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Geschichte Geschichte: Wollte Hitler auch nach Argentinien?

26.03.2009, 07:43
Puppe von Adolf Hitler in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett in Berlin (FOTO: DPA)
Puppe von Adolf Hitler in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett in Berlin (FOTO: DPA) dpa

Buenos Aires/dpa. - . «WillHitler Patagonien erobern?», lesen sie reichlich erstaunt. Es ist der31. März 1939, mehrere argentinische Zeitungen drucken einenangeblich von der Deutschen Botschaft in Buenos Aires stammendenBrief an das Kolonialpolitische Amt der NSDAP in München. Darin wirdPatagonien als Niemandsland klassifiziert, das im Handumdrehen zuannektieren sei. Die Argentinier sind in heller Aufregung, siefürchten, dass die vielen Deutschen im Land eine Vorhut, eine Artfünfte Kolonne bilden, die den Weg für Hitlers Argentinien-Abenteuerebnen sollen.

War vor 70 Jahren nach Österreich und der Tschechoslowakei nun dasferne Land am Río de la Plata wirklich das nächste Ziel Hitlers?Wollte man so die deutsche Sehnsucht nach Kolonien erfüllen? DieArgentinier bekommen es mit der Angst zu tun. Seit Jahren hat sichdie Stimmung gegen die rund 230 000 Deutschen und Deutschstämmigen imLand aufgeschaukelt - spätestens seit 20 000 im April 1938 in BuenosAires den «Anschluss» Österreichs gefeiert haben. Patagonien, dieseriesige, menschenleere, von Gletschern und wilder Natur geprägteRegion sei tatsächlich kaum geschützt, stellt man fest.

Im Verbund mit deutschen Emigranten, die vor den Nazis an den Ríode la Plata geflüchtet waren, fordern viele argentinische Zeitungendrastische Maßnahmen. Mitte Mai wird die NSDAP-Landesgruppe verboten.«Die dokumentierten Gerüchte, dass Hitler Patagonien ähnlich wieÖsterreich annektieren wollte, riefen selbst in RegierungskreisenIrritationen hervor», sagt der Kölner Historiker Holger M. Meding.

Es herrschte eine fast hysterische Stimmung, doch das Dokument wareine Fälschung. Verantwortlich: Heinrich Jürges. Aus der NSDAPausgeschlossen, emigrierte er nach Lateinamerika und schloss sich derSchwarzen Front an, einer Gruppe von NSDAP-Dissidenten. Ein Motiv fürdie Fälschung könnte Rache gewesen sein. Der kanadische HistorikerRonald Newton hält es für erwiesen, dass der britische Geheimdienstseine Finger im Spiel hatte und Jürges unterstützt hat, um so dieStimmung gegen die Deutschen anzustacheln. Die Deutsche Botschaftdementiert sofort heftig, dass der Brief von ihr stamme.

Auch das von Schweizern 1889 gegründete «Argentinische Tageblatt»(AT) veröffentlicht das Jürges-Dokument. «Als die Zeitung dengefälschten Brief veröffentlichte, hat sie das nicht gewusst. Späterschon», weist der heutige Herausgeber, Roberto Alemann, den Vorwurfdes bewussten Arbeitens mit Fälschungen im Kampf gegen «Nazi-Umtriebe» zurück.

Die Deutsche «La Plata»-Zeitung, Gegenspielerin des AT undSprachrohr der dem Dritten Reich zugeneigten Deutschen, schäumte. DenZorn bekommt neben dem «Argentinische Tageblatt» auch dieEmigrantenorganisation «Das andere Deutschland» zu spüren.«Pseudodeutsche hetzen mit», titelt die Zeitung. «GeflüchteteVaterlandsverräter treten in Aktion. Wüste Hetze gegen das DritteReich», ist im Untertitel zu lesen.

Die Patagonien-Affäre sei ein markanter Wendepunkt gewesen, sagtder an der Universität Köln lehrende Lateinamerikahistoriker Meding.«Bis zu diesem Zeitpunkt konnte sich der Ableger der NSDAP am Río dela Plata ziemlich frei entfalten, Propaganda betreiben und einengroßen Teil der ansässigen deutschen Gemeinschaft gleichschalten.»

Warum aber fielen die Argentinier so leicht auf die Fälschungherein? «Nun, man muss die damaligen Zeitumstände berücksichtigen»,sagt Meding. «Das 1932 völlig danieder liegende Deutschland hattesich zum grenzenlosen Erstaunen der Argentinier in nur sechs Jahrenzur Hegemonialmacht Europas entwickelt, hatte Österreich und dasSudetenland annektiert und war in die sogenannte Rest-Tschecheieinmarschiert», analysiert der Wissenschaftler und ergänzt: «ImSpanischen Bürgerkrieg hatte man Franco zum Sieg verholfen. Offenwurden nun auch Ansprüche auf Kolonien angemeldet.»

Und die Gerüchte fielen auf fruchtbaren Boden, da es in Teilender Bevölkerung eine Vorliebe für Fantastereien rund um das DritteReich gab, wie mehrere Forscher schreiben. Das ist zum Teil bis heuteso. Recht erfolgreich im Geschäft ist der Hobbyhistoriker Abel Basti,ein viel verkauftes Buch von ihm heißt «Hitler in Argentinien». Erwill eindeutige Beweise gefunden haben, dass Hitler und Gattin EvaBraun per U-Boot 1945 in Argentinien gelandet sind und dort ihrenLebensabend verbracht haben. Der Selbstmord im Führungsbunker seieine «große Inszenierung» gewesen, ist Basti felsenfest überzeugt.