Geschichte Geschichte: Russische und deutsche Soldaten pflegen zusammen Kriegsgräber

St. Petersburg/Kassel/dpa. - Die Realität sieht anders aus:An diesem Samstag wird in der Nähe von St. Petersburg ein deutscherSoldatenfriedhof eingeweiht, der zum ersten Mal von russischen unddeutschen Soldaten gemeinsam angelegt wurde.
«Eigentlich wusste ich gar nicht so genau, was auf mich zukommt»,gibt Benjamin Hoffman zu. Der Frankfurter ist Obergefreiter imWachbataillon in Berlin. Jetzt gehört er zu den neun Wehrpflichtigen,die derzeit im Nordwesten Russlands im Einsatz sind. Freiwillig. «Ichwar noch nie in Russland. Wir dachten uns, dass das bestimmtinteressant wird», sagt der 20-Jährige. «Und das ist es auchgeworden, absolut sogar.»
Es sind gerade einmal 13 deutsche Soldaten, darunter auch vierBerufssoldaten, die in der Nähe von St. Petersburg arbeiten. Und essind auch nur 13 russische Soldaten, die ihnen dabei helfen. «Aber esist ein Meilenstein in der Geschichte der deutsch-russischenVersöhnung», sagt Fritz Kirchmeier vom Volksbund DeutscheKriegsgräberfürsorge. Eine Million deutscher Soldaten sind nachSchätzungen des Verbandes im Zweiten Weltkrieg in Russland gefallen.Nur ein Teil liegt auf Friedhöfen.
«Drei Onkel von mir liegen in Russland. Zwei ganz offiziell, mitZettel; einer wird immer noch vermisst», sagt Jürgen Oettler. Der 45-Jährige ist Oberstleutnant der Bundeswehr und führt die kleine ScharDeutscher an. «Wir sind zusammen mit den Russen wechselseitig imEinsatz: ein paar Tage auf dem russischen, ein paar Tage auf demdeutschen Friedhof», erzählt er. Während es auf dem russischen umAusbesserungen gehe, sei die Arbeit auf dem deutschen Friedhofkomplizierter: «Es hat schon im Krieg deutsche Soldatenfriedhöfegegeben. Die wurden dann natürlich gleich plattgemacht. Diese Leichensuchen wir, um sie würdig und endgültig zu bestatten.» Oft sei da, wovor 60 Jahren noch eine Grabanlage war, heute ein Garten oder eineStraße. «Aber wenn wir dann die Toten finden, liegen die immer nochin Reih und Glied.»
Immer wieder sprechen sich kommunistische Politiker und russischeOffiziersverbände gegen Friedhöfe für «die Faschisten» aus. «FürOkkupanten dürfen keine Gedenkfriedhöfe angelegt werden», sagte derVorsitzende der Offiziersvereinigung, Jewgeni Kopyschew, Ende Juli.Der Moskauer Referent der Kriegsgräberfürsorge, Viktor Muchin, istständig um Ausgleich bemüht: In Russland gebe es inzwischen zwölfgroße Friedhöfe. Immer wieder habe es zuvor Widerstand gegen dieVorhaben gegeben.
Widerstände, die der aus Halle stammende Oettler nicht mehr spürt.«Als ich vor 24 Jahren hier war, wurden wir manchmal noch alsFaschisten beschimpft. Naja, die DDR-Uniform hatte auch den gleichenSchnitt wie die der Wehrmacht. Aber heute spüre ich nichts mehr.»Auch Hoffmann hat, obwohl er sich wie die anderen ständig in Uniformbewegt, nur einmal ein Ressentiment gespürt: «Da fragte mich imMuseum einer provokativ, ob ich von der Wehrmacht sei.» Ansonstenwerde den Deutschen mit großer Neugier begegnet, sagt Oettler: «DasFernsehen war da, die Zeitungen auch. Hier in der Region sind wirschon richtig bekannt.»
Die Neugier gibt es auch auf der deutschen Seite. «Die Russengeben sich unheimlich viel Mühe. Aber wir haben darauf bestanden, beiihnen in der Kaserne zu wohnen», sagt Oettler. Für manchen deutschenWehrpflichtigen sei das ein «bleibendes Erlebnis»: «Sagen wir nur soviel: Die Duschräume sind nicht jedermanns Sache.» Auch Hoffmannbestätigt, dass «alles anders, sehr anders» sei: «Aber der Kontakt zuden russischen Kameraden ist toll.» Über Sprache laufe da wenig, aberirgendwie klappe die Verständigung immer: «Wir haben unseren Spaß.»
Allerdings nicht bei der Arbeit: «Es ist sehr bewegend. Ich denkebei jeder Leiche, dass das mein Opa sein könnte», sagt Hoffmannlangsam. «Aber es ist auch ergreifend. Wenn der Sarg unter der Erdeverschwindet, denke ich manchmal: Jetzt war ich es, der diesemMenschen die letzte Ruhe gegeben hat.» Ein Gefühl, dem sich keinerentziehen könne, sagt auch Hoffmanns Vorgesetzter Oettler, unabhängigvon Alter, Dienstgrad oder Nationalität.