1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Hintergrund: Hintergrund: Deutscher Energiemarkt schon liberalisiert

Hintergrund Hintergrund: Deutscher Energiemarkt schon liberalisiert

26.11.2002, 15:57

Berlin/dpa. - Den Beschluss des EU-Ministerrates, dass die Gas- und Strommärkte bis Mitte 2007 in der gesamten Europäischen Union auch für Privatkunden geöffnet werden müssen, begrüßen die deutschen Anbieter natürlich. Denn sie fordern zusammen mit Verbänden und Bundesregierung seit langem eine weitergehende Liberalisierung auch in anderen EU-Ländern. Eine volle Entflechtung von Stromnetz und Erzeugung bis hin zu gesellschaftsrechtlicher Trennung bereitet den rund 900 Strom- und 700 Gasversorgern dagegen erhebliche Sorgen.

Zwar ist die Marktöffnung hier zu Lande nicht problemlos und ohne Hindernisse vollzogen worden. Deutschland ist im Vergleich zu vielen anderen EU-Staaten jedoch teils viele Jahre Vorreiter. Anbieter und Kunden haben sich über so genannte Verbändevereinbarungen freiwillig auf Spielregeln für einen diskriminierungsfreien Zugang zu fremden Netzen verständigt und so gesetzliche Vorgaben vermieden.

Auf dem Strommarkt dürfen neben Groß- und Gewerbekunden auch Privathaushalte ihren Anbieter bereits seit dem Frühjahr 1998 frei wählen, wenngleich sich die Umsetzung schwierig gestaltete. Dies ist laut Stromverband VDEW erst in fünf der 15 EU-Ländern möglich. Etwa ein Drittel der gut 40 Millionen deutschen Privathaushalte hat inzwischen gewechselt - entweder zu einem anderen Unternehmen, neuen Händlern oder zu anderen Tarifen des bisherigen Anbieters. Der Preisverfall um bis zu 20 Prozent wurde nach Darstellung des VDEW inzwischen aber durch staatliche Sonderlasten fast wieder aufgezehrt.

Die Liberalisierung des Gasmarktes verlief langsamer. Erst seit 1. Januar 2002 können die 17 Millionen privaten Erdgaskunden - zumindest auf dem Papier - frei unter den Versorgern in Deutschland wählen. Für die Industrie gilt das schon länger. 2002 gab es nach Angaben des Bundesverbandes Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) knapp vier Mal so viele Netzzugangsverhandlungen wie 2001 und am Ende 192 Verträge (2001: 72). Allerdings wurde die Verbändevereinbarung Gas noch nicht durch eine Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes auf rechtliche Basis gestellt. Deshalb hat Brüssel Mitte Oktober ein Verfahren eingeleitet. Hoffnungen, dass es beim Gas einen Preisverfall gibt wie beim Strom, wurden von Anfang an gedämpft.

Der Zwang zur Aufspaltung der Unternehmen und eine volle Entflechtung in eine Erzeuger- und Netzgesellschaft hingegen hätte de facto enteignende Wirkung und würde gravierend in die Substanz der Versorger eingreifen, argumentieren Verbände. In dem EU-Beschluss heißt es jedoch, die Eigentumsrechte der Unternehmen seien nicht berührt.

Bisher war in Deutschland und der EU zunächst nur eine rechnerische Entflechtung gefordert. Damit sollen Preis- und Kostentransparenz hergestellt und eine Diskriminierung von Wettbewerbern verhindert werden.

Im Rahmen des jetzt von der EU geforderten so genannten Legal Unbundling soll auch eine unternehmerische Trennung vollzogen werden. Das heißt, dass Energiekonzerne eigenständige Tochtergesellschaften etwa für die Erzeugung, den Netz- oder den Vertriebsbereich gründen sollen. Die großen Stromkonzerne in Deutschland haben bereits selbstständige Sparten-Gesellschaften gegründet. Staatskonzerne anderer EU-Länder müssen sich ohnehin auf Entflechtung einstellen.

Von den EU-Vorgaben wären aber auch kleine Versorger und kommunale Stadtwerke mit mehr als 100 000 Kunden betroffen, die Strom-, Gas-, Fernwärme- und Wasserversorgung Nahverkehr unter einem Dach betreiben. Kritiker meinen, die volle Entflechtung würde einen Konzentrationsprozess auslösen, der am Ende dem Wettbewerb und dem Verbraucher schade.

Ausgegliederte Netzfirmen kleiner Anbieter könnten zum Verkauf stehen und in die Hände von Ex-Monopolisten fallen. Aus Sicht der Gaswirtschaft führt die EU eine «Phantomdebatte, weil sie den Weg mit dem Ziel verwechselt». Mit «Legal Unbundling» würden den Unternehmen wichtige Synergieeffekte verloren gehen. Die Folge: Weniger Effizienz und höhere Kosten.