Die Berliner Mauer Die Berliner Mauer: Geschlossene Gesellschaft DDR

Halle (Saale) - Zur Jahrtausendwende sollte die „High-Tech-Mauer 2000“ kommen. Einmal mehr, hoffte die SED-Führung, würde die Welt über die ostdeutsche Ingenieurskunst staunen. Diesmal an der Grenze zu West-Berlin. Pläne aus dem Jahr 1988 sahen versteckte Anlagen vor - kombiniert aus Lichtschranken, seismischen und akustischen Bodensensoren. Aus Mikrowellen- und Vibrationsdetektoren im Wasser, die sofort jede Annäherung an die Grenze melden und zur Verhaftung der Flüchtlinge führen sollten.
Zumindest dem Erfindungsreichtum, um Flüchtlinge zu verletzen oder zu töten, waren in der DDR keine Grenzen gesetzt. Bis zum Mauerfall am 9. November 1989 fanden über 1 200 Menschen, die von Deutschland nach Deutschland fliehen wollten, den Tod, schreibt der Historiker Edgar Wolfrum in seinem Buch „Die Mauer“. Zwischen 122 und 200 Menschen starben an der Berliner Grenze. Bis heute, teilt Wolfrum mit, gibt es keine gesicherten Angaben über die Zahl der Todesopfer.
Tödliche Klammer
Die Mauer: Das waren auf einer Grenzlänge von nahezu 160 Kilometern 106 Kilometer Beton, die Berlin in West und Ost teilten, 45.000 aneinandergefügte Betonsegmente, in der Herstellung jeweils 359 Mark der DDR. „Die Mauer“ war aber viel mehr als das. Nämlich das Synonym für die gesamte deutsch-deutsche Grenze. Die war älter und mit 1 400 Kilometern entschieden länger als der Ring um West-Berlin. Und gefährlicher, denn die berüchtigten Selbstschussanlagen gab es nicht an der Spree, sondern an der von Anwohnern beräumten innerdeutschen Grenze.
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Die war die tödliche Klammer, die die keinesfalls homogene DDR-Gesellschaft zusammenhielt, ja zusammenhalten musste, weil das SED-Regime in der Bevölkerung nie auf allgemeine Zustimmung gestoßen war. Man stimmte vor 1961 mit den Füßen ab, danach mit zivilem Ungehorsam. Mehr oder weniger sichtbar. Mit der Mauer hatte man sich zu arrangieren. Einem Bau, an dem Lebensentwürfe zerschellten, an dem Biografien zerbrachen. Opfer der Mauer waren nicht nur die Toten an der Grenze. Die war eine Lebenstatsache, der niemand entging. Auch jene nicht, die die Gunst des SED-Regimes besaßen, und denen das Passieren der Grenze als ein stolzes Privileg gestattet war.
Mythos „Arbeiter- und Bauernstaat“
Die Mauer: Ein Wort, das bis in die 80er Jahre in der DDR nicht öffentlich fallen durfte, auch deshalb nicht, weil es eine treffende Chiffre für den Charakter des SED-Staates war. Befund: Geschlossene Gesellschaft. Die Mauer war ein Argument, das jeder verstand, ohne dass man sich umständlich erklären musste, auch nicht konnte, weil im Osten keine näheren Informationen zu den Grenzanlagen zu haben waren. Deren Gegenwart sollte möglichst unsichtbar bleiben. So wie auf den in der DDR vertriebenen Stadtplänen von Berlin, in denen der Westteil eine weiße Fläche blieb.
Die innerdeutsche Grenze war nicht erst 1961, sondern bereits 1952 geschlossen worden. Man muss daran erinnern, weil das Gedenken an den Mauerfall ansonsten unverständlich bliebe. Die Berliner Mauer war errichtet worden, weil das mitten in der DDR gelegene - von Amerikanern, Franzosen und Briten verwaltete - West-Berlin die letzte Öffnung war, durch die die Ostler entwischen konnten. Darunter viele Bauern und qualifizierte Arbeiter. 1953 waren es 18.000 Arbeiter, 9.000 Mittel- und Kleinbauern, rund 17.000 Angestellte, wie dieser Tage die Historiker Gerhard Wettig und Manfred Wilke belegten. So viel zum Mythos „Arbeiter- und Bauernstaat“.
„Niemand hat die Absicht ...“
Auf Betreiben des Kremls wurde 1952 entlang der innerdeutschen Grenze ein breiter Geländestreifen abgeholzt, wurden fünf Kilometer breite Sperrzonen eingerichtet, eilig gebaute Beobachtungstürme aufgestellt, in der „Aktion Ungeziefer“ jener Teil der Einwohner der Grenzregion vertrieben, der in den Augen der SED als unzuverlässig galt. Nur die Hauptstadt blieb ein Problem, zu der die Einlasskontrollen von der DDR aus verstärkt wurden, um das „Schlupfloch“ West-Berlin einzugrenzen.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Pressekonferenz am 9. November 1989 ablief.
„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Diese im Juni 1961 von SED-Chef Walter Ulbricht auf einer Pressekonferenz vorgetragene Lüge ist zu einem viel zitierten Wort geworden. Eine Phrase, die ihr Echo 28 Jahre darauf im Stottern des SED-Politbüromitglieds Günter Schabowski fand, das zum spontanen Mauerdurchbruch führte. Wann tritt die neue Grenzordnung in Kraft? Schabowski: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“ In beiden Fällen waren es westliche Journalisten, die zur Antwort herausforderten. 1961 Annemarie Doher von der Frankfurter Rundschau, 1989 der Chefkorrespondent der italienischen Nachrichtenagentur ANSA, Riccardo Ehrmann. Er schreckte die Journalisten auf, die fast eingeschlafen waren.
Öl ins Feuer
Im Gegensatz zu Schabowski wusste Ulbricht genau, was er sagte. Er war der Genosse „Niemand“, der die Mauer errichten wollte. Um die hatte er seit Ende der 50er Jahre bei den Sowjets gebettelt, aus nachvollziehbaren Gründen. Chruschtschow gab erst grünes Licht, als er begriffen hatte, dass er die West-Alliierten nicht aus Berlin vertreiben kann, was ursprünglich sein Plan war. In der DDR wurde Ulbricht genau verstanden. Er goss mit seinem Mauer-Wort vorsätzlich Öl ins Feuer, um die Flüchtlingswelle noch einmal rasant ansteigen zu lassen, was auch geschah. Ulbricht erhöhte den Druck auf die Russen.
In der Nacht zum 13. August 1961 gingen um Punkt ein Uhr an der Berliner Grenze die Lichter aus. Die Polizei besetzte die Bahnhöfe an den Sektorengrenzen, Gleisverbindungen wurden getrennt, Spanische Reiter aufgestellt. 13 U-Bahnhöfe auf Ost-Berliner Gebiet wurden geschlossen, von 81 Sektorenübergängen mauerte man 69 zu. „Unser Staat ist auf Draht“ lautete die Schlagzeile des SED-Blattes „Neues Deutschland“ am Tag darauf. Eine Zeile, die von Kinderstimmen im Radio gesungen wurde.
Ästhetische Korrekturen
„Auf Draht“ war der Staat anderthalb Jahre. Dann wurde die Hohlblockstein-Wand der ersten Stunde von einer Betonmauer ersetzt. Neue Fassungen folgten, ästhetische Korrekturen inklusive. Bis zuletzt jene 3,60 Meter hohe Wand stand, die nicht mehr von Stacheldraht, sondern mit einem aufgelegten Betonrohr abgeschlossen wurde. Eine Konstruktion, die der DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann 1964 lobte: „Mauer und Grenzzaun sind sehr kulturvoll. Mauer gefällt sehr, besonders durch die aufgesetzten Kanalisationselemente.“
Nach 1961 war die Mauer für die SED kein Aufreger mehr. Das Politbüro, zeigen die Forschungen von Michael Kubina, sah keinen Anlass, sich politisch mit der Grenze zu befassen. Man regelte nur Fragen „technischer“ Art. Wie die Menschen mit ihrem Eingesperrtsein zurechtkommen würden, welche Ängste oder Sehnsüchte die Mauerhaltung hervorrufen musste, das interessierte im obersten SED-Gremium niemand.