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Treffen beim Tanztee Helmut Kohl und Hannelore Kohl: Ein deutsches Paar

Von Jochen Arntz 16.06.2017, 19:00
Helmut Kohl, mit seiner Ehefrau Hannelore und seinen Söhnen Peter (r) und Walter (l) im Jahr 1975.
Helmut Kohl, mit seiner Ehefrau Hannelore und seinen Söhnen Peter (r) und Walter (l) im Jahr 1975. dpa

Herkunft ist Zufall, Familie ist Zufall. Das ist klar, und doch kann sie bestimmend werden, auch politisch bestimmend. Das ist nicht zwingend so, aber es gibt Linien, die aus der Vergangenheit in die Gegenwart weisen, und es gibt Momente, die genau diese Linien kreuzen. Manchmal entsteht daraus etwas, was nicht nur für das Individuum bedeutend ist, sondern für die ganze Gesellschaft. So war es auch im Fall von Helmut und Hannelore Kohl, auch wenn das nicht gleich absehbar war, auch wenn für beide nicht gleich klar sein konnte, welche Wendungen ihre Lebensgeschichten und die deutsche Geschichte für sie bereithalten würden.

Helmut Kohl wurde noch vor der Machtergreifung Adolf Hitlers in Deutschland geboren, im April 1930; Hannelore Renner wenige Wochen nach der Zeitenwende, im März 1933. Helmut Kohl kam ganz im Westen des Landes zur Welt, in Ludwigshafen, Frankreich war nicht weit; Hannelore Renner erblickte in Berlin, im Zentrum, das Licht der Welt. Wenig später zog ihre Familie nach Leipzig.

Ihrer beider Kindheit und Jugend war geprägt durch Totalitarismus, Krieg und die Aufteilung der Welt danach. Und es sollte später noch eine große Rolle spielen, dass der eine im alten Westen des Landes aufwuchs und die andere zunächst im Osten, in Leipzig. In den Zeiten des Mauerfalls und der Vereinigung, sollte das noch wichtig werden, dass dort zwei Lebenserfahrungen in einer besonderen historischen Situation miteinander verwoben sein sollten. Und dass einer von beiden, der Kanzler Helmut Kohl, auch die Macht haben sollte, diese Erfahrungen in Politik gießen zu können.

Kohl versuchte schnell Geschichte zu machen

Es ist interessant zu hören, wie sich ihre Söhne, Walter und Peter Kohl auch an diese Zeit erinnern, an die Zeit, als Helmut Kohl schnell versuchte, Geschichte zu machen und die Wiedervereinigung mit dem Ostteil Deutschlands fast überstürzt anging. Das Tempo überraschte damals manchen. Kohls Söhne sind noch heute überzeugt davon, dass die Lebensgeschichte ihrer Mutter, deren Kindheit und Jugend in Leipzig in jenen Umbruchszeiten der Jahre 1989 und 1990 ihren Vater besonders sensibilisiert habe – als sich so plötzlich die Chance für die deutsche Wiedervereinigung ergab.

Manchmal ist es interessant, Geschichte im Rückwärtsgang zu betrachten. Hannelore Kohl ist eigentlich eine Berlinerin. Ihre Eltern lebten im Südwesten der Stadt, sie kam in einer Klinik in Berlin-Schöneberg zur Welt, nicht weit entfernt vom Schöneberger Rathaus, in dem in Mauerzeiten die West-Berliner Regierung ihren Sitz hatte und vor dem Kennedy seinen  berühmten Satz sprach: „Ich bin ein Berliner.“ 

Dort also kam Hannelore Renner zur Welt, und ein Leben später, eigentlich ein Zeitalter später, sollte sie dort wieder sein – nur einen Tag nach dem Mauerfall in Berlin, am 10. November 1989, stand sie mit ihrem Mann und einem Dutzend anderer deutscher Politiker auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses, in ihrer Heimatstadt, in ihrem Heimatkiez. Sie alle sangen ziemlich schräg an diesem Abend: „Einigkeit und Recht und Freiheit.“ Und man wird wohl sowohl Hannelore als aus Helmut Kohl kein Unrecht antun, dass sich beide nicht hätten träumen lassen, dass sie gemeinsam ein paar hundert Meter von Hannelores Geburtsort einmal den Mauerfall feiern würden.

Hannelore Kohl traf ihren Mann beim Tanztee

1948, als Hannelore Renner ihren späteren Mann Helmut Kohl in Ludwigshafen beim Tanztee im Gasthaus „Zum Weinberg“ erstmals sah, da war sie fünfzehn Jahre alt. Sie hatte damals schon so etwas wie einen gesamtdeutschen Lebenslauf hinter sich: in Berlin geboren, in Leipzig aufgewachsen und in der Pfalz gelandet.

Es war kein Zufall, dass sie 1945 in der Pfalz ankam, der Grund war schlicht und einfach der, dass ihr Vater Wilhelm Renner aus Mutterstadt stammte, und glaubte, dort seine Familie nach dem verlorenen Krieg in Sicherheit bringen zu können. Doch das war schwerer, als er dachte, denn der Krieg, den auch er geführt hatte, er hatte auch sein Elternhaus zerstört. So mussten Wilhelm Renner, seine Frau Irene und seine Tochter Hannelore auch in der Pfalz neu beginnen.

„Die verlorene Heimat blieb für sie immer wichtig, auch wenn die Pfalz später ihre zweite Heimat wurde. Aus dem Verlust der Heimat und der deutschen Einheit speiste sich ihre Verbitterung über den Kommunismus. Leipzig blieb für sie immer ihre Heimatstadt, und sie liebte Berlin, eine Stadt, die wir beide sehr mochten.“ Das ist eine sehr persönliche Erinnerung Helmut Kohls, und man liest sie noch einmal anders, wenn man weiß, dass er später in dieser Stadt Berlin, die sie beide doch so mochten, ohne sie lebte. Und man liest sie noch einmal anders, wenn man weiß, dass der Krieg und die Nachkriegszeit noch ganz andere Verstrickungen für Hannelore Renner bereithielt.

Vater von Hannelore Kohl wurde früh NSDAP-Mitglied

Ihr Vater war früh Mitglied der NSDAP geworden, schon am 1. April 1933 trat er in die Partei ein, und diese Mitgliedschaft sollte ihm sehr nützlich werden. Denn Wilhelm Renner wurde nur ein knappes Jahr später Direktor des Leipziger Rüstungskonzerns HASAG.

Aber es war wohl auch so, dass er abseits aller Vorteile, die die NSDAP ihm beruflich bot, auch politisch vom Nationalsozialismus überzeugt war. Auch seine Frau wurde Mitglied der Partei. Diese Familiengeschichte wurde später, als Hannelore Renner längst Hannelore Kohl war, nie eine wirklich große Geschichte in der deutschen Öffentlichkeit – zu viele Deutsche waren ja verstrickt gewesen, zumindest das. Aber sie war immer auch ein grauer Schatten, der auf der Herkunft der Frau des Kanzlers lag.

Auf jeden Fall trafen sich in Ludwigshafen eine Entwurzelte und ein stark in der Pfalz Verwurzelter. Das galt auch für ihre Familien. Hannelore Renners Eltern, denen die Zeit des Nationalsozialismus nicht nur wirtschaftlich Sicherheit bot, fielen ins Nichts. Sie verloren ihren Besitz, ihre bürgerliche Existenz, ihren Hausstand.

Helmut Kohl wurde wichtigste Bezugsperson in Hannelores Leben

Wilhelm Renner, Hannelores Vater, war nicht mehr jung, er war, um das Mindeste zu sagen, nicht unbelastet. Und er war ein Flüchtling. Doch im Mai 1950 hatte er es wieder geschafft. Er wurde Direktor einer Wäschefabrik in Ulm.

Zweieinhalb Jahre hatte er da noch zu leben, im September 1952 starb er plötzlich, gut sieben Jahre nach Kriegsende. Er hinterließ seine Frau Irene und seine Tochter Hannelore. Auf dem Totenbett soll er ihnen noch hinterlassen haben: „Wenn du später etwas zu tun hast, dann sage nie: Ich kann es nicht. Sage vielleicht: Ich kann es noch nicht.“

Helmut Kohl war von da an endgültig die wichtigste Bezugsperson in Hannelores Leben. Und umgekehrt wird das auch gegolten haben. Ihre Lebenswege verstrickten sich immer mehr miteinander, auch wenn sie erst im Frühsommer 1960 heiraten sollten. Immerhin hatte Hannelore schon Mitte der Fünfzigerjahre Helmut Kohls Doktorarbeit getippt, was bereits einen gewissen Hinweis auf ihre zukünftige Rollenverteilung geben sollte. Aber das war gewiss nichts Ungewöhnliches in jener Zeit. Nicht ganz gewöhnlich aber war es, dass das Ehepaar Kohl auch in den gesellschaftlich stürmischen Zeiten der Sechziger- und Siebzigerjahre an dieser klaren Aufteilung festhalten sollte.

Tod von Hannelore Kohls Vater führte zum Studienabbruch

Zumal die Biografie Hannelore Kohls ja schon Anfang der Fünfzigerjahre einen Bruch bekommen hatte, den sie später in ihrer Ehe eigentlich hätte kitten können. Sie hatte im November 1951 in Mainz ein Fremdsprachenstudium aufgenommen, sich also auf den Weg in ein intellektuell und materiell unabhängiges Leben aufgemacht. Doch dieser Weg wurde jäh unterbrochen mit dem Tod ihres Vaters knapp ein Jahr später. Hannelore Kohl musste nun sehen, wie sie sich und ihre Mutter Irene durchbringen konnte.

Sie brach das Studium ab und begann als kaufmännische Angestellte bei der Ludwigshafener BASF. Auch nach der Heirat mit Helmut Kohl und vor der Geburt der Söhne Walter und Peter nahm sie das Studium nicht wieder auf. Sie betreute den Bau des ersten Einfamilienhauses des Ehepaares, holte  ihre Mutter Irene in dieses Haus in der Tiroler Straße in Ludwigshafen und führte fortan das Leben einer nicht berufstätigen Frau. Das war es eigentlich nicht, was ihre Eltern sich  für ihre einzige Tochter vorgestellt hatten.

Spaltung der Familie Kohl schritt fort

Betrachtet man die Herkunft von Helmut Kohl, dann ist es vielleicht durchaus fortschrittlich, wie er, aus dem Milieu einer Ludwigshafener Bauern- und Lehrerfamilie kommend, zu einem für die damalige Zeit eher ungewöhnlichen CDU-Politiker wurde. Zumindest in den Anfangsjahren. Und betrachtet man noch einmal die Herkunft seiner Frau, dann ist es fast tragisch anzusehen, dass das Ehepaar Kohl mit dem Mauerfall im Herbst 1989 nicht auch einen persönlichen Lebenskreis hat schließen können.

Die Berlinerin Hannelore Kohl hätte mit ihrem Mann zurück in ihre alte Heimat gehen können, es wäre ein ganz persönliches Stück deutscher Einheit gewesen. Doch dafür war die Spaltung der Familie Kohl schon zu weit fortgeschritten. Hannelore Kohl blieb auch nach dem Mauerfall dort, wo sie eigentlich nicht herkam, im alten Westen, in der Pfalz, in Ludwigshafen-Oggersheim. Dort starb sie  am 5. Juli 2001, aus eigenem Entschluss.

Ihr Mann hatte sich zu jener Zeit schon in Berlin ein eigenes Leben eingerichtet. Er hatte eine Wohnung in Wilmersdorf bezogen, nicht weit entfernt von dem Ort, wo seine Frau  1933 geboren worden war. Als sie sich schließlich in Oggersheim das Leben nahm, war er dort, wo sie herkam  – in Berlin.