Dezember 1989 Dezember 1989: Ein Rückblick auf die rumänische Revolution vor 30 Jahren

London - Ende 1989 verdichtete sich das osteuropäische Drama innerhalb weniger Wochen. Nach dem Fall der Mauer in Berlin und der Samtenen Revolution in Prag schlugen auch in Bukarest die Wogen hoch, mitten hinein in die Weihnachtszeit. Und die rumänische Revolution, der Aufstand gegen Diktator Nicolae Ceausescu und seine Frau Elena, deren Sturz, Flucht und standrechtliche Erschießung vollzogen sich vor weltweitem Fernsehpublikum.
Auf YouTube sind die Aufnahmen von den Ereignissen vom 21. Dezember abrufbar, dem Vortag von Ceausescus Sturz. Er hatte wenige Tage nach den ersten, niedergeschlagenen Aufständen in Temeswar über Parteikanäle eine Volksdemonstration auf dem Platz vor dem gigantischen Regierungspalast in Bukarest organisieren lassen.
Ereignisse vom 21. Dezember auf Video festgehalten
Als plötzlich Protestgeschrei und Unruhe in den organisierten Jubel hereinbrechen, dreht der Kameramann, wohl Weisungen folgend, die Linse zum Himmel. Man sieht noch, wie der Diktator, halb erschrocken, halb ungläubig, ins Stocken gerät. Man hört ihn laut „Ruhe“ und „Hallo“ rufen, und „Setzt euch, Genossen!“ befehlen.
Als der Jubel scheinbar wieder die Oberhand gewinnt, fährt er fort, tischt nun aber Versprechen auf soziale Wohltaten auf und beschwört die Unabhängigkeit und Freiheit Rumäniens gegen fremde Mächte - eine Erinnerung an 1968, als Ceausescu die Invasion der Tschechoslowakei zum Unrecht erklärte.
Mit einem „Freiheitsmarsch“ am vergangenen Wochenende hat in Rumänien eine Reihe von Veranstaltungen zur Erinnerung an den Sturz des Diktators Nicolae Ceausescu vor 30 Jahren begonnen. Hunderte Menschen nahmen mit Fackeln und rumänischen Flaggen an einem Zug durch die westrumänische Stadt Temeswar teil, wo der Umsturz seinen Ausgang genommen hatte. Anwesend war auch der heute 67-jährige Pastor Laszlo Tökes, an dessen Schicksal sich die Revolution entzündete. Die Anordnung zur Zwangsumsiedlung des Geistlichen von der evangelisch-reformierten Kirche hatte zu Demonstrationen in Temeswar geführt, die am 16. Dezember 1989 begannen. Ceausescu erteilte den Schießbefehl. In Temeswar gab es am Tag darauf 60 Tote und mehr als 2 000 Verletzte. (afp)
Eines der anerkannt besten Bücher über diese Ereignisse und ihre Hintergründe ist trotz des Erscheinungsdatums 2005 ungebrochen lieferbar, weithin zitiert, aber noch immer nicht nicht ins Deutsche übersetzt.
Der Autor von „The Romanian Revolution“, Peter Siani-Davies, ist Leitender Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der renommierten School of Slavonic and East European Studies am University College London und war auf Anfrage bereit, über den rumänischen Umsturz von 1989 zu sprechen. Sein Bild davon gewann er in jahrelangen Forschungen, nicht nur anhand von Archiven, sondern auch von vielen Interviews mit Zeitzeugen.
Wissenschaftler Peter Siani-Davies forscht jahrelang zur rumänischen Revolution
Der Fall Rumäniens als beinahe letzter Dominostein im brüchig gewordenen Warschauer Pakt war unausweichlich geworden, schreibt Siani-Davies in seinem Buch, weil mit Gorbatschows Politik der Öffnung und Abkehr vom Kalten Krieg die osteuropäischen Vasallenstaaten für die Sowjetunion an Bedeutung verloren. Auch international war das Land, das unter Ceausescu vermeintlich ein Stachel im Fleisch des Sowjetimperiums sein wollte, zunehmend isoliert.
Ceausescu, Bauernsohn und Kommunist, regierte seit 1965. Nach anfänglicher Besserung der Lebensumstände trieb er das Land immer tiefer in eine Erstarrung auf allen Gebieten.
„Spätestens seit 1977 ging es bergab“, und ein Hauptgrund dafür, sagt Siani-Davies, war die Rückzahlung internationaler Schulden ungeachtet aller Auswirkungen auf den Lebensstandard im Land. „Dann merkten die Leute, dass es trotz Schuldenabbau kein Ende nahm mit den Einschränkungen.“
Siani-Davis: „Das Problem in Rumänien war die Konzentration der Macht.“
Die Stromversorgung wurde wie alles rationiert, im Winter froren die Leute. Die Verelendung des Landes fand in den finsteren Heimen vernachlässigter Kinder einen traurigen Tiefpunkt. Die verfehlte Kommando-Wirtschaftspolitik war durch Tauschhandel, kleine Bauernmärkte und sonstige informelle Wege kaum annähernd auszugleichen.
„Das Problem in Rumänien war die Konzentration der Macht.“ Der Diktator zog einen Persönlichkeitskult nach stalinistischem Vorbild auf. Die Macht sicherte er nicht nur in Stasi-Manier durch die „Securitate“, sondern bezog auch die Armee und die Betriebs-Kampftruppen ein.
Siani-Davies, der erst vor kurzem von einer Tagung in Cluj, der zweitgrößten Stadt Rumäniens in Siebenbürgen, zurückgekehrt ist, stellt fest: „Im heutigen Rumänien sind es vor allem die mittleren Jahrgänge, die sich 30 Jahre nach den Ereignissen mehr denn je für diese Geschichte interessieren. Das war vor zehn Jahren noch nicht so.“
Nach seiner Ansicht hat das mit den Demonstrationen gegen die als korrupt bezeichnete Regierung der Sozialisten zu tun. „Freiheit bewahren heute bedeutet auch eine neue Sicht auf den Kampf um die Freiheit damals.“
Rumänische Revolution: Mut der Demonstranten führen zum Umsturz
Zum Umsturz kam es am 22. Dezember. Für Siani-Davies steht außer Frage, dass die Aufständischen „mit großem Mut auf den Platz geströmt sind.“ Ceausescu selbst hatte trotz der Störungen vom Vortag noch einmal eine große Ergebenheitsdemonstration organisieren lassen. „Er war von sich selbst verblendet. Er glaubte bis zuletzt, noch vor dem Hinrichtungskommando, dass die Arbeiter ihm beistehen und ihn befreien würden.“
Die Kundgebung kippte, als die Aufständischen sich den Weg in den Regierungspalast bahnten. Ceausescu und seine Frau wurden in einem eilig beorderten Hubschrauber vom Dach des Palasts in vermeintliche Sicherheit geflogen.
„Niemand konnte wissen, wie Securitate, Armee und Kampftruppen reagieren würden.“ Das große Blutvergießen mit hunderten von Opfern in den Stunden und Tagen nach Ceausescus Flucht könne nicht, wie lange behauptet wurde, mit einer Konterrevolte von angeblichen Terroristen, womöglich sogar der Securitate, erklärt werden.
Geschichte der Securitate in Rumänien ist noch nicht vollständig aufgearbeitet
„Ich habe dafür keinen einzigen Beweis finden können“, sagt Siani-Davies. „Es herrschte einfach nur Chaos. Die einzelnen Gruppen von Kämpfern hatten mit anderen keine Kommunikation. Es war nicht zu erkennen, ob Leute mit einer Waffe auf der Seite der Aufständischen standen oder nicht. Und die Furcht vor der Securitate steckte den Leuten nach Jahrzehnten der Repression in den Knochen.“
Abgeschlossene Geschichte ist die Securitate in Rumänien so wenig wie die der Stasi in Deutschland. „Es gibt 27 Regalkilometer Akten. Sie sind längst nicht auserforscht.“ (mz)