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Eberhard Feik und Stasi Eberhard Feik und Stasi: Der Tatort-Beamte und die verlorenen Ordner

Von Harald Jähner 17.12.2014, 17:09
Feik (r.) beim Polizeiruf
Feik (r.) beim Polizeiruf dpa Lizenz

Zu den bizarrsten Phänomenen des an Bizarrerien reichen West-Berlin gehörte die Sympathie kritischer, sensibler Künstler und Intellektueller für die DDR. Wie konnte man, ummauert von brutalen Grenzanlagen und bei jeder Transitreise schikaniert von zwar korrekten, aber organisierte Gewalttätigkeit ausstrahlenden Grenzbeamten, den Glauben hegen, diesem Regime, das seine Bewohner einkerkert, gehöre die Zukunft?

Eine dieser rätselhaften Gestalten, die eine Zeit lang durchaus prägend waren für das geistige Leben West-Berlins, war offenbar Eberhard Feik, bekannt als wackerer Kommissar Thanner an der Seite seines Kollegen Schimanski. Schimanski alias Götz George war der Sponti unter den Tatort-Kommissaren. In Dienst gestellt 1981, ausgemustert zehn Jahre später, aber sporadisch noch immer unterwegs, machte der trink- und prügelfeste Beamte nicht zuletzt seine hellgraue Parkajacke berühmt, die inzwischen jeder zweite Rentner trägt. Damals aber galt das praktische Kleidungsstück mit den vielen Taschen als rebellisch und stand sinnbildlich für den ganzen Kerl. Schimanski war so rebellisch, dass ihm der überkorrekte Thanner, stets im Anzug und mit sorgfältig gezwirbeltem Oberlippenbart, nur halb als Partner, mehr noch aber als Aufpasser beigesellt war.

Das passt zu der Geschichte, die das aktuelle Zeit-Magazin über Eberhard Feik erzählt. Oder besser zu erzählen versucht. Es ist die mehrseitige, spannende Erzählung über eine Recherche, die am Ende wenig ergab. Spannend ist sie, weil sie von dem scheiternden Versuch erzählt, etwas Konkretes herauszubekommen und dabei viel über journalistische Arbeitsweisen und einiges über die Siebzigerjahre erzählt.

Lear und Queen

Tatsache ist offenbar, dass Eberhard Feik und seine Frau Anneli Feik-Wagner in den Jahren zwischen 1977 und 1984 bei der Stasi als Inoffizielle Mitarbeiter registriert waren. Es gibt Karteikarten in den sogenannten Rosenholz-Dokumenten der Stasi, die auf drei, nunmehr verschwundene Aktenordner verweisen. Der Schauspieler wurde dort als IM Lear geführt, seine Frau als Queen, registriert mit dem Kürzel IMA. Das A soll für besondere Aufgaben stehen. Irgendwas muss in den Ordnern abgelegt worden sein. Ohne Grund legt nicht einmal die Stasi eine zweite und dritte Akte an. Aber was?

2013 ist das ZDF wegen der Stasi-Vergangenheit von Schauspieler Andreas Schmidt-Schaller unter Druck geraten. Schmidt-Schaller soll Ende der 1960er Jahre von der Stasi angeworben worden sein und lieferte Informationen über die Leipziger Theaterschule an die Stasi weiter. Seit 2001 spielt er den Kriminalhauptkommissar Hans-Joachim Trautzschke in der ZDF-Serie „Soko Leipzig“.

Der Liedermacher und Rockmusiker Gerhard Rüdiger Gundermann wurde in den 1970er Jahren als IM bei der Stasi angeworben. Im Jahr 1984 wurde der gebürtige Weimarer wegen „prinzipieller Eigenwilligkeit“ von der Stasi ausgeschlossen.

Im Jahr 1993 wurde bekannt, dass Puhdys-Bandmitglied Peter Meyer für die Stasi tätig war. Der Stern schrieb damals: „Jahrelang hat der Chef der Puhdys als Inoffizieller Mitarbeiter auch bei der Stasi mitgespielt.“ Nach der Veröffentlichung, habe sich Meyer kaum noch auf die Straße getraut.

Der im Jahr 2008 verstorbene Musiker Peter „Cäsar“ Gläser enttarnte sich in seiner Autobiografie im Jahr 2007 selbst als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Er gehörte zu den bekanntesten Musikern in der DDR. Gläser spielte in der Klaus Renft Combo und der Band Karussell. Erst nach seiner Ausreise aus der DDR 1989 beendete er die Mitarbeit als IM.

Der in Wernigerode geborene Lutz Bertram war ab den 1980er Jahren ein bekannter Radiomoderator beim DDR-Jugendrundfunksender DT64. Zu seiner Stasi-Mitarbeit musste er sich im Jahr 1995 bekennen. Er soll sein Wissen, was er aus Bekanntschaft mit zahlreichen Künstlern der DDR zog, an die Stasi weitergeleitet haben.

Die deutsche Kabarettistin stand bis zum Bekanntwerden ihrer Stasi-Tätigkeit im Jahr 1999 am Kabarett-Theater Distel auf der Bühne. Sie war von 1978 bis 1980 für das Ministerium für Staatssicherheit tätig.

Der in Weimar geborene Schriftsteller Sascha Anderson war in den 1980er Jahren ein bedeutender Protagonist der alternativen Schriftsteller- und Künstlerszene im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.
Anfang der 1990er Jahre wurde bekannt, dass er ein ehemaliger Mitarbeiter der Stasi war. Seit 1975 war er unter verschiedenen Decknahmen tätig. Er soll vor allem Kollegen und Künstlerfreunde bespitzelt haben. Auch nach seiner Ausreise im Jahr 1986 war er weiterhin für die Stasi tätig. Heute lebt er mit seiner Frau in der Nähe von Frankfurt am Main.

Der Fernsehmoderator begann seine Karriere beim Jugendmagazin Elf 99 im DDr-Fernsehen. Nach der Wende moderierte er zahlreiche Sendungen wie zum Bespiel „Kopf oder Zahl“ beim MDR oder „Die goldene Eins“ beim Ersten.
Im August 2001 wurde bekannt, dass Dubinski 1983 acht Monate lang als inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) tätig war. Er wollte in seiner Zeit bei der NVA einen Stubenkameraden bespitzelt und Berichte an die Stasi geliefert haben.
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe hatte Dubinski auf sämtliche Auftritte als Moderator verzichtet. Kurze Zeit später kehrte er auf die Bildschirme mit verschiedenen Sendungen zurück.

Gleich auf der ersten Seite der Geschichte schreibt ihr Autor Toralf Staud: „Haben die Feiks Menschen bespitzelt und verraten? Diese Frage muss man nach einer langen Spurensuche wohl verneinen.“ Anneli Feik-Wagner, inzwischen 70 Jahre alt, räumt ein, Kontakte mit einzelnen Mitarbeitern der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS gehabt zu haben, bestreitet aber jegliche Arbeit für den DDR-Auslandsgeheimdienst. Sie studiert ab 1973 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Eberhard Feik beginnt im selben Jahr als Schauspieler an der Schaubühne am Halleschen Ufer. 1978 verlässt er das inzwischen berühmteste Theater Deutschlands wieder, weil er, wie er selbst sagte, dort aus der dritten Reihe nie herausgekommen ist. Eberhard Feik starb vor 20 Jahren an den Folgen eines Herzanfalls.

Obwohl die Zeit selbst schreibt, dass die Feiks wohl niemanden verraten haben, wirft die Recherche der Zeitung doch ein faszinierendes Licht auf das seltsame Eiland West-Berlin. Wen sollten der Schauspieler und die Filmstudentin auch verraten haben? Die Stasi konnte den West-Berlinern nichts anhaben, ihr langer Arm reichte nur in den seltensten Fällen bis nach Kreuzberg und Charlottenburg. Und wenn, dann bestimmt nicht, um ein paar Künstler kaltzustellen.

Aber die DDR war interessiert an Berichten aus der linken Opposition der Stadt, die sie mit einer Mischung aus Lust an der Zersetzung, Schadenfreude und Misstrauen betrachtete. Sie war interessiert an jeder politischen Schwächung des Westens und zugleich froh, eine solche Laus nicht selbst in ihrem Pelz zu haben. Und sie war besonders froh, in den DDR-nahen Mitgliedern der DKP und ihres West-Berliner Ablegers, der SEW (Sozialistische Einheitspartei Westberlins), ein paar halbwegs verlässliche Partner im unübersichtlichen Spektrum der westdeutschen und West-Berliner Linken zu besitzen, die von einander spinnefeind gesonnenen chinahörigen K-Gruppen einerseits und von anarchistischen Spontis andererseits dominiert waren. Gut möglich, dass die Stasi in Eberhard Feik den idealen Aufpasser über die unzuverlässigen Genossen von der Fraktion der Antiautoritären sah. Womit wir wieder bei dem Gespann Schimanski-Thanner wären. Sind sie nicht eine perfekte Verkörperung von Sponti und Revi? Revi für Revisionisten – so nannten die Spontis die biederen Gestalten vom Realosozialismus.

Eberhard Feik war Mitglied der DKP. 1971 kandidierte er bei der Stuttgarter Kommunalwahl für die Partei, verfehlte aber den Einzug in den Stadtrat. 1973 wechselte er nach Berlin zur Schaubühne. Die SEW konnte in West-Berlin nie mehr als um die zehntausend Mitglieder gewinnen, und nach den 2,3 Prozent bei der Abgeordnetenhauswahl 1971 nahm die Zahl der Wähler ständig ab. Doch im Umfeld der Partei bewegten sich viele Sympathisanten. An den Hochschulen, in den Gewerkschaften, in der Friedensbewegung und auch in der Kulturszene hatten Kommunisten in den 70er- und 80er-Jahren erheblichen Einfluss.

Die von SEW-Genossen geführte Elefanten-Press-Galerie in Kreuzberg war ein Anziehungspunkt der ganzen alternativ-politischen Szene, der heute noch bestehende Hanns-Eisler-Chor wirkte mit brillanten Konzerten weit ins bürgerliche Publikum hinein, das Theater Zentrifuge spielte eine wichtige Rolle in der Off-Szene, und Lokomotive Kreuzberg war neben Floh de Cologne die führende deutsche Politrockgruppe jener Jahre. Die Parteizeitung Die Wahrheit war eine eher dröge Postille, wurde aber von dem intellektuell anspruchsvollen Hans Mahle geleitet, der einst mit der Gruppe um Walter Ulbricht aus dem Moskauer Exil nach Deutschland gekommen war und als erster Intendant des Berliner Rundfunks nach 1945 Kontakte weit über die Partei hinaus pflegte.

Die Zeitung Extradienst mit ihrer Kneipe Drehscheibe spielte eine wichtige Rolle in der links-intellektuellen Szene West-Berlins – sie war zwar offiziell unabhängig, wurde aber aus Ost-Berlin finanziert. Die SEW unterhielt eine eigene Parteigruppe, in der Mitarbeiter sogenannter bürgerlicher Medien organisiert waren, die ihrerseits erheblichen Einfluss in der IG Druck und Papier und der Gewerkschaft Kunst hatten. Ähnliche Parteigruppen gab es auch für Theaterleute. Sie pflegten Kontakte zu Kollegen in Ost-Berlin, die zuweilen im Westen auftraten, unter anderem in der Majakowski- Galerie am Kurfürstendamm, dem West-Berliner Ableger der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft.

Ein anderer Treffpunkt war die Kneipe Casa Leon in der Hasenheide, auf deren Bühne linke Liedermacher, Bands, Theatergruppen und Kleinkünstler auftraten, die nicht direkt etwas mit der SEW zu tun hatten, sich in diesem Umfeld aber wohlfühlten. Alljährlicher Höhepunkt war das Pressefest der Wahrheit mit Konzerten und Aufführungen, das Zehntausende West-Berliner anzog. Bei solchen und anderen Anlässen trafen sich viele aus der linken Szene, weit über die SEW-Mitglieder hinaus. Man sah Künstler aus der Filmszene um die Hochschule für Film und Fernsehen – an der auch Eberhard Feiks Frau studierte – Schauspieler vom Grips-Theater oder von der Schaubühne, Maler, Schriftsteller, Galeristen. Dass sich in dieser Szenerie auch Mitarbeiter der Stasi (und selbstverständlich des Verfassungsschutzes und manch anderer Geheimdienste) bewegten, war wohl irgendwie jedem klar, es spielt aber keine Rolle. Für die SEW galt ohnehin die Grundregel, dass in der Partei aktive Genossen niemals gleichzeitig für die Stasi arbeiten durften. Die suchte ihre Informanten bevorzugt in anderen Umfeldern.

Klares Feindbild

Die Atmosphäre war politisch, es war die Zeit der Solidarität mit den von Pinochet unterjochten Chilenen, die eine große Exilgemeinde in Ost-Berlin bildeten, aber auch im Westen unterwegs waren, es war die Zeit der Friedensbewegung und der Proteste gegen die Pershing-Raketen. Das Feindbild war klar, die USA, die Nato, die Faschisten von Portugal über Spanien bis zur Türkei. Das Unrecht direkt vor der Nase, die Mauer, die den Menschen auf der anderen Seite die Freiheit nahm, war kein Thema - einer der großen Widersprüche jener Zeit, jener Szene.

Und die Schaubühne? Auch sie war ein explizit linkes Theater, hatte aber ihre wirklich revolutionären Zeiten als Mitbestimmungstheater zu Eberhard Feiks Zeiten längst hinter sich. Gegründet 1962, war die Bühne unter der Leitung von Peter Stein ab 1970 zu einem künstlerisch herausragenden Labor präziser Schauspielkunst von geradezu asketischer Strenge geworden. Sie stand im Zentrum der Bewunderung und Kritik. Einige CDU-Abgeordnete sahen in dem Ensemble von Angela Winkler, Jutta Lampe, Edith Clever, Bruno Ganz, Otto Sander und Peter Fitz eine kommunistische Zelle und forderten die Streichung der Subventionen. Peter Lorenz, der Landesvorsitzende der Christdemokraten, erkannte in dem Theater „kein künstlerisches Experiment, sondern eine klar gegen die Existenz der Stadt gerichtete Tätigkeit.“ Auf offene Ohren traf er dabei zumindest bei der Stasi, wie man jetzt weiß.