20 bis 30 Prozent Solaranteil am deutschen Strom-Mix erreichen.

Viele deutsche Unternehmen sind insolvent, darunter einstige Stars der Branche wie Solon aus Berlin und Q-Cells aus Bitterfeld. Warum haben sich die Hoffnungen auf einen solaren Wirtschafts- und Job-Boom nicht bewahrheitet?

Richtig ist, dass die Branche weltweit eine schwierige Phase erlebt, weil die Produktionskapazitäten noch schneller gewachsen sind als die Nachfrage. Zugleich hat die deutsche Politik vielen mittelständischen Unternehmen den Kapitalzugang sogar noch erschwert, in dem sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz viermal in nur drei Jahren geändert hat. Andernorts wird der Branche durch eine vorausschauende Industriepolitik der Rücken gestärkt. Halten wir aber auch fest, dass diese schwierige Phase enden wird. Solarstrom wird in immer mehr Regionen der Welt wettbewerbsfähig, die globalen Absatzmärkte werden rapide wachsen. Schon heute verdienen deutsche Solarunternehmen jeden zweiten Euro im Ausland.

Die Produktion findet aber hauptsächlich in Asien statt. Etwa 85 Prozent der Solarmodule, die in Europa installiert werden, stammen aus China. Nennen Sie das Erfolg?

Unser Ziel ist es, die Exporte noch weiter auszubauen, das ist doch völlig klar. Im Maschinen- und Anlagenbau und bei anderen wichtigen Schlüsselkomponenten einer Solaranlage zählen deutsche Unternehmen zur Weltspitze. Auch bei Modulen und Zellen ist das Rennen nicht entschieden. Es kommt auf die Innovationskraft der Unternehmen an! Ich bin weiterhin überzeugt, dass sich das deutsche Engagement für die Solartechnik per Saldo auszahlen wird.

Bislang war von 130.000 Jobs in der Solarbranche die Rede. Was ist geschehen?

Wir schätzen, dass im Rahmen der Konsolidierungswelle der vergangenen Monate nach ersten Erhebungen etwa 30 000 Jobs in Deutschland verloren gegangen sind. Die aktuelle Krise ist hart und fordert viele Opfer und doch werden hoffentlich viele Unternehmen gestärkt aus ihr hervorgehen.

Hauptproblem ist die Konkurrenz aus China, die dort massiv staatlich subventioniert wird. Ist das in Ordnung?

Wir sprechen uns klar für faire Wettbewerbsbedingungen aus.

Warum unterstützen Sie dann nicht die Klage von einigen europäischen Solarunternehmen? Sie verlangen, dass die EU Strafzölle gegen China-Ware erhebt.

Unter unseren Mitgliedern befinden sich viele Befürworter, aber auch viele Gegner der Klage. Letztere haben Angst vor einer Zuspitzung des Handelskonfliktes und vor Gegenreaktionen wie einer Marktabschottung Chinas für deutsche Importe. Viele Händler und Handwerker befürchten zudem, dass sie wegen der stark sinkenden Fördersätze zukünftig auf chinesische Billigmodule angewiesen sind.