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Extremismus Extremismus: Neonazis mit Palästinensertuch

Von Johanna Kramer 10.05.2004, 05:39
Neonazis auf einer Demonstration in Leipzig (Foto: MZ-Archiv)
Neonazis auf einer Demonstration in Leipzig (Foto: MZ-Archiv) dpa

Berlin/dpa. - Früher war es einfach. Neonazis trugenSpringerstiefel, die Antifa das Palästinensertuch. Heute kann esumgekehrt sein. Ein Teil der rechten Szene greift ganz bewusst auf Kennzeichen der linken Gegner zurück, wie auch auf der NPD-Demonstration am 1. Mai in Berlin zu sehen war. Die Gesinnung istlängst nicht immer an der Garderobe zu erkennen. Firmen, die zuUnrecht als Nazi-Marken gelten, sind froh über diesen Wandel.

Das Palästinensertuch tragen Neonazis zum Beispiel, um ihrenAntisemitismus auszudrücken, berichtet Birgit Jagusch, Referentinbeim Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeitin Düsseldorf. Einige Rechte geben sich bewusst «brav und bieder» inJeans und Jackett, andere bleiben bei der martialischen Bomberjacke.

Es geht um die Frage, ob man sich abgrenzen oder integrieren soll.«Das ist noch nicht entschieden», sagt Jagusch. Sie hat bei Rechtenmanche Anleihen aus der linken Szene beobachtet, beispielsweise Rosa-Luxemburg-Zitate oder sogar Musik der legendären alternativen BandTon, Steine, Scherben. Für Jagusch sind das Versuche, in dengesellschaftlichen Mainstream zu gelangen.

In punkto Garderobe hat sich einiges getan: Die «taz» sprichtbereits von «des Neonazis neuen Kleidern». «Man sollte genauhingucken», meint Henning Flad, Politikwissenschaftler an derUniversität Viadrina in Frankfurt (Oder), der sich intensiv mit denKleidercodes befasst hat. «Auf keinen Fall ist jeder Jugendliche, derLonsdale trägt, als Neonazi abzustempeln». Früher war die britischeTraditionsfirma in der rechten Szene beliebt, weil bei aufgeknöpfterJacke «NSDA» zu lesen war. Heute gilt ein anderes Label in der Szeneals beliebter: Consdaple - der Mittelteil ergibt auf der Brust:«NSDAP». Auch T-Shirts mit Bandnamen wie Landser oder Screwdrivergehören laut Flad ins rechte Milieu.

Lonsdale wehrt sich mit Multi-Kulti-Aktionen gegen die brauneKundschaft. Die Firma sei froh, das rechte Image loszuwerden, sagtSprecher Tobias Heupts. «Das ist uns wichtig.» So sponsert Lonsdaleein afrikanisches Fußballteam in Düsseldorf oder engagiert sich aufStraßenfesten in Sachsen für Zivilcourage. Das Label Ben Shermansieht sich ebenfalls zu Unrecht mit der rechten Szene in Verbindunggebracht - der Vorwurf sei «Schwachsinn», heißt es in einem BerlinerLaden. Überhaupt sind vermeintliche Nazi-Marken wie Fred Perry auchbei Schwulen beliebt, berichtet ein Ladenbesitzer aus dem PrenzlauerBerg. «Es gibt ja auch schwule Skinheads.»

Mit den Dresscodes geht es also munter durcheinander. Die MarkePit Bull wird sowohl von Neonazis, als auch von türkischenJugendlichen getragen. Vereinzelt gibt es sogar Rechte, die wie Punksaussehen, berichtet Jagusch. Und wie erkennt man, ob beispielsweiseein Skinhead der rechten, linken oder homosexuellen Szene angehört?«Das ist 'ne gute Frage», sagt die Referentin. Hinweis auf einerechtsgerichtete Gesinnung können ihr zufolge Aufnäher mit derZiffernfolge «88», die «Heil Hitler» bedeutet, oder Marken wie«Masterrace» (Herrenrasse) sein.

Auf die Farbe der Schnürsenkel bei Springerstiefeln ist jedenfallsauch kein Verlass mehr, wie Szene-Kenner berichten. Rot kann bei denLinken für Anarchie stehen, bei den Rechten für Blutrache.