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Kommentar zum US-Wahlkampf Hillary Clintons Schwächeanfall hinterlässt verheerenden Eindruck im US-Wahlkampf

Von Hans-Jürgen Deglow 14.09.2016, 05:23
Hillary Clinton zeigt sich nach ihrem Schwächeanfall in New York wieder der Öffentlichkeit.
Hillary Clinton zeigt sich nach ihrem Schwächeanfall in New York wieder der Öffentlichkeit. AP

Es läuft nicht rund für Hillary Clinton. Ihr republikanischer Rivale Donald Trump hat es in den vergangenen Wochen tatsächlich geschafft, seine Aggressivität einigermaßen zu zügeln. Prompt hat Trump aufgeholt und liegt nun in einigen Umfragen landesweit sogar vor der Demokratin.

Es ist eine Momentaufnahme. Um tatsächlich ins Weiße Haus einziehen zu können, muss der Immobilienmilliardär der ehemaligen First Lady noch einige Swing States abluchsen, in denen sie führt. Es sind jene „Schlachtfeldstaaten“, die seit jeher zwischen Demokraten und Republikanern hart umkämpft sind und besonders viele Wahlmännerstimmen einbringen – Ohio etwa, oder North Carolina.

Wahlkämpfe verlaufen selten linear, vor allem nicht, wenn sie sich auf zwei Kandidaten fokussieren. Allerdings haben Clinton und Trump einen solchen Grad an Unbeliebtheit erreicht, dass die beiden anderen Präsidentschaftsbewerber, der liberale Gary Johnson sowie die Grüne Jill Stein, inzwischen zusammen rund 15 Prozent der Wähler auf ihre Seite ziehen konnten.

US-Gesellschaft sehnt sich nach Stärke, Größe und Führerschaft

Wer aber gedacht hatte, die Wahl sei nach dem Parteitag der Demokraten im Juli und dem folgenden Hillary-Hoch gelaufen, sieht sich getäuscht. „Trump geht gar nicht“ – so denken viele Europäer. Doch große Teile der US-Gesellschaft sehnen sich nach Stärke, Größe und Führerschaft. Sein Leitsatz, er wolle Amerika wieder groß machen, fruchtet ebenso wie andere populistische Vereinfachungen.

Zugleich schürt das republikanische Lager mit einigem Erfolg Zweifel an der Ehrlichkeit und dem Gesundheitszustand von Hillary Clinton. Das ist ein riskantes Unterfangen, ist doch Trump 70 Jahre alt. Selbst vor Unterstellungen wird nicht zurückgeschreckt, die Clinton mal Krebs, mal Parkinson nachsagen. Und Clinton macht plötzlich Fehler. Ende vergangener Woche nannte sie die Hälfte der Trump-Wähler einen Basket of Deplorables – frei übersetzt: einen Korb der Bedauernswerten, und diese kläglichen Menschen seien zudem rassistisch, sexistisch, homophob. Eine Aussage, die das gegnerische Lager einen könnte.

Notfallplan gefordert

Dass Clinton kurz darauf einen Schwächeanfall ausgerechnet beim Gedenken an den 11. September 2001 erleidet, hat einen solch verheerenden Eindruck hinterlassen, dass selbst prominente Demokraten einen Notfallplan fordern, sollte sie noch vor der Wahl aussteigen. Desaströs war vor allem die Informationspolitik nach dem Kollaps. War es die Hitze, wie es zunächst hieß? Oder war es eine Lungenentzündung, wie Stunden später verlautete? Trump-Anhänger jubilieren: Seht her, wir haben es immer gesagt, sie taugt nicht zum Oberbefehlshaber!

Die Debatte über ihren Gesundheitszustand lässt sich in den wenigen Wochen bis zum Wahltag im November kaum eindämmen. Amerikaner, die sich bekanntlich auch wenig über die Abhörmethoden der NSA aufregen, fordern heute selbstverständlich von Präsidentschaftsbewerbern, dass sie ihre Krankenakte und die Steuererklärung offenlegen. Politiker, so scheint es, dürfen nicht krank werden. Sie sind immer im Einsatz, rund um die Uhr.

Die Belastung des Wahlkampfes in den USA ist dabei eine andere als hierzulande. Tausende Kilometer müssen die Kandidaten in jeder Woche zurücklegen, Tausende Male begeistern. Hätte die Nation gewusst, wie es um die Gesundheit von Franklin D. Roosevelt oder John F. Kennedy gestanden hatte, wären sie womöglich alleine aus diesem Grund niemals Präsident geworden. Doch über Führungsqualitäten sagt der Gesundheitszustand nicht viel aus.

Das Traurige an diesem Wahlkampf des Grauens ist: Inhalte gehen vollkommen unter. Überhitzung? Lungenentzündung? Es geht um weit mehr! Es geht um den Zustand der Supermacht und die Frage, wie, mit wem und in welche Richtung sie in den nächsten Jahren die Weltordnung mitgestalten wird. Inzwischen muss man fragen: Werden die USA überhaupt noch eine Supermacht sein?