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Fall Edathy Fall Edathy: Läuft Gabriel in die Sarrazin-Falle?

Von Steven Geyer 18.02.2014, 07:53

Berlin - Wie schwer die Vertrauenskrise innerhalb der großen Koalition ist, zeigt, dass sich an diesem Dienstagabend nicht wie geplant der Koalitionsausschuss in größerer Runde trifft – sondern die Parteivorsitzenden in einer Dreierrunde. Immerhin fordern viele CSU-Politiker offen den Rücktritt des SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann, weil der überhaupt erst öffentlich gemacht hatte, wie früh der damalige Innenminister Friedrich (CSU) von Ermittlungen wegen Verdachts auf Kauf von Kinderpornografie gegen den SPD-Abgeordneten Edathy wusste. Friedrich musste deshalb zurücktreten, und auch CSU-Chef Horst Seehofer hat bereits zumindest Konsequenzen und Erklärungen von Oppermann gefordert – das Zusammentreffen im Koalitionsausschuss bleibt ihnen nun erspart.

Die SPD-Spitzenpolitiker versuchen derweil, die Wogen zu glätten. Er könne den Unmut der CSU gut verstehen, sagte etwa der stellvertretende Bundesvorsitzende Ralf Stegner am Morgen im Deutschlandfunk.  Immerhin habe Friedrich „sehr honorige Motive gehabt“, als er SPD-Chef Gabriel über die Ermittlungen informierte. Damit habe Friedrich nicht die Ermittlungen beeinflussen, sondern Schaden vom Land abwenden wollen – indem er verhinderte, dass Edathy etwa Regierungsmitglied wird. SPD-Fraktionschef Oppermann habe aber vergangene Woche keine Alternative gehabt, als den Medien die Wahrheit über die Informationskette zu sagen. Andernfalls hätte man der SPD sehr bald Vertuschung vorgeworfen, so Stegner. „Er hat das gesagt, was er wusste und das ist auch richtig so.“

Im umstrittenen Anruf beim Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, in dem Oppermann sich die Informationen bestätigen lassen wollte, sieht Stegner kein Problem. „Anrufen darf da jeder“, sagte er. Es komme darauf an, dass es keinen Geheimnisverrat gebe - und den habe es durch Ziercke auch nicht gegeben.

Wie am Vortag SPD-Chef Gabriel betonte auch Stegner im Deutschlandfunk, dass die Partei sich von ihrem Ex-Abgeordneten Sebastian Edathy distanziert. Er habe „Dinge (getan), von denen wir nicht wollen, dass sie ein Abgeordneter tut und von denen sich jeder, der bei Verstand ist, distanziert“. In der Sache müsse man deshalb prüfen, ob gesetzliche Grenzen so verschärft werden, dass man auch bisher legale Bilder nackter Kinder und Jugendlicher nicht länger kaufen dürfe.

SPD-Vorstand will Edathy aus Partei werfen

So begründete Stegner auch das Partei-Ordnungsverfahren gegen Edathy, das der SPD-Vorstand am Montag einstimmig beschlossen hatte. Unabhängig, ob Edathy an dessen Ende tatsächlich aus der SPD fliegt, müsse „ganz klar sein, dass das nicht mit unserem Grundverständnis vereinbar ist“, so Stegner.

Das erinnert allerdings stark an den Fall Sarrazin, der für die SPD in einer heftigen Blamage endete. Zwei Parteiausschlussverfahren überstand der Sozialdemokrat und damalige Bundesbanker – und das, obwohl 2010, beim zweiten Mal, SPD-Chef Gabriel sich persönlich ins Zeug legte, um Sarrazin wegen seines umstrittenen Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“ loszuwerden. In einem großen Zeit-Artikel erklärte Gabriel seinerzeit, „warum die SPD einen Thilo Sarrazin in ihren Reihen nicht dulden kann“ (http://www.zeit.de/2010/38/SPD-Sigmar-Gabriel). Sarrazin führe keine Integrations-, sondern eine Selektionsdebatte. Der „Hobby-Eugeniker Sarrazin und seine medialen Helfershelfer“ seien dabei, Theorien der staatlichen Genomauswahl wieder „salon- und hoffähig“ zu machen. „Andere und Schlimmere“ würden sich noch darauf berufen. Die SPD wolle sich damit nicht in Verbindung bringen lassen.

Doch wie bereits nach einem Interview, in dem Sarrazin gegen Zuwanderer, Hartz-IV-Empfänger und Berlin ausgeteilt hatte und das ihm ein Parteiordnungsverfahren seines Berliner SPD-Kreisverbandes eingebracht hatte, wehrte sich Sarrazin gegen den Rauswurf. Beide Male erfolgreich: Zuletzt 2011 wurde das Ordnungsverfahren nach einer Anhörung und einer persönlichen Erklärung Sarrazins eingestellt. Sarrazin gelobte, dass er alle Kinder als Menschen für gleichwertig halte und bekannte sich zu den Grundsätzen der Sozialdemokratie. Was die SPD-Spitze als „gütliche Einigung“ verkaufte, war nicht weniger als eine Niederlage für Gabriel und andere aus dem SPD-Vorstand.

Die aktuelle Pointe: Zu denen, die damals Unverständnis für den Verbleib Sarrazins in der SPD äußerten, zählte nicht nur Präsidiumsmitglied Ralf Stegner. Auch der damalige Innenexperte der SPD-Bundestagsfraktion drohte Sarrazin, falls dieser „sich erneut biologistisch äußern sollte, wäre sein Ausschluss aus der SPD unumgänglich.“ Sein Name: Sebastian Edathy. Die SPD könnte bei dem Parteiausschlussverfahren gegen ihn vor einem ähnlichen Problem stehen wie bei Sarrazin: Was man ihm bislang vorwirft, ist legal. Und parteischädigend ist erst die Öffentlichmachung gewesen, die Edathy ganz sicher selbst nicht wollte.

Debatte um Strafen für Kauf von Kinder-Nacktfotos

Dass Edathy inzwischen selbst eingeräumt hat, Nacktfotos von Kindern gekauft zu haben, die jedoch legal seien, hat derweil Rufe nach einem härteren Vorgehen gegen Kinderpornografie ausgelöst. Der Deutsche Kinderschutzbund will bereits den Kauf oder Verkauf von Fotos mit nackten Kindern generell unter Strafe stellen. „Es ist ein schwerer Verstoß gegen die Menschenwürde, wenn Fotos von Kindern vermarktet oder gekauft werden“, sagte Verbandspräsident Heinz Hilgers dieser Zeitung. Allerdings dürfe der Kauf oder Verkauf solcher Bilder nicht in gleicher Weise bestraft werden wie Kinderpornografie. „Da muss es einen graduellen Unterschied geben.“ Außerdem müsse aufgepasst werden, „dass man nicht Dinge kriminalisiert, die zum alltäglichen Leben gehören“, beispielsweise Fotos von Kindern am Strand, die von Eltern gemacht werden.

So sieht es auch der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig. „Der Fall Edathy zeigt klar, dass es hier eine Gesetzeslücke gibt“, sagte er der „Welt“. Diese Lücke müsse geschlossen werden: „Wenn Darstellungen von Kindern erzeugt werden, um sexuelle Interessen von Erwachsenen zu befriedigen, muss dies im Sinne eines besseren Kinderschutzes strafrechtlich sanktioniert werden.“

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter Strafen (BDK) hält zudem die Strafen im Bereich Kinderpornografie für zu niedrig. „Es kann nicht sein, dass in den überwiegenden Fällen von Kinderpornografie eine Einstellung oder eine kleine Geldstrafe erfolgt“, sagte der BDK-Bundesvorsitzende Andre Schulz zu Handelsblatt Online.  Der Opferschutz sei hier besonders wichtig, zumal sich hinter jedem Bild ein Schicksal verberge. Die Kinder würden teilweise schwer traumatisiert.