Europa Europa: Die Hüter der Menschenrechte

Straßburg/dpa. - Doch dieschnellere Abwicklung der Verfahren, die die Reform am 1. November1998 bringen sollte, ist selbst schon wieder reformbedürftig. DieRichter stöhnen über Arbeitsüberlastung und Abhilfe ist so schnellnicht in Sicht.
Grundrechtsverletzungen in den 47 Europaratsländern - hinterdiesem Begriff verbergen sich getötete oder verschwundene Kurden inder Türkei oder russische Militäraktionen gegen Tschetschenen undneuerdings Klagen aus den Konfliktgebieten in Georgien nach dem Krieggegen Russland im vergangenen August.
«Sobald ein Krieg ausbricht, kommt es zu schwerenMenschenrechtsverletzungen, und der Gerichtshof muss mit einer neuenFlut von Beschwerden rechnen», sagt Costa. In derartigen Fällenverurteilt der Gerichtshof vielfach die angeklagten Staaten zurZahlung von Schmerzensgeldern, was sich auf die Dauer als rechtwirksam erweist. Die Regierungen seien vor einer Verurteilung durchdie Straßburger Richter verstärkt um gütliche Einigungen bemüht, sagtder Präsident. Langsam aber sicher bessere sich die Lage derMenschenrechte in Europa. «In den letzten Jahren ist viel passiert»,sagt er.
Die deutsche Richterin Renate Jäger betont die Verbesserungen desProzessrechtes, die die Urteile des Gerichtshofes bewirkt haben. «InDeutschland hat heute jeder Ausländer vor Gericht einen Dolmetscher»,sagte sie. «Das war früher keine Selbstverständlichkeit».In derTürkei gibt es weniger Verfahren vor Militärgerichten und inFrankreich sind die Vertreter des Staates aus den Beratungssitzungenvon Richtern ausgeschlossen worden.
Bis zu seiner Reform war dem 1959 gegründeten Gerichtshof eineKommission als erste Instanz vorgeschaltet, die zu Doppelarbeitführte. Die Reform hat zwar gehalten, was sie versprochen hat: dieVerfahren wurden vereinfacht und beschleunigt, doch mittlerweile istdie Beschwerdeflut, auch durch die Aufnahme neuer Mitgliedsländer, sostark angewachsen, dass eine neue Reform überfällig erscheint.
Am 1. Oktober dieses Jahres waren fast 80 000 Beschwerden inStraßburg anhängig. «Das sind fast 100 Mal so viele wie vor zehnJahren», sagt Jäger. Diese Zahl ist in der Tat enorm wenn manbedenkt, dass 80 Prozent aller Klagen bereits an der Hürde derZulässigkeitsprüfung scheitern.
Aufgabe der 47 Richter ist es, sich um Einzelfälle zu kümmern,auch wenn sich diese wiederholen: überlange Justizverfahren inItalien, Entschädigungsforderungen für verstaatlichtenGrundbesitzin Rumänien oder Polizeigewalt in Gefängnissen müssen immer wiederverhandelt werden. Deshalb fordern Anwälte, auch Gruppenklagenzuzulassen, bei denen spezifische Rechtsverletzungen gebündelt werdenkönnten. «Die Menschenrechtskonvention hat keine derartigeBestimmung. Wir versuchen aber Beispielfälle aufzustellen, die fürähnliche Verfahren als Vorbild dienen können», sagt Costa.
EinReformvorhaben, mit dem unzulässige Beschwerden schnellerabgewiesen werden könnten, wird derzeit von Russland blockiert, dasdem Gerichtshof misstraut und eine Benachteiligung vermutet, weil dieRegierung in Moskau relativ häufig am Pranger steht. In absehbarerZeit, so Costa, sei aus Moskau kein positives Signal zu erwarten.