Interview Interview: Historiker Henning Köhler kritisiert Kohl-Biograf
Köln - Professor Köhler, sind abschätzige Äußerungen über Parteifreunde und andere Politiker, die Heribert Schwan in seinem Buch wiedergibt, typisch für Helmut Kohl?
HENNING KÖHLER: Was heißt typisch? Ich habe so etwas nie von Kohl gehört, ebenso wenig wie viele andere. Gehört hat sie ein Mann seines Vertrauens – in einer Situation, in der Kohl nicht im Entferntesten damit rechnen musste, dass diese Worte jemals veröffentlicht werden würden.
Immerhin sind sie wohl authentisch.
KÖHLER: Darum geht es aber nicht. Wir haben es vielmehr mit einem grotesken Vertrauensbruch zu tun.
Im Dienst der Zeitgeschichte und einer möglichst umfassenden Information der Öffentlichkeit über Kohl?
KÖHLER: Das ist – hart gesagt – mediale Chuzpe und genauso verlogen wie schon Schwans Behauptung, Hannelore Kohl habe ihm von einer Vergewaltigung als Zwölfjährige erzählt mit der Bitte, das zu veröffentlichen. Wer Kohls verstorbene Frau und ihre Distanz, ja Phobie gegenüber den Medien kennt, wird nie und nimmer auf die Idee kommen, dass sie sich solch einen Umgang mit Geschehnissen aus ihrer Jugend gewünscht hätte, falls die ganze Geschichte denn überhaupt stimmt. Was Helmut Kohl seinerseits über langjährige Wegbegleiter zu Schwan gesagt hat, stand unter dem Siegel der Verschwiegenheit und war doch nicht für die Nachwelt bestimmt. Überlegen Sie, wie das bei Ihnen ist, wenn sie sich mal aus vollem Herzen über andere auslassen! Wollen Sie das anschließend in der Zeitung lesen?
Lieber nicht. Aber ich bin auch kein früherer Bundeskanzler.
KÖHLER: Das ist egal. Die Grenzen dessen, was die Öffentlichkeit zu interessieren hat, werden in Deutschland durch Gerichte gesetzt. Ich bin, ehrlich gesagt, überrascht, dass noch kein Versuch unternommen wurde, gegen Schwans Buch juristisch vorzugehen. Wenn ich mich einmal in Kohls Lage versetze, der sich in der CDU-Spendenaffäre von jahrzehntelangen Wegbegleitern aufs Schändlichste hintergangen fühlte, kommt mir ein Begriff wie „Verräter“ sogar noch vergleichsweise milde vor. Und über einen Mann wie Richard von Weizsäcker und dessen Charakter ließe sich ebenfalls Drastischeres sagen, als Kohl das mit sanftem Spott tut. Wenn überhaupt, dann ist diese leicht herablassend-ironische Art typisch für ihn.
Was aber schon auffällt, ist seine Einteilung der Menschen in Loyale und in Verräter.
KÖHLER: Man darf bei Helmut Kohl nicht vergessen, dass ihm die Medien über Jahrzehnte hinweg in einer Weise feindlich gesonnen waren wie sonst keinem anderen demokratisch gewählten Regierungschef. Er ging immer davon aus, dass die Medien nur darauf warteten, ihm etwas anzuhängen.
War ihm das nicht irgendwann egal?
KÖHLER: Er hat darunter gelitten. Die Tatsache, wie genau er die Medienberichte über ihn verfolgte, zeigt im Umkehrschluss, wie sehr sie ihn störten. Ich rate noch einmal zum Selbsttest: Fänden Sie sich damit ab, ständig als Idiot hingestellt zu werden, wenn Sie doch gleichzeitig das berechtigte Gefühl hätten, keiner zu sein? Kohls Dauerkonfrontation mit den Medien erklärt jedenfalls seine ausgeprägte Vorsicht in der Frage, mit wem er Klartext reden konnte, ohne eine Weitergabe des Gesagten fürchten zu müssen. Auf diese Form von Vertrauensschutz hat Kohl immer größten Wert gelegt. Sie würden übrigens von Männern aus seiner nächsten Umgebung wie Rudolf Seiters oder Horst Teltschik auch nie etwas gehört haben, worüber Kohl sich in diesem Sinne hätte mokieren müssen. Diese Leute haben einfach den Mund gehalten.
Das Gespräch führte Joachim Frank