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Geschichte Geschichte: DDR ordnete wegen Stalins Tod 1953 Staatstrauer an

03.03.2003, 09:14
Das Archivbild vom 07.11.2002 zeigt russische Kommunisten, die mit roten Bannern und einem Porträt des Diktators Josef Stalin durch das Zentrum von Moskau ziehen. Obwohl Stalin am Mittwoch (05.03.2003) vor 50 Jahren starb, ist der gebürtige Georgier, der annähernd 30 Jahre lang in einem totalitären Regime über die Sowjetunion herrschte, in Russland immer noch sehr präsent. (Foto: dpa)
Das Archivbild vom 07.11.2002 zeigt russische Kommunisten, die mit roten Bannern und einem Porträt des Diktators Josef Stalin durch das Zentrum von Moskau ziehen. Obwohl Stalin am Mittwoch (05.03.2003) vor 50 Jahren starb, ist der gebürtige Georgier, der annähernd 30 Jahre lang in einem totalitären Regime über die Sowjetunion herrschte, in Russland immer noch sehr präsent. (Foto: dpa) EPA

Leipzig/dpa. - Der DDR-Rundfunk unterbrach sein Programm fürTrauermusik. Ein Nachrichtensprecher verlas mit brüchiger Stimme eineamtliche Todesmeldung: Am 5. März 1953 starb in einer Datscha beiMoskau im Alter von 73 Jahren Josef Wissarionowitsch Stalin. Nach demWillen der Machthaber im Moskauer Kreml sollte nun die ganze Welt umden sowjetischen Diktator trauern.

Der Leipziger Schriftsteller Erich Loest («Nikolaikirche», «Reichsgericht») erlebte jene Tage in seiner Heimatstadt. «Schon zu seinem 70. Geburtstag war Stalin mit ungeheurem Kult gefeiert worden», sagt der 77-Jährige. In Moskau wurde die Leiche öffentlich aufgebahrt. Auch die SED-Machthaber wollten zeigen, dass das DDR-Volk vom Tod des «großen, genialen und weisen Führers der Sowjetunion» tief betroffen war.

«Was mit dem toten Stalin geschah, passte genau in diese Linie»,sagt Loest, der damals noch SED-Mitglied war. In Betrieben undVerwaltungen lagen Kondolenzbücher aus. Flaggen waren auf halbmastgesetzt. In der Leipziger Arbeiter- und Bauernfakultät, wo der 27-jährige Loest hospitierte, hielten Mitglieder der DDR-StaatsjugendFDJ mit einem Luftgewehr im Arm Ehrenwache vor einer Stalinbüste.

«Die Frage, die alle in der DDR bewegte, war: Was soll nunkommen», sagt Loest. «In Wahrheit beschränkte sich die Trauer auf dieSystemtreuen. Etwa ein Fünftel der Menschen standen zur SED, demsozialistischen System und hinter Stalin», sagt der Direktor desZeitgeschichtlichen Forums Leipzig, Rainer Eckert. Der Rest derBevölkerung hoffte auf eine Veränderung. Die Verherrlichung desNachfolgers von Lenin im Kreml über seinen Tod hinaus diente der SED-Führung unter Walter Ulbricht der eigenen Machtsicherung.

«Stalins Verdienst war in unseren Augen, dass er Deutschland vomFaschismus befreit hatte», sagt Loest. Erst viel später habe er vonGräueltaten in sowjetischen Gulags erfahren. «Millionen starben»,sagt Eckert. Nach dem Vorbild Stalins waren auch in der DDR Kritikerdes Systems verschwunden, in Schauprozessen verurteilt worden. DerName des Gefängnisses Bautzen bekam seinen bis heute berüchtigtenKlang.

«Die Situation in der DDR wurde immer angespannter», sagt Loest,damals Vorsitzender des Leipziger Schriftstellerverbandes. Die nachStalins Tod verfügte Erhöhung der Arbeitsnormen in der DDR wurdetrotz erster Proteste nicht zurückgenommen. «Die Arbeiter gingen aufdie Straße», erzählt Eckert, dessen Haus eine Ausstellung zum 17.Juni 1953 gestaltete. «Die Menschen forderten nicht nur die Rücknahmeder hohen Arbeitsnormen», sagt der Politologe. Nach neuestenForschungen gingen die Forderungen auch in den politischen Bereich:freie Wahlen und die Wiedervereinigung Deutschlands.

Blutig schlug die DDR-Führung mit Hilfe sowjetischer Panzer denAufstand nieder. Zum 50. Jahrestag der Ereignisse strahlt die ARDeinen Fernsehfilm aus, für den Loest am Drehbuch mitschrieb. Nach dem17. Juni verlor er seinen Glauben an den Kommunismus. Sein Eintretenfür mehr Demokratie musste er mit sieben Jahren Haft in Bautzenbezahlen. 1981 ging er in den Westen. Erst mit der Wende wurde errehabilitiert.

Mit Stalin und dem Kult um seine Person wurde erst in einerGeheimsitzung auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 abgerechnet. Auchdie SED-Führung folgte der Moskauer Vorgabe. Solche Überspitzungenhabe es bei uns nicht gegeben, behauptete Ulbricht. Die Verbrechenseinerzeit nur der Person Stalins angelastet worden, sagt Eckert.«Eine Auseinandersetzung mit dem Stalinismus als System hat es biszur Wende nicht in der DDR gegeben.»

Der Name Stalin verschwand in der DDR allmählich. Die 1949 zuseinem 70. Geburtstag in Berlin in Stalinallee umbenannte FrankfurterAllee - über diese Straße marschierte 1945 die Rote Armee ein -erhielt erst 1961 wieder ihren alten Namen. Auch das wenige Wochennach seinem Tod im Frühjahr 1953 in «Eisenhüttenkombinat J.W. Stalin»benannte Stahlwerk und die dazugehörige, aus dem Boden gestampfteWohnstadt «Stalinstadt» wurden 1961 zurückbenannt. Denkmäler undBüsten wanderten in Depots.