Extra Extra: PDS I: Turbulenzen erreichen die Basis
Halle/MZ. - Frank Baier kämpft gegen die Tränen. "Ich habe drei Tage lang überlegt", sagt der Vorsitzende des PDS-Stadtvorstandes Halle mit zitternder Stimme. "Drei Tage", wiederholt der 40-Jährige und hält den Atem an. Und dann ruft er trotzig-entschlossen in die Runde: "Ich werde nicht aus der PDS austreten! Auch wenn ich nun in einer Minderheitenposition bin."
Für einen Moment herrscht betretenes Schweigen unter den etwa 30 Genossen aus den halleschen Basis-Organisationen. Sie haben sich an diesem verregneten Mittwochabend im engen PDS-Büro eines Halle-Neustädter Wohnblocks zusammengefunden. Um zu reden. Über den PDS-Bundesparteitag vom Wochenende, die Wiederwahl Gabi Zimmers zur Chef-Genossin und die Abfuhr, die das "Reformlager" von einer Mehrheit der Delegierten in Gera erhalten hat.
Als Baier das Wort ergreift, da haben die meisten seiner Vorredner schon klar gemacht, dass sie "auf Gabis Seite" stehen. Und dass der "verwaschene Sozialismus" in der PDS endlich wieder "erkennbar gemacht werden muss", wie es etwa Rainer Sievers fordert. Gysi habe sich zwar oft auf die Klassiker wie Marx, Engels und Mehring berufen, gesteht der Mann mit Pferdeschwanz dem prominentesten Partei-Privatier zu, lässt aber Zweifel an dessen wahrer Gesinnung erkennen. "Wir müssen uns wieder theoretisch auseinandersetzen und den Unterschied zur Sozialdemokratie verdeutlichen", mahnt Sievers, während er den Bogen von den französischen Kommunarden über den Gothaer Parteitag der Kommunisten bis zum Kampf der kommunalen PDS für ein Heinrich-Heine-Denkmal in Halle spannt.
Für eine ältere Genossin aus der Südstadt steht fest, "dass uns das Gerede, die PDS würde Schröder zum Kanzler wählen, die vielen Entschuldigungen für die SED-Vergangenheit und die Anbiederung an die SPD geschadet haben". Sie sei deshalb froh, dass die dafür Verantwortlichen "nun nicht mehr im Bundesvorstand vertreten sind".
Andere sind darüber empört, dass das unterlegene Reformlager der Vorsitzenden Zimmer und ihren Anhängern vorwirft, sie wollten die Partei auf Oppositionskurs trimmen und weniger auf das Mitregieren setzen. Alles Unterstellung! Und deshalb herrscht auch Unmut darüber, dass etwa Gysi die PDS unter Zimmer auf dem Weg "in die Selbstisolation und Bedeutungslosigkeit" sieht. Auch die Einschätzung von Sachsen-Anhalts PDS-Landeschefin Rosemarie Hein, wonach "Gera ein Sargnagel für die PDS war", sorgt für Ärger. "Das schadet uns", findet nicht nur Ines Budnik und fordert zum "kulturvollem Umgang miteinander" auf.
Das verlangt auch der Wittenberger Matthias Gärtner, der für die PDS im Magdeburger Landtag sitzt und als Gast seinem Parteifreund Baier beistehen will. "Ich habe in der Minderheitenposition Respekt vor dem Mehrheitsbeschluss", sagt er und pocht umgekehrt auf Respekt für seine Position. "Ich lasse mich nicht in die Loyalität zwingen." Gera, zieht Gärtner sarkastisch Bilanz, habe nur einen einzigen konkreten Beschluss für das politische Handeln gebracht: die Freiheit für Egon Krenz zu fordern. "Wir können ja mal nebenan klingeln, wen das interessiert!"
Die Turbulenzen von Gera sind ins Halle-Neustädter PDS-Büro geschwappt, wo sich das Gummibäumchen im Wandregal den Topf mit zwei PDS-Fähnchen und einem stillstehenden roten Windrädchen teilt. Doch still will Frank Baier nicht werden. "Ich will die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen und die Gräben einfach zuschütten, sondern kämpfe weiter. Mit offenem Visier. Für Reformen."