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Tod von Helmut Kohl Helmut Kohl: Europäisches Deutschland statt deutsches Europa

Von Holger Schmale 16.06.2017, 22:18
1990: Bundeskanzler Helmut Kohl (r.), der sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (l.) unterhalten sich am 15. Juli in entspannter Atmosphäre an einem rustikalen Arbeitstisch in der freien russischen Natur.
1990: Bundeskanzler Helmut Kohl (r.), der sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (l.) unterhalten sich am 15. Juli in entspannter Atmosphäre an einem rustikalen Arbeitstisch in der freien russischen Natur. Pool

Wenn Helmut Kohl einen Raum betrat, beherrschte er ihn. Seine mächtige Statur, seine Körpersprache, sein Auftreten waren ein einziger Anspruch: hier bin ich, und ich sage, wo es lang geht. So hat er 16 Jahre lang die Bundesrepublik regiert, das war der politische Raum, den er beherrscht hat. Für diese Phase war Deutschland, erst nur der Westen, dann das ganze Land, das Kohl-Reich. Für viele damals Jüngere schien diese Zeit ewig zu währen; Helmut Kohl, der unendliche Kanzler.

Nun ist er gestorben, mit 87 Jahren, von denen er die letzten Jahre zwar mit wachem Geist, aber körperlich schwer behindert verbringen musste. Das Schlimmste für ihn war, dass er sich nach einem durch einen Sturz verursachten Schädel-Hirn-Trauma nicht mehr gut artikulieren konnte. Dabei hätte er noch so viel zu sagen gehabt, angesichts der politischen Umstürze der letzten Jahre. Sein Ruhm ist seither ein wenig verblasst. Heute Jüngere kennen oft auch nur einen, einen anderen Namen, wenn die Frage nach dem Kanzler, der Kanzlerin gestellt wird: Angela Merkel, die seit bald zwölf Jahren regiert und nun dazu ansetzt, es ihrem einstigen Entdecker und Förderer mit einer vierten Amtszeit gleichzutun.

Merkel hat Kohl menschlich verletzt

Es mag Zufall sein, es mag aber auch dem besonderen Auge Helmut Kohls für politische Talente geschuldet sein, dass er diese Frau schon 1990 in sein Kabinett und in die Spitze der CDU geholt hat. Dass sie ihm zehn Jahre später den entscheidenden Stoß zum Verlust seines politischen Einflusses versetzt hat, hat ihn menschlich verletzt. Machtpolitisch hat er sie bestens verstanden. Er hätte nicht anders gehandelt, um Schaden von der CDU abzuwenden und dabei persönlich noch zu profitieren. Das war die harte politische Schule des Helmut Kohl, die Angela Merkel dort praktiziert hat.

Dass Deutschland immer noch von Angela Merkel regiert wird, hat also etwas mit dem Vermächtnis dieses Mannes zu tun, der die Geschicke seines Landes so nachhaltig wie wenige andere in der jüngeren Geschichte bestimmt hat. Die friedliche und in höchstem Tempo vollzogene Vereinigung der beiden deutschen Staaten und die konsequente europäische Orientierung des vereinigten Deutschland waren die wichtigsten Leistungen des Bundeskanzlers Helmut Kohl.

Kohl wollte ein europäisches Deutschland, kein deutsches Europa

Ohne ihn gäbe es heute den Euro nicht, bei allen Problemen doch eines der wichtigsten Bindemittel der beteiligten europäischen Staaten. Die Aufgabe der D-Mark war der Preis, den die Bundesrepublik für die Akzeptanz dieses neuen mächtigen Deutschland in der Mitte der anderen europäischen Staaten gezahlt hat. Kohl ist diesen Weg gegen große Widerstände gegangen und er hat dabei demonstriert, was politische Führungskraft bedeutet. Sein Credo, ein europäisches Deutschland und kein deutsches Europa zu schaffen, ist heute womöglich aktueller denn je – und die Wirklichkeit weiter davon entfernt denn je. Ähnliches gilt auch für das Verhältnis zu Russland, dessen Pflege Kohl immer ein besonders wichtiges Anliegen war.

Mit Helmut Kohl ist einer der letzten großen Männer der alten Bundesrepublik gestorben, die zugleich Bindeglieder zur neuen, moderneren, mächtigeren Berliner Republik waren. Er stand für einen Politikstil, der mit seiner Neigung zur Kungelrunde im Hinterzimmer den Anforderungen an eine zeitgemäße demokratische, transparente Politik nicht mehr genügt hat. Auf der anderen Seite aber war er ein Politiker, der seiner Menschenkenntnis und seiner Lebenserfahrung oft mehr traute als Umfrageergebnissen und der in gewissem Sinne den Menschen näher war als viele führende Politiker heute.