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Umsturz im Niger „Ein Putsch zuviel“: Westafrika berät über Militäreinsatz

Ein „Putschgürtel“ von Militärregierungen zieht sich durch Afrika. Vor gut zwei Wochen gab es noch eine Ausnahme: den Niger. Nun erwägt die Ecowas drastische Schritte gegen die jüngsten Putschisten.

Von Christina Peters, Carsten Hoffmann, Sam Olukoya und Djibo Issifou, dpa Aktualisiert: 10.08.2023, 18:39
Lastwagen stehen an der Grenze zwischen Nigeria und Niger.
Lastwagen stehen an der Grenze zwischen Nigeria und Niger. Mohammed Babangida/AP/dpa

Niamey/Abuja - Zwei Wochen nach der Machtübernahme des Militärs im Niger hat die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas am Donnerstag über das weitere Vorgehen gegen die Putschisten beraten.

„Es ist unsere Pflicht, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um eine rasche Rückkehr zu einer verfassungsmäßigen Regierungsführung im Niger zu gewährleisten“, sagte Nigerias Präsident Bola Tinubu zum Auftakt des Ecowas-Gipfels. „Bedauerlicherweise hat die siebentägige Frist, die wir während des ersten Gipfels gesetzt haben, nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt.“ Er betonte erneut, dass Diplomatie Vorrang habe.

Unter dem Vorsitz von Tinubu hatte die Ecowas kurz nach dem Putsch weitere Maßnahmen bis hin zu einer Militärintervention angedroht, sollte die Junta die verfassungsmäßige Ordnung nicht wiederherstellen und den seit zwei Wochen in seiner Residenz in der Hauptstadt Niamey festgehaltenen Präsidenten Mohamed Bazoum wieder einsetzen. Eine von der Ecowas gesetzte Sieben-Tages-Frist verstrich am Sonntag.

Die Junta im Niger benannte unterdessen in der Nacht zum Donnerstag eine Regierung aus 21 Militärs und Zivilisten. Humanitäre Organisationen warnten derweil vor einer Hungerkrise im Land.

Ein Staatsstreich in einer entscheidenden Region

Der Niger war bis zum Staatsstreich ein strategisch wichtiger Verbündeter der USA und europäischer Länder sowie die letzte Demokratie im Inneren der Sahelzone am Rand der Sahara. Frankreich und die USA haben dort wichtige Stützpunkte mit je mehr als 1000 Soldaten, die Bundeswehr betreibt ein Logistik-Drehkreuz im Land. Nach Putschen in den Nachbarstaaten Mali und Burkina Faso, die sich danach Russland zuwandten, galt der Niger für demokratische Staaten als letzter Partner in einer Region, die seit mehr als einem Jahrzehnt von wachsendem islamistischen Terror heimgesucht wird und zu einem Zentrum des Dschihad geworden ist. Durch den Niger führt auch eine zentrale Migrationsroute über Libyen nach Europa.

Das 26-Millionen-Einwohner-Land mit der höchsten Geburtenrate der Welt ist dreieinhalbmal so groß wie Deutschland. Trotz Bodenschätzen wie Gold und Uran leben mehr als 40 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut. Präsident Bazoum regierte seit 2021 - im Zuge des ersten demokratischen Machtwechsels, seit der Niger 1960 seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich erlangte. Viermal kam es vor seiner Amtszeit bereits zu Militärputschen, zuletzt 2010.

„Ein Putsch zu viel“ - Warum die Nachbarstaaten mit Militär drohen

Am 26. Juli hatte Nigers Präsidialgarde unter General Abdourahamane Tiani den Präsidenten in seiner Residenz festgesetzt, weil dieser Beobachtern zufolge Tiani an der Spitze der Eliteeinheit auswechseln wollte. Nach ersten Spekulationen über einen internen Machtkampf schlossen sich auch die anderen Zweige der Streitkräfte dem Putsch an, verkündeten „das Ende des Regimes“ und lösten alle verfassungsmäßigen Institutionen auf. Tiani übernahm die Macht.

Für die Ecowas war es „ein Putsch zu viel“, sagte die senegalesische Außenministerin Aïssata Tall Sall. Nach Mali, Burkina Faso und Guinea ist der Niger das vierte von 15 Ecowas-Mitgliedsländern, in dem seit 2020 das Militär die Macht ergriffen hat. Am 30. Juli verhängte die Ecowas Sanktionen gegen den Niger und forderte die Wiederherstellung der Verfassung binnen einer Woche - ansonsten erwäge man auch Gewalt.

Experten sehen hinter der Drohung vor allem Nigerias Präsident Tinubu. Keine vier Wochen vorher hatte der neue Präsident von Afrikas bevölkerungsreichstem Land bei seiner Übernahme des Ecowas-Vorsitzes die Verteidigung der Demokratie beschworen. „Ich denke, es war eine bewusste Entscheidung, um dem Vorwurf zu begegnen, Ecowas würde ein weiteres Mal nur zusehen, wie das Militär die Macht übernimmt“, sagte die Nigeria-Büroleiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung, Marija Peran.

Einer möglichen Militär-Intervention würden sich der Senegal, die Elfenbeinküste und Benin anschließen. Ein von Ecowas-Militärchefs erstellter Plan sieht Berichten zufolge eine Einsatztruppe von 25.000 Soldaten aus den vier Ländern vor, die meisten davon aus Nigeria, das mit rund 230.000 Soldaten über eine der größten Armeen Afrikas und eine mächtige Luftwaffe verfügt. Die Ecowas hat mehrere erfolgreiche Einsätze in der Region durchgeführt - zuletzt 2017 im Gambia. Dabei handelte sie jedoch stets auf Einladung des jeweiligen Staats.

Gegen eine Militärintervention spricht vieles

Die suspendierten Ecowas-Mitglieder Mali, Burkina Faso und Guinea stellten sich dagegen auf die Seite der Putschregierungen. Mali und Burkina Faso erklärten, jegliche Intervention auch als „Kriegserklärung“ aufzufassen. Die Militärjunta im Niger schloss den Luftraum und stellt sich auf die Verteidigung ein. Demonstrativ besuchte eine Delegation aus Mali Tiani zu Gesprächen über die militärische Zusammenarbeit, während eine US-Spitzendiplomatin und Verhandlungsdelegationen der Ecowas ihn nicht zu Gesicht bekamen.

„Ein Militärschlag kann sehr schnell ein Flächenbrand werden. Praktisch kann ich mir das nicht vorstellen“, sagte Sahel-Regionalleiter Ulf Laessing von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Der Afrika-Analyst Ben Hunter von der britischen Beratungsfirma Verisk Maplecroft warnte: „Das wäre kein Vorgehen gegen Rebellen mehr sondern ein zwischenstaatlicher Krieg und einer der größten Kriege, den Westafrika je erlebt hat. Es hätte katastrophale Auswirkungen auf die gesamte Sahelzone. Es wäre ein gigantisches Risiko für Ecowas.“

Nigers Militär ist auch vom Westen stark aufgebaut worden

Eine Interventionstruppe anderer Ecowas-Staaten könnte in einer Konfrontation durchaus auch unterlegen sein, meinen Militärexperten. Europäische Staaten hatten große Hoffnungen in den Niger gesetzt, das als „Anker“ für die Stabilität in der Sahelregion ausgebaut werden sollte. Der Niger selbst hatte noch 2020 angekündigt, die Zahl seiner Soldaten bis 2025 von 25.000 auf 50.000 zu verdoppeln.

Allein mit der deutschen Spezialkräfte-Mission „Gazelle“ wurden rund 500 nigrische Soldaten ausgebildet. Ausrüstung und Uniformen, Fahrzeuge, Sturmgewehre und MGs sowie Kommunikationsgeräte wurden für die Spezialkräfte beschafft. Weitere der 12 Spezialkräfte-Bataillone im Niger wurden von anderen „Western Partner Nations“ - USA, Kanada, Italien, Belgien und teils auch Frankreich - gefördert.

In welche Richtung die Entscheidung von Ecowas gehen wird, war am Donnerstagnachmittag weitgehend unklar. Die Ecowas-Staatschefs tagten hinter verschlossenen Türen. Einen öffentlichen Zeitplan für die Entscheidungsfindung gab es nicht.