Lateinamerika Ecuador: Vom friedlichen Natur-Paradies zum Narco-Staat
Die Schüsse auf den Präsidentschaftskandidaten Villavicencio zeigen, dass der brutale Drogenkrieg längst die Politik erreicht hat: Wer das lukrative Geschäft mit Kokain bedroht, wird aus dem Weg geräumt.
Quito - Lange Zeit galt Ecuador als relativ friedliches Land auf dem von Gewalt geprägten südamerikanischen Kontinent - bekannt für die einzigartige Fauna der Galapagos-Inseln, majestätische Vulkane in den Anden, Panflöten und Bananen. Doch die tödlichen Schüsse auf den Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio mitten in der Hauptstadt Quito haben nun schmerzlich klar gemacht, dass Ecuador längst ins Zentrum eines brutalen Drogenkriegs gerückt ist.
„Ecuador ist ein gescheiterter Staat“, sagte der indigene Präsidentschaftskandidat Yaku Pérez nach dem Attentat auf seinen Konkurrenten im Fernsehsender CNN. „Wir befinden uns in einer schweren wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Krise.“
Villavicencio von der Bewegung „Construye“ (Baue) war am Mittwoch erschossen worden, als er nach einer Wahlkampfveranstaltung eine Schule im Norden von Quito verließ. Die Ermittler stellten über 60 Patronenhülsen am Tatort sicher. Neun Menschen wurden bei der Schießerei verletzt, darunter drei Polizisten. Ein mutmaßlicher Täter erlag später seinen Verletzungen.
Im Wahlkampf warb Villavicencio für harte Maßnahmen gegen die Kriminalität und die Korruption in dem südamerikanischen Land. Als Abgeordneter und Journalist hatte er bereits eine Reihe von Ermittlungen gegen Politiker und Beamte der vergangenen Regierungen angeschoben. Damit machte sich der 59-Jährige offenbar mächtige Feinde. „Die Demokratie ist niedergeschossen und der Kampf gegen die Korruption verstümmelt worden“, sagte Villavicencios Wahlkampfmanager Antonio López nach dem Mordanschlag auf seinen Chef.
Transitzone für Kokain
In den vergangenen Jahren ist Ecuador immer tiefer in den blutigen Krieg um Einflussgebiete und Transportwege im internationalen Drogenhandel gezogen worden. Das Land liegt auf der Transitroute des Kokains, das in Kolumbien, Bolivien und Peru hergestellt und dann in die USA oder Europa geschmuggelt wird. In dem Geschäft geht es um Milliarden US-Dollar. Die lokalen Banden kämpfen mit brutaler Gewalt um ihr Stück vom Kuchen.
„Ecuador hat mit einem beispiellosen Anstieg von Unsicherheit und Gewalt zu kämpfen. Seit 2018 ist der einst gute Ruf des Landes als einer der sichersten Häfen der Region ins Wanken geraten und 2022 war das gewalttätigste Jahr in der Geschichte des Landes“, sagte Camila Ulloa vom Forschungsinstitut Grupo Faro dem Fachmagazin „Americas Quarterly“. „Neben einer Verfünffachung der Zahl der gewaltsamen Todesfälle in den vergangenen fünf Jahren hat das Jahr 2023 ein noch nie da gewesenes Ausmaß an politischer Gewalt erlebt.“ Erst vor rund zwei Wochen war der Bürgermeister der Hafenstadt Manta, Agustín Intriago, getötet worden. In Esmeraldas wurde der Bewerber um einen Sitz in der Nationalversammlung, Rider Sánchez, erschossen.
Der Anschlag auf den Präsidentschaftsbewerber Villavicencio weckt in Lateinamerika Erinnerungen an dunkle Zeiten: 1989 war in Kolumbien der liberale Favorit Luis Carlos Galán auf einer Wahlkampfveranstaltung von Killern des Medellín-Kartells erschossen worden. In Mexiko wurde 1994 der Präsidentschaftskandidat Luis Donaldo Colosio bei einem Wahlkampfauftritt getötet.
Machtkampf der Verbrechersyndikate
In Ecuador ringen derzeit zwei Verbrechersyndikate um Macht und Einfluss: Die „Choneros“, die mit dem mexikanischen Sinaloa-Kartell zusammenarbeiten, und „Los Lobos“, die nach Angaben des Fachportals Insight Crime Beziehungen zum mexikanischen Kartell Jalisco Nueva Generación unterhalten. Auch albanische Drogenhändler sollen mittlerweile in Ecuador mitmischen.
In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Banden in den völlig überfüllten Gefängnissen. Viele Haftanstalten werden von kriminellen Organisationen kontrolliert, die inhaftierten Gangsterbosse führen ihre Geschäfte aus den Zellen weiter. „Fito“, der Chef der „Choneros“, soll Villavicencio noch kurz vor dessen Ermordung gedroht haben.
„Durch sein Versprechen, die Korrumpierung staatlicher Stellen und die Zusammenarbeit mit dem organisierten Verbrechen zu untersuchen, wurde Villavicencio zur Zielscheibe“, sagte Will Freeman vom Council on Foreign Relations. „Ecuadors Politiker müssen sich nun von seinem Mut inspirieren lassen, diese Probleme anzugehen. Tun sie dies nicht, werden die Straflosigkeit und ihre zahlreichen Folgen nur noch schwerer zu beseitigen sein.“