Erneut Massenproteste Gazastreifen: Ein Toter und mehr als 950 Verletzte an Israels Grenze
Gaza/Tel Aviv - Bei neuen Massenprotesten an Israels Grenze zum Gazastreifen sind am Freitag ein Palästinenser getötet und mehr als 950 verletzt worden. Ein 28-Jähriger sei an einer Schusswunde im Bauch gestorben, teilte das palästinensische Gesundheitsministerium mit. Die meisten der Verletzten litten den Angaben zufolge nach dem Einsatz von Tränengas an Atembeschwerden. Rund 200 Palästinenser wurden den Angaben zufolge durch Schüsse verletzt.
Seit Ende März sind bei Massenprotesten entlang der Gaza-Grenze 35 Palästinenser getötet worden, Hunderte erlitten Schussverletzungen. Anlass des „Marsches der Rückkehr“, der bis Mitte Mai dauern soll, sind die Feiern zum 70. Jahrestag der Gründung Israels. Für die Palästinenser bedeutet Israels Freudentag eine Katastrophe, weil 1948 Hunderttausende Palästinenser fliehen mussten oder vertrieben wurden. Forderungen der heute rund fünf Millionen Flüchtlinge und Nachkommen auf ein „Recht auf Rückkehr“ auf israelisches Staatsgebiet lehnt Israel ab.
Sanitätszelt getroffen
Das palästinensische Gesundheitsministerium teilte am Freitag mit, ein Sanitäterzelt sei direkt von einer Tränengasgranate getroffen worden, zehn Sanitäter hätten mit Atembeschwerden zu kämpfen gehabt.
Rund 10 000 Palästinensern nahmen nach Angaben der israelischen Armee an fünf Stellen entlang der Grenze an Ausschreitungen teil. Sie schwenkten demnach Palästinenserflaggen, verbrannten Reifen und israelische Fahnen. Es habe mehrere Versuche gegeben, die Grenzanlage zu beschädigen oder durchbrechen. Palästinenser hätten auch Brandsätze geworfen.
Die im Gazastreifen herrschende Hamas schicke Leute, um den Grenzzaun zu demolieren, eine zweite Welle von Hamas-Aktivisten versuche dann, nach Israel vorzudringen, sagte Israels Armeesprecher Jonathan Conricus. Man bemühe sich, die Opferzahlen möglichst gering zu halten. „Aber wir können es einer Horde von Randalierern nicht erlauben, nach Israel einzudringen.“
Ein ranghoher israelischer Militärangehöriger sagte am Freitag, die meisten der getöteten Palästinenser seien „Terroristen“ gewesen. Auch der vor einer Woche getötete Fotojournalist Jassir Murtadscha habe ein Gehalt von der radikal-islamischen Hamas erhalten. Entsprechende Vorwürfe Israels waren von palästinensischer Seite vehement dementiert worden. Der Tod des Journalisten hatte weltweit für Empörung gesorgt.
Soldaten sollen auf Beine schießen
Israel hat Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen, es gehe zu hart gegen die Palästinenserproteste vor, entschieden zurückgewiesen. Nach Angaben der Armee haben Soldaten Anweisungen, nur auf die Beine von Palästinensern zu schießen, sofern der Grenzzaun beschädigt oder eigene Soldaten gefährdet werden. Israel hat die Bevölkerung im Gazastreifen immer wieder davor gewarnt, sich dem Grenzzaun zu nähern.
Vor den neuen Protesten hatte Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman die Einwohner des Gazastreifens und die dort herrschende Hamas zu einem Kurswechsel aufgerufen. „Ihr werdet uns niemals brechen“, sagte Lieberman. „Ihr solltet anfangen, nicht mehr darüber nachzudenken, wie ihr den Staat Israel zerstören könnt, sondern wie ihr Seite an Seite mit Israel existieren könnt - das wäre besser für die Einwohner von Gaza, von Israel und die gesamte Region.“
Die Hamas wird von der EU, den USA und Israel als Terrororganisation eingestuft. Sie hat sich die Zerstörung Israels auf die Fahne geschrieben und strebt die gewaltsame Einrichtung eines islamischen Palästinas auf dem Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan-Fluss an.
Scharfschützen schreiben offenen Brief
Fünf ehemalige israelische Scharfschützen drückten in einem offenen Brief „Scham und Trauer“ über die Vorfälle an der Gaza-Grenze aus. Die Mitglieder der Organisation Breaking the Silence (Das Schweigen brechen) kritisierten in dem Schreiben „militärische Befehle, die es Scharfschützen erlauben, scharfe Munition auf unbewaffnete Demonstranten zu feuern“.
Sie fühlten „Scham über die Befehle, denen es an moralischem und ethischem Urteilsvermögen mangelt, und Trauer über die jungen Soldaten, die - wie wir sehr gut aus eigener Erfahrung wissen - für immer die Szenen mit sich herumtragen werden, die sie durch das Visier ihrer Gewehre gesehen haben“.
Ein ranghoher israelischer Militärangehöriger wies die Vorwürfe zurück. „Wir schießen nur, wenn wir schießen müssen“, sagte er. Man unternehme alles, um Verletzungen und Todesfälle zu verhindern. „Es wird versucht, unsere Scharfschützen in Verruf zu bringen - unsere Scharfschützen sind großartig.“
Im Westjordanland verübten mutmaßliche jüdische Extremisten in der Nacht zum Freitag einen Brandanschlag auf eine Moschee. Die Täter hätten die Eingangstür des muslimischen Gebetshauses in dem Dorf Akraba nahe Nablus in Brand gesetzt, teilte die israelische Polizei mit. Außerdem hätten sie in hebräischer Schrift die Worte „Rache“ und „Preisschild“ auf eine Wand gesprüht. (dpa)