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Ex-SED-Funktionär und Mauer-Öffner Ex-SED-Funktionär und Mauer-Öffner: Günter Schabowski ist tot

01.11.2015, 11:15
Der Ex-SED-Funktionär Günter Schabowski starb am 01. November 2015.
Der Ex-SED-Funktionär Günter Schabowski starb am 01. November 2015. dpa Lizenz

Berlin - Vor 26 Jahren verkündete er fast beiläufig die Öffnung der Mauer. Nun ist der Ex-SED-Funktionär Günter Schabowski in einem Berliner Pflegeheim im Alter von 86 Jahren gestorben, wie seine Witwe Irina Schabowski der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag mitteilte. Schabowski war seit langem schwer krank, wurde betreut und trat nicht mehr öffentlich auf.

Als Mitglied des Politbüros hatte er am 9. November 1989 für eine Weltsensation gesorgt: Er verkündete auf einer Pressekonferenz die Öffnung der Berliner Mauer. Als SED-Politbüro-Mitglied hatte er eine neue DDR-Reiseverordnung vorgestellt, nach der künftig Reisen in den Westen erlaubt werden sollten. Auf Nachfrage stammelte Schabowski vor laufenden Kameras: „Das tritt nach meiner Kenntnis... ist das sofort... unverzüglich“. Die Nachricht machte rasend schnell die Runde, noch in der Nacht fiel die Mauer.

Schabowski, der dann 1990 aus der SED-Nachfolgepartei PDS ausgeschlossen wurde, bekannte sich im Gegensatz zu vielen anderen DDR-Politgrößen zu Mitverantwortung und moralischer Schuld. Die DDR sei ein untaugliches System gewesen und an sich selbst zugrunde gegangen, bekannte er.

Das Berliner Landgericht verurteilte ihn im August 1997 als Mitverantwortlichen für das menschenverachtende DDR-Grenzregime zu drei Jahren Haft wegen Totschlags. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil. Schabowski wurde im September 2000 begnadigt und nach weniger als einem Jahr aus dem offenen Vollzug aus dem Berliner Gefängnis Hakenfelde entlassen.

Der Zettel, der ihn berühmt machte

Ein Dokument, das den entscheidenden Moment der jüngeren deutschen Geschichte festhält, ist Günter Schabowskis Sprechzettel. Mit ihm ging er am Abend des 9. November 1989 in die Pressekonferenz, die alles verändern sollte. Eine Kopie dieses Zettels befindet sich seit langem im Besitz des Hauses der Geschichte in Bonn. Das Original galt bis zu diesem Frühjahr als verschollen.

„Bis ein Herr bei uns auftauchte, der die Kopie in der Dauerausstellung gesehen hatte“, berichtet Peter Hoffmann, der Pressereferent des HDG. „Er fragte eine Mitarbeiterin, ob es sich bei dem Zettel um das Original handele. Das mussten wir verneinen.“ Eben jener Herr, der nicht genannt werden möchte, hat dem Haus der Geschichte im April 2015 das Original verkauft - für 25.000 Euro. „Es handelt sich um eine Person aus dem weiteren Umfeld von Schabowski. Offenbar hatte der den Zettel zunächst einem Bekannten gegeben, dessen Namen wir auch nicht kennen. Mr. X hat ihn dann unserem Verkäufer überlassen“, so Hoffmann.

Den Zettel selbst und den Verlauf der Pressekonferenz versteht nur, wer weiß, dass Schabowski den entscheidenden Teil einer Sitzung des ZK der SED verpasst hatte, das vor, während und nach der Pressekonferenz tagte. In der Zeit der Abwesenheit Schabowskis verlas Egon Krenz die zuvor im Innenministerium der DDR verfasste neue Reiseregelung. Erst kurz vor der Pressekonferenz, die um 18 Uhr begann, kehrte Schabowski in die Sitzung zurück. Krenz schob ihm den Text mit den Worten zu: „Nimm das mit in die Pressekonferenz.“ Auf Schabowskis Sprechzettel findet sich die Notiz „Verlesen Text Reise-regelung Extra“.

Ein Kommunikationsfehler

Eben das aber tat Schabowski erst zum Ende der Pressekonferenz gegen 18.50 Uhr, und zwar auf Nachfrage des italienischen Journalisten Riccardo Ehrmann. Der Bild-Redakteur Peter Brinkmann ruft dazwischen: „Wann?“ Darauf setzt Schabowski zum folgenreichsten Gestammel der Nachkriegsgeschichte an: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich …“

Die Reiseregelung war vom Innenministerium mit einer Sperrfrist bis 10. November, 4 Uhr morgens versehen worden. Doch das wusste Schabowski nach eigenem Bekunden nicht. Ebenso wenig war ihm der Text der Reiseregelung bekannt. Die Maueröffnung stand am Ende einer Kette von Kommunikationsfehlern.

Die Beschlussvorlage des DDR-Ministerrats zur neuen Reiseregelung und die dazu gehörende Pressemitteilung befinden sich seit 1990 im Bundesarchiv. Die Tonaufzeichnung der Pressekonferenz, der Beschluss des DDR-Ministerrats sowie wenige andere Dokumente zum Fall der Berliner Mauer sind inzwischen in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen. Nun kommt auch Schabowskis Zettel zu Ehren. Eine persönlich unterschriebene Authentizitätsbescheinigung liegt vor.

Nach „Verlesen der Reiseregelung“ steht „noch Fragen“ auf dem Zettel. Hoffmann interpretiert diese Notiz als Hinweis auf die neue Praxis in Pressekonferenzen der späten DDR, Fragen überhaupt zuzulassen. Möglicherweise gibt Schabowskis Zettel den Historikern mehr Antworten als sein Urheber. (blz/dpa)

Von diesem Zettel las Günter Schabowski auf einer Pressekonferenz am 9. November 1989 die neue Regelung für Reisen ins westliche Ausland für DDR-Bürger ab. Daraufhin brach ein Massenansturm von DDR-Bürgern auf die Grenze nach West-Berlin aus.
Von diesem Zettel las Günter Schabowski auf einer Pressekonferenz am 9. November 1989 die neue Regelung für Reisen ins westliche Ausland für DDR-Bürger ab. Daraufhin brach ein Massenansturm von DDR-Bürgern auf die Grenze nach West-Berlin aus.
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