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To good to go  Höhle der Löwen aktuell: Per App Too Good To Go gegen Essensverschwendung

Von Diana Serbe 07.11.2017, 10:45
Über die App können sich die Kunden teilnehmende Restaurants in ihrer Umgebung anzeigen lassen und die Mahlzeiten buchen.
Über die App können sich die Kunden teilnehmende Restaurants in ihrer Umgebung anzeigen lassen und die Mahlzeiten buchen. andreas stedtler

Halle (Saale) - Isabel Hoffmann greift nach ihrer „gemischten Überraschungsbox“. Darin: Pasta mit einer farbenreichen Sauce. Bolognese ohne Fleisch. Dafür mit viel Gemüse und Tofu, die vegetarische Variante. Selbstgekocht aus frischen Zutaten. Es ist 17.30  Uhr und Isabel Hoffmann sichert sich das Mittagsangebot zum halben Preis.

Betreiberin des Café „homeLe“,  Maike Steuer, gehört zu 800 teilnehmenden Gastronomen in Deutschland, die überproduziertes Essen am Abend auf einem neuen Weg sinnvoll an den Mann oder die Frau bringen.

Mit Hilfe der aus Dänemark stammenden Smartphone-App „Too Good To Go“ - englisch für „Zu gut zum Vergehen“, sinngemäß aufs Wegwerfen bezogen. Die Anwendung soll helfen, Lebensmittel vor der Mülltonne zu bewahren.

Am Abend stellen die Erfinder ihre App in der Gründershow „Die Höhle der Löwen" bei Vox vor. Ob sie die Investoren überzeugen können?

So funktioniert die neue App „Too Good To Go"

Das Prinzip für Kunden ist einfach: Die kostenfreie App wird auf das Handy geladen. Alle teilnehmenden Restaurants in der näheren Umgebung werden anzeigt. Neben der Adresse des Restaurants sehen die Anwender auch, wie viele Gerichte zu welchem Preis zur Verfügung stehen sowie die jeweilige Abholzeit.

Mit einem Klick auf „Kaufen“ wird der Restaurantbetreiber informiert, dass seine Gerichte noch vor Ladenschluss den Besitzer wechseln werden. Die Bezahlung erfolgt per Kreditkarte oder über den Online-Bezahldienst PayPal. 330 000 Nutzer haben die App in Deutschland derzeit installiert.

Seit dem Deutschland-Start im Frühjahr 2016 haben sich in Leipzig bereits 17 Restaurants angemeldet, manche nehmen nicht täglich teil. Positiv ist: Sofern ein Kunde die bestellte Speise nicht abholt, erstatten die App-Anbieter dem Restaurant die angefallenen Kosten außer der Dienstleistungsgebühr. Sollte hingegen ein Betreiber die bereits gebuchten Speisen nicht zur Verfügung stellen können, wird wiederum dem Kunden der gezahlte Kaufpreis abzüglich der Gebühr von einem Euro erstattet.

Die App nutzten bisher vorwiegend junge Leute bis Mitte 30

Die App nutzten bisher vorwiegend junge Leute, „bis Mitte 30“, schätzt Maike Steuer. Das seien nicht nur Menschen, die wenig Geld zur Verfügung hätten. „Ganz verschiedene Kunden, Familien von gegenüber oder aus dem Kiez“, sagt die 35-Jährige und zeigt auf die Altbauten an der belebten vierspurigen Hauptverkehrsstraße in Leipzig-Gohlis.

Zwischen 16.30 Uhr und 18 Uhr hat sie die Abholung heute freigeschaltet, fünf Essen hat sie übrig. „Wenn ich mal nichts übrig habe, biete ich eben nichts an“, sagt sie und rückt ihre große Brille zurecht. „Das kann man jederzeit in der App überprüfen.“

Da die Portionsgrößen für jeden Kunden gleich groß ausfallen sollen, können die Käufer keine eigenen Behälter mitbringen. Für das ökologische Gleichgewicht wollen die Betreiber dennoch sorgen: Die Transportboxen aus abbaubarem Zuckerrohr werden den Gastronomen zur Verfügung gestellt.

Mit einem Wisch auf dem Smartphone macht Maike Steuer kenntlich, dass die Portion abgeholt wurde. Jeweils ein eingenommener Euro geht an die Betreiber, um die Kosten für die Technologie und den Kundenservice zu decken.

Nur wenige Vorgaben

„Die Anbieter können frei entscheiden, wie viele Portionen sie anbieten wollen, an welchen Tagen, zu welcher Uhrzeit und zu welchem Preis“, sagt Teresa Sophie Rath, Sprecherin von „Too Good To Go“. Maximal solle das Gericht 3,90 Euro kosten. Mitmachen könne jeder Betrieb, der überproduziertes Essen hat, vom Café bis zum Supermarkt.

Nach Isabel Hoffmann betritt wenige Minuten später auch schon der andere erwartete Käufer den Laden - kurze Hose, Poloshirt, die Sonnenbrille lässig ins Haar gesteckt. Christian Hänisch ist über ein Video im Internet auf die App aufmerksam geworden. Gleich vier Portionen hat er vor ein paar Stunden über die App gebucht. Die seien für seine Freundin und ihn gedacht, erzählt er: „Zwei für heute Abend und morgen für jeden eine zum Mittag am Arbeitsplatz.“

Bisher habe er sich nur wenige Gedanken über Lebensmittelverschwendung gemacht. „Aber wenn es mir so einfach gemacht wird wie mit so einer App - warum nicht?“, sagt der 26-Jährige. Beschränkungen, wie viele Portionen pro Person ausgegeben werden, gibt es laut Management bisher keine. Generell gibt es nur wenige Vorgaben.

Was ist mit Qualitäts- oder Hygienekontrollen?

Die Betriebe können sich selbst in der App eintragen. „Verteilt auf verschiedene Städte arbeiten Mitarbeiter vor Ort mit den Partnerbetrieben zusammen, suchen neue Partner und betreuen bestehende“, sagt Teresa Sophie Rath. Regelmäßige Qualitäts- oder Hygienekontrollen gebe es allerdings nicht.

Die Betreiber stellen lediglich die Plattform für die Gastronomie zur Verfügung. Deshalb übernehmen diese auch keine Haftung für die Genießbarkeit der Lebensmittel. „Too Good To Go“ soll da ansetzen, wo Vereine wie die Tafel aus organisatorischen Gründen an ihre Grenzen stoßen. Die dürfen beispielsweise wärme- und kühlpflichtige Lebensmittel nicht annehmen.

Wegwerfgesellschaft: 82 Kilogramm Lebensmittel wirft jeder Bundesbürger jährlich weg

82 Kilogramm Lebensmittel wirft jeder Bundesbürger jährlich weg. Das zeigt der aktuellste Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Der Großteil sind Obst und Gemüse, gefolgt von Fertiggerichten, Backwaren, Fleisch und Milchprodukten. Bei elf Millionen Tonnen, die insgesamt in Deutschland weggeworfen werden, wenn Industrie, Handel und Großverbraucher eingerechnet werden, sind Privathaushalte immer noch die Hauptverursacher.

Laut einer neuen Umweltbewusstseinsstudie geht besonders die Kriegsgeneration mit dem Thema sensibler um: Menschen, die die Entbehrungen während des Zweiten Weltkrieges erlebt haben, werfen deutlich seltener Nahrung weg: Ein Drittel der vor 1945 Geborenen nach eigenen Angaben nie, zwei Prozent der nach 1965 Geborenen hingegen sogar täglich. Oft fehlt das Wissen zum Thema Haltbarkeit.

Vor wenigen Jahren hat deshalb die Bundesregierung bereits eine ähnliche Initiative mit ähnlichem Namen gestartet. Im Rahmen der Kampagne „Zu gut für die Tonne“ brachte die Bundesregierung 2012 die „Reste-App“ an den Start. Mit 600 000 Downloads ist sie laut einem Sprecher zwei Jahre später die erfolgreichste App der Bundesregierung gewesen. Im Unterschied zu „Too Good To Go“ richtet sich die Reste-App allerdings nur an die Verbraucher.

Der Inhalt: Wissen zu Lebensmitteln und hilfreiche Anwendungen wie ein Einkaufsplaner. Unter dem Motto „Lebensmittel verwenden statt verschwenden“ geben dort auch Sterneköche Anleitungen, wie aus Resten eine leckere Mahlzeit gekocht werden kann.

Immer mehr Initiativen gegen Lebensmittelverschwendung

Bundesweit organisieren immer mehr Menschen eigene Initiativen gegen Lebensmittelverschwendung. In Leipzig und Halle gibt es mittlerweile 14 „Fairteiler“ - eine Art Essensablagen für übriggebliebene, aber noch essbare Lebensmittel. Der Tausch funktioniert auf Vertrauensbasis - jemand nimmt etwas, jemand bringt etwas.

Auch Supermärkte unterstützen das Projekt des Vereins „Foodsharing“ mit Lebensmitteln, etwa weil sie nicht ansehnlich genug für den Verkauf sind. 10,5 Millionen Kilogramm an Essbarem konnten so bereits gerettet werden. Solche selbst organisierten Maßnahmen seien aufgrund der in Deutschland vorgenommenen Kontrollen allerdings gar nicht so einfach, sagt eine Sprecherin von „Foodsharing“.

3,5 Millionen Tonnen Abfall wären laut Berechnungen des Deutschen Bundestags vermeidbar, besonders bei Obst und Gemüse. Die örtliche Verbraucherzentrale gibt Tipps zur Vermeidung von Abfällen. Dort erfährt man neben Hinweisen für den heimischen Umgang mit Nahrung zum Beispiel auch, dass nicht marktfähige Ernteprodukte einfach wieder im Acker untergepflügt werden.

››Die kostenlose App ist auf Smartphones oder Tablets mit den Betriebssystemen iOS oder Android verfügbar. Zum Abholen muss der Kaufbeleg in der App vorgezeigt werden, deshalb sollte das Gerät unterwegs internetfähig sein. (mz)