G36-Affäre G36-Affäre: Besuch bei Heckler & Koch bietet Stoff für einen Krimi

Oberndorf - Hinter den Männern gibt ein meterlanges Panoramafenster den Blick auf den Schwarzwald frei, grüne Hügel, ein paar Dörfer, kilometerweit ist die Sicht an diesem sonnigen Tag.
Die sechs Männer blicken zur Türe. Sie tragen dunkle Anzüge und rote Krawatten mit eingewebtem Firmenlogo. Auf einem Tisch vor ihnen sind schwarze Tücher ausgebreitet, fünf Gewehre liegen darauf. Durch die Tür kommen Journalisten. Die Männer lächeln freundlich. Einer von ihnen wird später sagen: „Wir befinden uns im vierten Kriegsjahr.“
Die Schwarzwald-Hügel vor dem Fenster sehen sehr friedlich aus. Viele der Männer sprechen ein weiches Schwäbisch. Der Krieg für sie ist ein Krieg um ihr Unternehmen, den Waffenproduzenten Heckler & Koch, einen der Hauptlieferanten der Bundeswehr. Und der oder einer der Gegner, so scheint es jedenfalls, ist ausgerechnet das Verteidigungsministerium.
Im Zentrum der Auseinandersetzung steht ein Gewehr mit dem Kurznamen G36. Es ist das Standard-Sturmgewehr der deutschen Soldaten, die Bundeswehr hat davon 170.000 Stück. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat es gerade als nicht mehr tauglich erklärt, weil es bei Hitze nicht mehr gerade schieße. Heckler & Koch hat viele Vorwürfe ausgehalten oder ausgesessen. Es gab Gerüchte über Waffenexporte in Krisenregionen, es gab Ermittlungen, Hausdurchsuchungen, drohende Pleiten. Heckler & Koch blieb stets zugeknöpft. Es gab keinen Pressesprecher, kaum Interviews, kaum Bilder der Geschäftsführung. In die Firmenzentrale in Oberndorf am Neckar ließ man Mitarbeiter und Kunden. Es war eine Wagenburg.
Heckler & Koch versucht es mit Öffentlichkeit
Nun hat man die Strategie geändert. Heckler & Koch versucht es mit Öffentlichkeit. Ein paar Journalisten sind zur Werksbesichtigung geladen, zwei Mitarbeiter einer Agentur für Krisenkommunikation stehen den Chefs bei. Es gibt eine Führung durch die Fertigungshallen, in denen es nach Öl riecht und wo Martin Lemperle, gelernter Werkzeugmacher und einer der Geschäftsführer, sich lange darüber begeistert, dass eine der Maschinen aus einer Stahlstange in 37 Minuten ein Rohr mit Gewinde und Schraubverschlüssen macht. Man muss nah an ihn heranrücken, um das zu verstehen, es ist sehr laut in diesen Hallen. Aus der Maschine fallen lange Girlanden aus Metallspänen, sie sehen aus wie Faschingsglitzerschlangen. Lemperle sagt, Waffenproduktion sei nicht verwerflich: „Das Problem ist nicht die Waffe. Das Problem ist der Mensch.“ Zwei Stockwerke darüber, mit Aussicht auf den Schwarzwald, erklärt ein anderer Mitarbeiter akribisch die Vorzüge des G36. Es ist zu erfahren, dass die Gewehre Nähmaschinen ähneln, in einem kleinen Bestandteil zumindest.
Ausgerechnet an diesem Tag der Öffnung bestätigt das Verteidigungsministerium, die Firma habe versucht, den Militärischen Abschirmdienst (MAD) gegen missliebige Journalisten in Stellung zu bringen. Das hat angeblich nicht geklappt. Die Strategieänderung, die Einladung der Journalisten, rückt das in ein ganz anderes Licht.
Und der Haupt-Geschäftsführer der Firma, Andreas Heeschen, zieht ein Blatt Papier aus einer schwarzen Mappe und knallt es auf den Tisch. Vier Sätze stehen darauf, in denen das Unternehmen die MAD-Vorwürfe dementiert. „Sind wir in einem B-Klasse-Krimi?“ fragt Heeschen. Er findet sowieso all die Vorwürfe seien nicht anders zu erklären als mit einer Kampagne gegen das Unternehmen. Von wem, warum?
Man könne dazu nichts sagen, sagt Heeschen.
Stoff für Krimi
Die Zutaten des Krimis wären auf jeden Fall vorhanden. Eine Waffenschmiede auf dem Gelände eines ehemaligen Nazi-Zwangsarbeiterlagers, in einem Ort, in dem ein König im 19. Jahrhundert die Waffenproduktion ankurbelte. Ein Finanzinvestor als Firmenchef. Eine Ministerin mit Ambitionen. Es gibt Geheimniskrämerei, Zerwürfnisse auch, die Stimmungslage bei vielen der Beteiligten, die mehr Aggression ist als Empörung.
Da ist das Verteidigungsministerium, wo sich Mitarbeiter über Jahre wilde Kämpfe um das Gewehr G36 geliefert zu haben scheinen, dem Stand. „Der Schriftverkehr macht fassungslos“, sagt ein Verteidigungspolitiker aus Berlin.
Da ist das Schweigen zwischen Ministerium und Heckler & Koch, das herrscht, obwohl der eine ein wichtiger Kunde, der andere ein wichtiger Lieferant ist. Das Unternehmen kommuniziert über öffentliche Stellungnahmen in rüdem Ton. Beim G 36 sei man „bestenfalls lückenhaft, stets verspätet und der Regel nicht eingebunden worden“, den Prüfern bescheinigt man fehlende Fachkompetenz und droht mit Schadenersatzforderungen wegen Rufschädigung.
Im Ministerium heißt es, das Unternehmen stelle unerfüllbare Bedingungen. Sicher scheint zu sein, dass die Studie, mit der das Ministerium die Untauglichkeit des Gewehrs festgestellt hat, dem Unternehmen nicht zur Verfügung gestellt wurde. Erst vor kurzem hat es mal ein Gespräch gegeben, Ministerin von der Leyen kam nicht selbst, sondern schickte ihre Staatssekretärin Katrin Suder.
In der Firmenzentrale führt man Besucher gerne auch an die Waffenwand, Dutzende Gewehre und Pistolen hängen dort in einem fensterlosen Raum. Als letzter Minister war Franz Josef Jung zu Gast, das war 2009.
Politik ist abgerückt
Auffällig ist, wie breit die Politik seither von Heckler & Koch abgerückt ist. Unions-Fraktionschef Volker Kauder, in dessen Wahlkreis das Unternehmen liegt, hat seine Besuche eingestellt.
Das mag mit Parteispenden-Vorwürfen zusammenhängen und mit Heeschens öffentlichem Dank für Kauders Hilfe beim Waffenexport. Oder mit anderen moralischen Skrupeln: Vor ein paar Jahren tauchten Gewehre von Heckler & Koch in mexikanischen Unruheprovinzen, in die sie nach deutschem Recht nicht hätten geliefert werden dürfen. Die Firma dementierte erst, dann bestätigte sie doch und kündigte zwei angeblich verantwortlichen Mitarbeitern. Die haben erfolgreich gegen die Kündigung geklagt. Die Unternehmensführung sagt, man habe nichts mit den Vorfällen zu tun.
In den Gebäuden hängen die Compliance-Vorschriften öffentlich aus. „Lieber verzichtet das Unternehmen auf den Abschluss eines Geschäfts als gegen ein Gesetz, eine behördliche Regelung oder einen ethischen Grundsatz zu verstoßen“, heißt es darin.
Man kann sagen, es waren andere Zeiten mit weniger Sensibilität auch in der Politik. Aber Heckler & Koch hat nach Spanien Waffen geliefert zu Zeiten der Franco-Diktatur in den 50er Jahren. Es waren die Vorläufer der Bundeswehr-Gewehre. Es gab Lizenzverträge für Fertigungen in Portugal und Griechenland, die vom Unternehmen selbst auf Zeiträume datiert werden, wo auch dort Diktaturen an der Macht waren.
Deutliche Umsatzeinbußen
Durch die von der Regierung gerade erst verschärften Rüstungsexport-Regeln hat das Unternehmen deutliche Umsatzeinbußen hinnehmen müssen, 40 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Das ist umso schwieriger, als Heckler & Koch gerade erst aus den roten Zahlen herausgekommen ist. Unter Heeschen wurde eine Anleihe aufgenommen, mit ungewöhnlich hohen Zinsraten von rund neun Prozent. Bei den Rating-Agenturen hat das Unternehmen schlechte Noten. Heeschen will als Ersatz für den Export-Rückgang das Geschäft mit Privatkunden in den USA ausbauen. Bisher hielt man das für keine so gute Idee, weil man fürchtete bei Amokläufen ins Gerede zu kommen.
Heeschen ist Mitte 50, ein Mann mit glatten Gesichtszügen und von freundlicher Distanz. Er hat lange in London gearbeitet, als Finanzinvestor, er hat Firmen gekauft und verkauft, einen Waschmittellieferanten, eine Firma für Gartengeräte. Manche hatten danach Finanzprobleme. Heeschen sagt, es seien keine Arbeitsplätze verloren gegangen und Verluste habe nur er selber gemacht. Wenn er von Heckler & Koch redet, spricht er nicht von Waffen. Er spricht von 700 Beschäftigten, 42 Azubis, von der geringen Personalfluktuation und dem Bau einer neuen Kantine mit drei Menüs und einem Aktionsessen täglich. Seine Krawatte ist blassblau nicht rot, er spricht auch kein Schwäbisch.


