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Erfurt Erfurt: Massaker wahrscheinlich seit Monaten geplant

30.04.2002, 06:04
Infografik zum Ablauf des Amoklaufs
Infografik zum Ablauf des Amoklaufs dpa

Erfurt/dpa. - Mehrere Zeitungen erschienen am Dienstag mit Trauerflor auf derTitelseite und halbseitigen Traueranzeigen. «Der Freistaat Thüringentrauert um die Opfer des entsetzlichen Verbrechens», schreibtMinisterpräsident Bernhard Vogel (CDU). Im «Stern» widmete einSchüler einem der getöteten Lehrer einen Abschiedsbrief: «Ich hoffe,dass es einen Himmel gibt, in dem Sie spüren, dass wir alle an Siedenken.» In Mainz kamen 1500 Schüler zu einem Gedenkgottesdienst fürdie Opfer des Amoklaufes am Gutenberg-Gymnasium in der PartnerstadtErfurt zusammen. Die bundesweite Opferschutzorganisation Weißer Ringbot allen Betroffenen psychologische Soforthilfe an.

Die Ermittler versuchen weiter, sich ein Bild über das Leben desTodesschützen vor der Tat zu machen. Nach seinem Verweis am 1.Oktober 2001 wegen Urkundenfälschung hatte Robert Steinhäuser lautden Schulakten das Angebot, an anderen Gymnasien Abitur zu machen. Erhatte zuvor die 11. Klasse freiwillig wiederholt. Der volljährigeSteinhäuser wollte seine Eltern selbst informieren, tat das abernicht. Es sei «so gut wie endgültig sicher, dass es keinen zweitenTäter gebe», sagte Vogel weiter. Alle Kugeln in den Körpern der Opferstammten aus der einen Waffe des Täters.

In der Debatte um die Konsequenzen nach dem Amoklauf sprach sichJugendforscher Klaus Hurrelmann gegen ein Verbot von Videospielenaus. «Verbote bewirken wenig», sagte der Bielefelder Experte derEssener «Westdeutschen Allgemeinen Zeitung». Gewaltdarstellungenkönnten einen Prozess beschleunigen, die Ursache seien sie aber nie.Steinhäuser soll Gewaltspiele auf dem Computer gespielt haben.

Mit Blick auf die Berichterstattung warnte Psychotherapeut undLehranalytiker Wolfgang Schmidbauer vor verheerenden Folgen. «Wirmüssen uns klar darüber sein, dass wir mit jedem spektakulärenBericht über die Rache eines Namenlosen an seiner kränkenden Umweltfür andere Gekränkte etwas tun, was sich mit dem Einbau des Zündersin eine Bombe vergleichen lässt», sagte er den katholischenWochenzeitungen der Nord-Ostdeutschen Verlagsgesellschaft.

Der für Sammelklagen bekannte Münchner Rechtsanwalt Michael Wittiforderte Schadenersatz für Hinterbliebene und Geschädigte desSchulmassakers. Der Anspruch soll sich zunächst gegen die Behördenrichten, die gegebenenfalls die Zuverlässigkeit des Todesschützenfalsch eingeschätzt hätten, dem Waffenbesitzkarten ausgestellt wordenwaren. Aber auch Klagen gegen den Sportverein, in dem Steinhäuser alsSportschütze eingetragen war, schloss Witti zunächst nicht aus. DieEltern eines getöteten Schülers hatten sich an ihn gewendet.

Eine Internet-Seite, die angeblich von Steinhäuser stammt, erwiessich als Fälschung. Die Polizei dementierte einen vorab verbreitetenBericht der «Zeit», wonach der 19-Jährige auf der inzwischengelöschten Website seine Gewaltfantasien verbreitet hatte.

Haupteingang des Erfurter Gutenberg-Gymnasiums eine Woche nach dem Amoklauf (Archivfoto: dpa)
Haupteingang des Erfurter Gutenberg-Gymnasiums eine Woche nach dem Amoklauf (Archivfoto: dpa)
dpa