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Überwachung Gesichtserkennung am Bahnhof Berlin Südkreuz auf freiwilliger Basis gestartet

Von Peter Neumann 01.08.2017, 16:15
Ein Eingang mit Gesichtserkennung, einer ohne: Fahrgäste und Besucher des Bahnhofs entscheiden selbst.
Ein Eingang mit Gesichtserkennung, einer ohne: Fahrgäste und Besucher des Bahnhofs entscheiden selbst. dpa

Berlin - Fahrgäste und Besucher haben die Wahl. Gehen sie durch die blau markierte Tür in den Berliner Bahnhof Südkreuz, nehmen sie an der Erprobung einer neuen Überwachungstechnik teil. Wählen sie den Eingang mit dem weißen Hinweisschild, umgehen sie die Testzone und ihr Gesicht wird nicht gescannt.

Seit Dienstag ist der Bahnhof Südkreuz, der von Fern-, Regionalzügen und der S-Bahn bedient und täglich von mehr als 160.000 Menschen genutzt wird, Schauplatz eines umstrittenen Versuchs.

Das Bundesministerium des Innern und die Bundespolizei erproben dort drei Softwaresysteme zur Gesichtserkennung. Sie wollen herausfinden, ob die Technik geeignet ist, bei der Suche nach Terroristen und anderen Straftätern zu helfen. „Seit Mitternacht sind die Systeme scharf geschaltet“, sagte Jens Schobranski, der Sprecher der Bundespolizei in Berlin.

Es handelt sich um ein Pilotprojekt, das die Innenpolitik beeinflussen könnte. „Wir wollen herausfinden, wie zuverlässig die Gesichtserkennung ist“, sagte Schobranski am Dienstag in Berlin. Könnte die Technik flächendeckend eingesetzt werden? Macht sie dieses Land sicherer?

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ist davon überzeugt. Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung könne gestärkt werden, sagte er. „Unsere öffentlichen Plätze müssen sicher sein.“ Videoüberwachung schrecke ab und helfe bei der Aufklärung von Straftaten.

Es sei nicht schwer gewesen, für den sechsmonatigen Versuch genug Freiwillige zu finden, sagte Schobranski. Rund 300 Menschen, die den Bahnhof oft nutzen, beteiligen sich. Sie mussten sich fotografieren lassen, ihre Porträts wurden in einer Datenbank hinterlegt. Kameras überwachen die markierten Bereiche im Bahnhof. Die Softwaresysteme gleichen die Aufnahmen mit der Datenbank ab. Stellen sie eine Übereinstimmung fest, sollen sie Alarm schlagen.

Automatische Gesichtserkennung am Bahnhof Berlin Südkreuz soll auch mit Sonnenbrille funktionieren

Die Aufnahmen der Testteilnehmer werden maximal ein Jahr lang gespeichert, alle anderen Bilder umgehend gelöscht, hieß es. Drei Softwaresysteme werden erprobt, teilte das Bundespolizeipräsidium mit: Bio Surveillance Next von Herta Security, EXAV-FRS 2.0 von AnyVision und Morpho Video Investigator von L-1 Identity Solutions.

Vor zehn Jahren musste ein Test mit Gesichtserkennung im Mainzer Hauptbahnhof für gescheitert erklärt werden. Doch inzwischen ist die Technik ziemlich weit. „Man müsste sich schon die Hand vor das Gesicht halten, um von der Software nicht erkannt zu werden“, sagte Jürgen Pampus von Cognitec aus Dresden. „Eine Sonnenbrille oder ein Schal sind kein Problem, so lange der zentrale Bereich des Gesichts zu sehen ist.“

Automatische Gesichtserkennung am Bahnhof: Ein Anlassloser Eingriff in die Privatsphäre?

„Für mich war es keine Frage: Ich stelle mich als Testperson zur Verfügung“, sagte Marian Wendt. Der CDU-Bundestagsabgeordnete aus Sachsen steigt oft am Südkreuz um, zum Beispiel, wenn er von seiner Wohnung ins Parlament fährt. Der 32-Jährige zeigt den Transponder, den jeder Teilnehmer mit sich führen soll – ein Sender, der Daten liefert, wann sich sein Besitzer im Bahnhof aufgehalten hat, und der aussieht wie ein Chip für den Einkaufswagen im Supermarkt.

Für Wendt ist klar: Gesichtserkennung dient der inneren Sicherheit. „Es sollte nicht bei der Erprobung bleiben.“ Er hofft, dass es die Technik bald auch in anderen öffentlichen Bereichen gibt, um die Suche nach gefährlichen Personen zu erleichtern. Für ihn ist klar, dass sich auch die Bundesländer bewegen müssen. „Wir brauchen ein einheitliches Polizeirechts-Rahmengesetz“, forderte Wendt.

Test am Bahnhof Berlin Südkreuz: Datenschutzbeauftragte kritisieren automatische Gesichtserkennung

Auch Ulrich Schellenberg ist zum Südkreuz gekommen – allerdings, um das Pilotprojekt zu kritisieren. „Der Feldversuch ist ein weiterer Schritt zu einem Überwachungsstaat, der uns keine Luft zum Atmen mehr lässt“, sagte der Präsident des Deutschen Anwaltvereins.

„Wenn massenhaft Gesichter von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern an Bahnhöfen gescannt werden, dann greift der Staat schwerwiegend in Grundrechte ein.“ Das Scannen führe zu einem „nicht hinnehmbaren Gefühl des Überwacht-Werdens und der Einschüchterung“.

Bernd Schlömer von der Berliner FDP sprach von einem „anlasslosen Eingriff in die Privatsphäre unbescholtener Bürger“, der das Recht auf informationelle Selbstbestimmung weitgehend aushebele. Die Datenschutzbeauftragten der Länder haben im April Tests zur Videoüberwachung mit biometrischer Gesichtserkennung für illegal erklärt.