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Ungeliebtes Zweckbündnis GroKo: Ungeliebtes Zweckbündnis - Die Geschichte der Großen Koalitionen

Von Steven Geyer 21.01.2018, 05:00
Franz Müntefering (SPD) und Angela Merkel (CDU) im Jahr 2007.
Franz Müntefering (SPD) und Angela Merkel (CDU) im Jahr 2007. imago

Große Koalitionen aus Union und SPD sind bei den Parteien nicht sonderlich beliebt und gelten eher als reine Zweckbündnisse. Gerne ist dann von Vernunftehen die Rede. Während sie in den Bundesländern recht häufig vorkamen, gab es Schwarz-Rot auf Bundesebene bisher nur dreimal in der Geschichte der Bundesrepublik.

Das liegt auch daran, dass die großen Volksparteien über Jahrzehnte hinweg fest in ihren jeweiligen Milieus verankert und nicht aufeinander angewiesen waren. Obwohl in anderen europäischen Ländern breite Mehrparteienkoalitionen vollkommen selbstverständlich sind, tut man sich in Deutschland schwer mit politischen Farbenspielen.

Bündnisse wie die GroKo lassen Ränder erstarken

Eine große Koalition erscheint dann doch als die sicherere Option. Demokratietheoretiker warnen allerdings davor, dass solche Bündnisse dazu führen, dass die Ränder erstarken. Das Wahlergebnis vom 24. September 2017 stützt diese These.

In dem Maße, wie auch in Deutschland die Volksparteien stark an Wählern verlieren, wächst der Zwang, Bündnisse einzugehen, die den Regierenden auf den ersten Blick eher unbequem erscheinen. Auch Deutschland wird also politisch bunter: Statt zweier stabiler Lager (Union und SPD) und der FDP als Königsmacher sitzen heute sechs Parteien im Bundestag. Dreimal in der Geschichte der Bundesrepublik wurde Deutschland von einer große Koalition regiert, jeweils unter Führung der Union. Ein Rückblick:

1966 bis 1969

Als am 1. Dezember 1966 in Bonn die erste große Koalition der Nachkriegszeit besiegelt wurde, galt das als historisch. Kanzler wurde der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg Kurt Georg Kiesinger von der CDU, Vizekanzler und Außenminister Willy Brandt. Nachdem die FDP im Streit um die richtige Steuerpolitik das schwarz-gelbe Kabinett von Ludwig Erhard verlassen hatte, verlor dieser zunehmend Rückhalt in der Union. Es schlug nun die Stunde von Herbert Wehner, der die erste große Koalition vorbereitete. Der frühere Kommunist wollte beweisen, dass seine Partei regierungsfähig war – bis dahin war die SPD im Nachkriegsdeutschland immer in der Opposition.

Wehners strategisches Kalkül war richtig, allerdings galt es, große persönliche Antipathien zu überwinden. Brandt und Wehner, die beiden einstigen Emigranten und Gegner der Nationalsozialisten, mussten das einstige NSDAP-Mitglied Kiesinger als Regierungschef ertragen. Auch die kulturelle Kluft zwischen beiden Lagern war riesig, galten die Sozialdemokraten den Konservativen doch als „vaterlandslose Gesellen“ und als Gefahr für die Sicherheit des Landes. 

Sowohl die Union als auch die SPD bewiesen jedoch, dass sie durchaus zu einer Zusammenarbeit fähig waren. Ihre wichtigste politische Hinterlassenschaft war ein Zusatz zum Grundgesetz. Im Mai 1968 erließ die Koalition die sogenannten Notstandsgesetze, um die seit zehn Jahren gestritten worden war. Wegen der negativen Erfahrungen in der Weimarer Republik hatte es bis dahin in der jungen Bundesrepublik keine Regelungen für Krisensituationen wie einen Putsch gegeben. Nun wurde dem Grundgesetz eine Notstandsverfassung beigefügt, die auch Einschränkungen der Grundrechte in einem Krisenfall ermöglichte. Dagegen formierte sich breiter Widerstand, die Studentenbewegung befürchtete ein neues Ermächtigungsgesetz.

Der SPD bekam die Premiere trotzdem gut. Bei der Bundestagswahl 1969 konnte die Union keine absolute Mehrheit erringen, die FDP stand als Partner nicht zur Verfügung. Es begann nun die sozialliberale Ära unter Bundeskanzler Willy Brandt.

2005 bis 2009

Von der zweiten großen Koalition sind zwei Szenen in bester Erinnerung. Die erste spielt sich gleich am Wahlabend ab, dem 18. September 2005: Noch-Kanzler Gerhard Schröder und seine SPD haben die Wahl zwar gegen CDU-Chefin Angela Merkel verloren, aber viel besser abgeschnitten als vorhergesagt. In der TV-Elefantenrunde poltert Schröder: „Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel in dieser Sachlage eingeht, in dem sie sagt, sie möchte Kanzlerin werden?“ Zwei Monate später ist Merkel Kanzlerin und Schröder Geschichte. 

Die zweite Schlüsselszene datiert von Anfang Oktober 2008: Nach der Pleite des US-Instituts Lehman Brothers erschüttert die Bankenkrise die Welt. Die Bundesregierung befürchtet, dass die Deutschen ihre Konten plündern könnten. Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) treten gemeinsam vor die Fernsehkameras: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre  Einlagen sicher sind.“ Der befürchtete Run auf die Banken bleibt aus.

Die Partner sagten damals, dass es eine Koalition für große Aufgaben sei. Franz Müntefering ging für die SPD als Vizekanzler und Arbeitsminister ins Kabinett. Schwarz-Rot verordnete dem Land die Rente mit 67 und dokterte am Gesundheitswesen herum. Als die Bankenkrise ausbrach, ging es nur noch darum, das Finanzsystem und den Euro zu retten und die Konjunktur zu stabilisieren. Statt eines ausgeglichenen Haushalts gab es einen neuen Schuldenrekord.

Die Koalition brachte allerdings drei neue Stars hervor: Einer war der CSU-Mann Karl-Theodor zu Guttenberg. Ein Blender, wie man heute weiß. Der andere war Frank-Walter Steinmeier von der SPD, der hier seine Liebe zur Außenpolitik entdeckte und jetzt Bundespräsident ist. Nummer drei war Ursula von der Leyen (CDU) – damals Familien-, heute Verteidigungsministerin und eines Tages vielleicht die Nachfolgerin Angela Merkels.

2013 bis 2017

Alle Probleme, die die Regierungsbildung derzeit macht, werfen schon in der Wahlnacht des 22. September 2013 ihre Schatten voraus: Erstmals setzt die AfD zum Sprung in den Bundestag an.  Doch weil 2013 sowohl die FDP als auch die Rechtspopulisten an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, schafft die CDU fast die absolute Mehrheit. Doch damals schon mag die SPD nach ihrem schlechten Ergebnis nicht einfach Merkel an der Macht halten, weshalb Parteichef Sigmar Gabriel die Mitgliederbefragung erst als Hürde, aber letztlich als Wegbereiter einführt – und zum Vizekanzler wird.  Daraus ergibt sich, was aus heutiger Sicht die erste Halbzeit der Groko III ist: die SPD als Spielmacher.

Das Ja der Sozialdemokraten muss die Union teuer erkaufen: Augenhöhe bei der Ministeriumsvergabe, Rente mit 63, Mindestlohn, strengere Begrenzung von Leiharbeit,  Mietpreisbremse ... Gabriel feiert die SPD als „Motor der Koalition“ – bis der Sommer 2015 kommt.  Plötzlich kann auch Deutschland nicht mehr die Augen davor verschließen, dass die Krisenherde der Welt Hunderttausende Flüchtlinge nach Europa treiben.

Nach einem Sommer der Willkommenskultur kippt die Stimmung, das Land ist gespalten – das Asylthema dominiert die zweite Halbzeit dieser Groko: CDU und CSU zerstreiten sich, auch die SPD findet bei dem Thema keinen klaren Kurs – bei der Wahl 2017 verlieren beide so stark, dass die Regierungsbildung seitdem noch schwerer ist.  Nach dem die FDP sich einer Jamaika-Regierung verweigert, steht die Groko wieder als Notlösung im Raum.

SPD-Chef und potenzieller Vizekanzler ist Martin Schulz, dessen Partei sich inzwischen aber noch skeptischer zeigt. So verschafft die langwierige Regierungsbildung der dritten Groko eine eigene Sonderrolle im Geschichtsbuch: So weit ist zuvor noch nie eine Interims-Regierung in Deutschland in Verlängerung gegangen.