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Hessen Hessen: Mahnmal für Lynchmord an US-Gefangenen wird errichtet

25.08.2004, 07:35

Rüsselsheim/dpa. - Es war ein grausamer Mord an wehrlosen Kriegsgefangenen. Doch die Täter waren keine SS-Leute: Hausfrauen, Opel-Arbeiter und andere ganz normale Rüsselsheimer knüppelten am 26.August 1944 eine Gruppe amerikanischer Flieger zu Tode - mit Hämmern, Milchkannen, Flaschen und allem, was sie gerade zur Hand hatten. 60 Jahre später soll ein Mahnmal an die lange Zeit verdrängte Lynchtat erinnern. Doch das Vorhaben ist in Rüsselsheim nicht nur auf Zustimmung gestoßen. Der Einweihung an diesem Donnerstag waren Auseinandersetzungen um die Inschrift der Gedenkstätte vorangegangen.

Die acht jungen Soldaten waren zwei Tage zuvor mit ihrem Bomberbei Osnabrück abgeschossen worden. Auf dem Weg in ein Gefangenenlager bei Oberursel müssen sie durch das gerade von der britischen Luftwaffe zerstörte Rüsselsheim. Als zwei Frauen «Schlagt sie tot!» schreien, bildet sich ein hundertköpfiger Mob und hetzt die Soldaten durch die Stadt. An einer Backsteinmauer brechen die acht unter den Hieben zusammen. Ein Gestapo-Mann schießt vier der bereits leblosenAmerikaner in den Kopf. Zwei andere überleben, weil sie sich totstellen und später fliehen können. Einige Täter kommen nachKriegsende vor Gericht: Es gibt fünf Todesurteile und fünf langeHaftstrafen.

«Man hat 57 Jahre lang nicht öffentlich darüber sprechen können», sagt die Mahnmal-Initiatorin Dagmar Eichhorn. Die Mauer, an der die jungen Soldaten den Tod fanden, wurde in den 80er Jahren abgerissen - obwohl es schon seinerzeit Rüsselsheimer gab, die sie bewahren wollten. Noch 1995 ließ die damalige Oberbürgermeisterin Otti Geschka (CDU) ein Bild, das unter anderem auf diesen Vorfall anspielte, aus dem Rathaus entfernen.

Doch dann begann die Aufarbeitung. Eichhorns Geschichtsinitiative organisierte Diskussionen und Ausstellungen, lud Historiker und Zeitzeugen zu Vorträgen ein. Dies bereitete den Boden für eine große Gedenkveranstaltung, zu der vor drei Jahren sogar der letzte Überlebende aus den USA anreiste. «Das war so etwas wie eine Versöhnung», sagt Eichhorn.

Das Mahnmal soll diese Arbeit nun fortsetzen. 18 000 Euro brachte die Initiative aus Spenden zusammen, 12 000 legt die Stadt drauf. Dafür entsteht an der Stelle des Lynchmords eine vier Meter breite Klinkermauer. In die Rückseite sind die Porträts der Opfer eingefräst, an den Schmalseiten berichten Texttafeln auf Deutsch und Englisch, dass an dieser Stelle «am 26. August 1944 nach einem britischen Luftangriff auf Rüsselsheim acht amerikanische Flieger (...) von einer aufgebrachten Menge gejagt und gelyncht» wurden.

Der Text ist ein Kompromiss, der einen in der RüsselsheimerÖffentlichkeit mit Leserbriefen und Radio-Talkrunden geführten Streit beenden soll. Eichhorns erste Fassung hatte statt von einem Luftangriff von «nächtlichem Bombenterror» gesprochen. Gegen diese Formulierung gab es von zwei Seiten Protest. Manche Rüsselsheimer sahen in ihr eine Relativierung der Bluttat. Andere fanden dagegen, dass das Leid der Bombenopfer zu kurz komme.

Erst zwei Wochen vor der Einweihung des Mahnmals einigte man sich auf den endgültigen Wortlaut, der auf den deutsch-englischen Theologen Paul Oestreicher zurückgeht. Eichhorn hätte ihre Formulierung vorgezogen: «Es ist wichtig, die konkreten Bedingungen der Tat zu kennen, um zu wissen, wie es dazu kommen konnte. Wir wollten die Situation berücksichtigen, aber nichts relativieren.» Doch sie willigte ein, um den Einweihungstermin nicht zu gefährden.

Bei der Enthüllung am Donnerstag wird auch Sidney Brown dabeisein. Der 79-Jährige kehrt damit aus den USA zum zweiten Mal an den Ort zurück, an dem er an einem Spätsommermorgen vor 60 Jahren fast ermordet worden wäre.