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Kommentar zum Personalwechsel Die Grünen: Öko-Partei muss sich erneuern

Von Steven Geyer 08.01.2018, 18:24
Die Grünen-Spitze: Robert Habeck, Cem Özdemir und Simone Peter am Rande der Vorstandsklausur ihrer Partei in Berlin
Die Grünen-Spitze: Robert Habeck, Cem Özdemir und Simone Peter am Rande der Vorstandsklausur ihrer Partei in Berlin dpa

Zeiten des Personalwechsels sind Zeiten des Umbruchs, und während Angela Merkel, Martin Schulz und Horst Seehofer gerade versuchen, sich etwas Zeit als Parteichefs zu kaufen, sind die Umbrüche bei den Grünen in vollem Gange: Nach ihrem Parteitag Ende Januar werden sie zwei neue Chefs haben – und die bisherigen keine größere Rolle mehr spielen.

Der Eben-noch-Spitzenkandidat und männliche Kopf des Realo-Flügels der Grünen, Cem Özdemir, zieht sich murrend auf die Hinterbank zurück, weil er nicht genug Abgeordnete findet, die für ihn den linksgrünen Anton Hofreiter stürzen. Seine glücklose Co-Chefin Simone Peter tritt nicht erneut an – um den Weg für eine andere linke Frau frei zu machen.

Stellen die Ökos also Flügelproporz über Wählerwillen? Zwar müssen sich regierungswillige Realos längst nicht mehr gegen Fundis durchsetzen, die auf der Oppositionsrolle beharren. Doch auch die heutigen Flügel gehören zu entgegengesetzten Lagern: Als Realo sieht in der CDU-Begrünung eines Winfried Kretschmann das Erfolgsmodell; der linke Flügel preist die rot-rot-grünen Regierungen in Berlin und Thüringen. Die Spannbreite wirkt zugleich wie das Problem der Grünen im Bund: Müssen sie dort nicht einsehen, dass ihre Politiker, Mitglieder, Wähler längst verbürgerlicht und die linken Zeiten vorbei sind?

Dobrindt ist die Antwort

Immerhin drängt sich der Eindruck auf, Simone Peter habe sich am Vorsitz festgekrallt, bis durch die Kandidatur der unbekannten Fraktionschefin Anja Piel aus Niedersachsen der linke Flügel wieder Chancen auf einen Spitzenplatz hatte. Wenn aber die linken Grünen nach der 2013er Notlösung Peter auch 2017 keine Führungsfigur finden, warum nicht beide Plätze an Realos vergeben?

Özdemir wiederum wurde gerade per Urwahl Spitzenkandidat, lieferte ein gutes Wahlergebnis und steigende Beliebtheitswerte durch den pragmatischen Auftritt bei der Jamaika-Sondierung. Warum ihn für den farblosen Hofreiter opfern?

Die kurze Antwort: Alexander Dobrindt. Eine Union, die in Teilen das museumsreife Feindbild 1968 hervorkramt, Anzug tragende Ökospießer als radikale Steinewerfer darstellt und die Bildungsbürgerhochburg Prenzlauer Berg als Hauptgegner für die konservative Revolution – diese Union fällt für Schwarz-Grün aus.

Grüne braucht linke und liberale Köpfe

Das war für die Noch-Spitze aus Göring-Eckardt und Özdemir nicht absehbar. Ihre Vorgänger, unter denen Linke wie Claudia Roth und Jürgen Trittin den Ton angaben, hatten 2013 keine rot-grüne Mehrheit geschafft. So schlug das Pendel zu Schwarz-Grün, und wäre es nach Merkel und den Grünen gegangen, hätte das auch geklappt. Notfalls mit der FDP. Doch da war die Rechnung ohne den Lindner gemacht. Dass der Chefliberale aber gerade auf die Grünen so schimpfte, dürfte an dem Irrtum liegen, man konkurriere um dieselben Wähler. Doch nur weil die Anhänger der Grünen heute genauso gut ausgebildet sind und verdienen wie die der FDP, sind es nicht dieselben Leute.

Vielmehr ist das Bürgertum geteilt in jene, die wirtschafts- und jene, die linksliberal denken. Das möchte man auch den Spitzen-Grünen zurufen, die keinen linken Flügel mehr brauchen. Sollen die Wähler nur noch die Wahl zwischen einer begrünten Merkel-CDU und dem Mitte-Rechts-Projekt der Generation Spahn/Dobrindt/Lindner haben? Arrangieren sich die Grünen mit der rechnerischen Realität, die mit der AfD in die Parlamente einzog – statt die Ursachen des Populismus’ anzugehen?

Der SPD ist die Koalitionsfrage in ihr Projekt „SPD erneuern“ geplatzt, bei den Grünen muss es andersherum laufen: Da mit Jamaika das Projekt der Realos geplatzt ist, muss sich die Partei jetzt erneuern. Um die linksliberale Kraft zu werden, die die FDP nicht mehr sein will, braucht sie dabei linke UND liberale Köpfe.