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Hintergrund Hintergrund: «Let's Roll» - patriotische Wende in den USA

Von Uwe Käding 24.08.2011, 12:43

Frankfurt/Main/dapd. - In der Stunde größter Not braucht AmerikaHelden. Ob im Unabhängigkeitskampf oder bei der Eroberung des WildenWestens, in Kriegen oder bei Katastrophen: Je schlimmer Feind undSchicksal zuschlagen, desto wichtiger eine Führungsfigur, die dieanderen mitreißt. Im Drama von 9/11 wurde ein 32-jähriger Passagier,Todd Beamer, zum Volkshelden. Bevor er mit anderen Fluggästen dieHijacker des Flugs 93 überwältigte, übermittelte er derUS-Öffentlichkeit per Handy die Sätze: «Are you guys ready? Let'sroll.»

«Let's Roll» war eine von Beamers Lieblingsphrasen. Wenn er mitseinen beiden Söhnen - am 11. September 2001 drei Jahre und ein Jahralt - etwas unternahm, sagte er nach Angaben seiner Frau gerne:«Kommt Jungs, auf geht's.» Beamer hatte versucht, per Handy seineFrau anzurufen, als den Passagieren die Entführung ihres Flugzeugsund die Anschläge in New York bekannt wurden. Er erreichtestattdessen eine Angestellte der Telefongesellschaft GTE, LisaJefferson.

Das 13-minütige Gespräch endete mit dem Satz, der zumAufbruchssignal für die Amerikaner in die Zeit nach 9/11 werdensollte. Beamer und seine «Guys» verhinderten mit ihrem Angriff aufdie Luftpiraten, dass ihr in Newark in Richtung San Franciscogestartetes Flugzeug neben der ins Pentagon gesteuerten Maschine aufein zweites Ziel in Washington - Kapitol oder Weißes Haus - gestürztwurde. Sie konnten das Flugzeug nicht mehr abfangen, es stürzte beiShanksville auf unbewohntes Gelände. Natürlich wurde die Geschichtevon Hollywood verfilmt.

Young und Bush am Puls der Zeit

Rockmusiker Neil Young hat die enorme Wirkung von Beamers letztenWorten sofort gespürt, genau wie Präsident George W. Bush, der«Let's Roll» zum Motto einer Rede am 8. November 2001 zur im Oktoberbegonnenen Invasion in Afghanistan und seiner Ansprache zur Lage derNation Anfang 2002 machte. Bush führte die USA - «my fellowAmericans, let's roll» - in den Krieg nach Afghanistan und Irak,anfangs mit enthusiastischer Unterstützung. «Let's roll» stand fürdie trotzige Reaktion, den Schlachtruf, dass sich Amerika nichtsmehr gefallen lassen werde.

Young schrieb seinen Song «Let's Roll» unmittelbar nach denAnschlägen und veröffentlichte ihn im November 2001. «Let's roll forfreedom, let's roll for love. We're going after Satan on the wingsof a dove» - das war genau das, was die Leute hören wollten. Youngwurde dafür von einigen seiner eigenen Fans gescholten - «Let'sRoll» hat in keiner Weise die lyrische Qualität des Protestsongs«Ohio», den er nach dem Tod von vier Studenten bei Protesten am 4.Mai 1970 schrieb.

Keine Zeit für Feinheiten

Der Protestsänger stellte sich hier in den Dienst einer Sache,schwamm mit dem patriotischen Mainstream. Fünf Jahre später vollzoger mit «Living With War» eine textlich nicht wenigerholzschnittartige Kehrtwende und forderte «Let's Impeach ThePresident». Aber da stellte er sich gegen den Strom. Seine «Freedomof Speach Tour» 2006 mit den alten Gefährten Crosby, Stills & Nashist vielleicht die couragierteste der Rockgeschichte. VieleZuschauer verließen den Saal, wenn das Lied mit der Aufforderung zurAmtsenthebung Bushs gespielt wurde.

Youngs «Let's Roll» wurde nach seinem Erscheinen viel vonUS-Radiosendern gespielt, obwohl es nicht als Single veröffentlichtund beworben wurde. Auch andere Künstler nahmen sich der Phrase an -von den Bellamy Brothers mit ihrem «Let's Roll America» bis zu denLA Guns, die auf ihr Album «Waking The Dead» den Song «Ok, Let'sRoll» veröffentlichten. Beamers Witwe gründete eine Stiftung, dieTodd M. Beamer Foundation, die schließlich die Vermarktungsrechtefür die in den USA lange vor 9/11 geläufigen Phrase zugesprochenbekam.

Young hatte den frühen Erfolg, aber Bruce Springsteen und seine EStreet Band erhielten für ihr von 9/11 geprägtes Album «The Rising»2003 drei Grammys. Springsteen näherte sich dem Thema aus derPerspektive eines einfachen Feuerwehrmanns oder Polizisten,versuchte in Liedern wie «My City In Ruins», «Empty Sky», «WorldApart» und «The Rising» zu erfassen, was ein Ereignis wie 9/11 füreinfache Leute bedeutet. Die Live-Versionen dieser Lieder sindwesentlich intensiver als die Studioaufnahmen, gerade «The Rising»,das Szenen in den Ruinen des World Trade Center in Worte zu fassenversucht.