Ehe für alle Ehe für alle: Die SPD nimmt Merkel beim Wort

Berlin - Noch in dieser Woche soll der Bundestag über die Ehe für alle abstimmen – und damit den Weg für eine vollständige Gleichstellung von Schwulen und Lesben mit Heterosexuellen freimachen. Bislang können homosexuelle Paare nur eine eingetragene Partnerschaft eingehen, aber nicht heiraten. Da SPD, Linke und Grüne zustimmen wollen, gilt eine Mehrheit im Fall der Abstimmung als sicher. Kanzlerin Angela Merkel will den Unions-Abgeordneten freistellen, nach ihrem Gewissen zu entscheiden.
Der SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz kündigte am Dienstagmorgen an, das Thema notfalls auch gegen den Willen der Union auf die Tagesordnung nehmen zu wollen. Damit reagierte er auf die Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die am Montagabend bei einer Veranstaltung der Zeitschrift „Brigitte“ gesagt hatte, sie wünsche in dieser Frage ein Verfahren, das eher in Richtung Gewissensentscheidung gehe. Nach dem Willen der Kanzlerin sollte es eine Entscheidung aber erst nach der Bundestagswahl geben.
Die SPD nahm dies zum Anstoß, das Thema noch jetzt in der letzten Sitzungswoche vor dem Wahlkampf anpacken zu wollen. „Gewissenentscheidungen haben ja kein zeitliches Limit“, sagte Schulz. Die Sozialdemokraten wollten den gewählten Abgeordneten die Möglichkeit geben, ihr Gewissen entscheiden zu lassen, fügte er hinzu. Schulz sagte, Merkel habe einen „Move“ gemacht. Die SPD nehme sie jetzt beim Wort.
Konkret geht es um die Bundesratsdrucksache 273/15, einen Gesetzentwurf der Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Thüringen. „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen“, heißt es darin. In der Gesetzesbegründung ist ausgeführt, es stelle eine „konkrete und symbolische Diskriminierung von Menschen“ aufgrund ihrer sexuellen Identität dar, gleichgeschlechtlichen Paaren die Ehe zu verweigern. So seien gleichgeschlechtliche Paare, die eine eingetragene Partnerschaft eingehen, noch immer beim Adoptionsrecht benachteiligt.
Der Bundesrat hat dieser Gesetzesinitiative bereits am 25. September 2015 zugestimmt. Dann ging der Gesetzentwurf dem Bundestag zu, wo er aber nach der ersten Lesung mehr als zwei Dutzend Mal im Rechtsausschuss blockiert wurde – mit den Stimmen der großen Koalition, also auch der SPD. Die sah sich aufgrund des Koalitionsvertrages daran gebunden, gemeinsam mit der Union zu stimmen. Doch nach Merkels Einlassung zur Gewissensfreiheit will die SPD den Gesetzentwurf nun im Rechtsausschuss durchlassen – und damit die zweite und dritte Lesung sowie die Abstimmung noch in dieser Woche im Bundestag ermöglichen.
Die SPD sah ihre Chance
Das Kalkül der Kanzlerin bei ihrer Äußerung am Montagabend dürfte gewesen, das Thema im Wahlkampf nicht zu groß werden zu lassen, indem sie jetzt bereits andeutet, in der nächsten Legislaturperiode könne man die Abstimmung freigeben. Eine Strategie, die hätte aufgehen können – wenn Merkel sich eine Woche später so geäußert hätte. Aber so sah die SPD ihre Chance, bei dem Thema doch noch vor der Wahl zu einem Ergebnis zu kommen. Davon, dass die Koalition an der Entschlossenheit der SPD in dieser Frage noch vor der Wahl zerbrechen könnte, ging man weder bei den Sozialdemokraten noch bei der Union aus.
Der im Jahr 2013 geschlossene Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD sieht es vor, dass Diskriminierungen weiter abgebaut werden sollen – die Ehe für alle enthält er aber nicht. Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) sagte, jahrelang habe die Kanzlerin jeden Vorstoß der SPD zu dem Thema blockiert – und dann erkläre sie die Sache auf einmal im Vorübergehen zur Gewissensfrage. Sich an einen Koalitionsvertrag zu halten, heiße nicht, „sich an einem Nasenring durch die Arena führen zu lassen“, sagte Gabriel.
Kanzlerkandidat Schulz erklärte: „Wenn das dann mit der Union diese Woche umgesetzt wird, ist es schön. Wenn es ohne die Union umgesetzt wird, ist es auch gut.“ Hat die SPD also der Union die Pistole auf die Brust gesetzt? Wenn man es so sieht, müsste man hinzufügen, sie tat es in dem Wissen, dass wohl kaum etwas Schlimmes passieren könnte. Womit sollte die Union auch drohen? Mit einer Neuwahl im August statt im September?
Wer wie Merkel einen „Move“ mache, erklärten sie bei der SPD, dürfe den Schritt dann nicht wieder abbrechen, während der Fuß bereits in der Luft sei, haben sie sich bei der SPD festgelegt. Gabriel bemühte sogar Friedrich Schiller, um diese Sichtweise zu untermauern. In dessen Drama „Don Carlos“ heißt es: „Geben Sie Gedankenfreiheit.“ Der Vize-Kanzler rief der Kabinettschefin jetzt in Abwandlung des Zitats zu: „Madame, geben Sie Gewissensfreiheit, und zwar jetzt.“