Geiselnahme im Nordkaukasus Geiselnahme im Nordkaukasus: Banges Warten zermürbt Angehörige der Opfer in Beslan

Beslan/Moskau/dpa. - «Was sollen wir bloß tun?», seufzt Anna, die sich auf zweiFreundinnen stützen muss. Die 35-jährige Ossetin bangt um ihreSchwägerin Regina und deren Kinder Fidar und Iseta. Ein Scharfschützehabe angeblich zwei Kleinkinder als lebende Schilde missbraucht,erzählt sie. Dann bricht die Wut auf die Geiselnehmer aus denbenachbarten Teilrepubliken Inguschetien und Tschetschenien hervor.«Was wollen die von uns?», fragt Anna. «Die Tschetschenen undInguschen sind gar nicht so arm dran, wie es immer heißt.»
Dabei sollen nach Angaben aus der Einsatzleitung nicht nurInguschen und Tschetschenen unter den Terroristen sein, sondern auchOsseten und Russen. Das Geiseldrama lässt alte Feindschaften zwischenden Völkern im Nordkaukasus wieder aufbrechen.
Beslan war bislang eine typische ruhige Kleinstadt mit Verwaltung,der obligatorischen Lenin-Statue und einem Kriegerdenkmal. Imörtlichen Kino lief zuletzt der Vampirfilm «Van Helsing». Doch jetzthaben bösere Geister die Stadt heimgesucht.
Im Kulturhaus kümmern sich Ärzte und Psychologen um die wartendenFamilien. Die Mutter Nona Melikowa hat sich ein Beruhigungsmittelgeben lassen. «Es zerreißt mir das Herz», sagt sie. Ihre SöhneTejmuras (16) und Asamat (14) sind gefangen. Als die Maskierten denSchulhof stürmten, seien einige Klassenkameraden des Älterengeflohen, erzählt die Mutter. Doch Tejmuras habe den jüngeren Brudernicht im Stich lassen wollen.
Der Vater Kasbek Melikow bemüht sich um Fassung, obwohl die Sorgeihm den Hals zuschnürt. «Ich habe sie selbst gestern zur Schulebegleitet. Dann habe ich mich umgedreht, und sie sind in die Schulegegangen», berichtet er. «Hätte ich sie doch nie dorthin gebracht»,klagt sich der Vater selbst an.
Wie die meisten befragten Betroffenen erwartet Melikow nicht vielvon den Sicherheitsbehörden und dem Krisenstab und setzt zugleichdoch alle Hoffnung auf deren professionelles Geschick. «Ich zweifeleund will zugleich nichts Böses denken», sagt der Vater.
Von der Schule sind in der Nacht und im Laufe des Tagesgelegentlich Schüsse und Granatfeuer zu hören. Die Kommunikation mitden Geiselnehmern sei einseitig, berichtet ein Behördenmitarbeiter.«Von denen geht keine Initiative aus.» Man habe Geld, freien Abzugund einen Austausch der Kinder gegen erwachsene Geiseln angeboten,doch die Terroristen hätten alles abgelehnt. Sie wollten auchJournalisten keine Interviews geben, anders als es die Geiselnehmerbei dem Überfall auf das Moskauer Musicaltheater «Nordost» 2002 getanhatten.
Jedes laute Wort irgendwo, jede Erklärung, jedes Gerücht versetztdie Menge in Beslan in Bewegung. Am Nachmittag laufen plötzlichhunderte Menschen gleichzeitig los. «Jemand ist freigekommen!»,pflanzt sich von Mund zu Mund fort. Tatsächlich bestätigt sich, dass26 Geiseln, Frauen mit Kleinkindern, freigelassen worden sind. Dochgroßen Jubel löst selbst diese Freudennachricht nicht aus. Zu vieleKinder sind noch in der Gewalt der Terroristen. Das unerträglicheWarten zwischen Hoffen und Bangen dauert an.



