Deutsche Geschichte Deutsche Geschichte: DDR-Unrecht in 40 000 roten Schnellordnern

Braunschweig/Koblenz/dpa. - Seit 1961 - wenige Monate nach dem Bau der Mauer - wurden dort bis zur Wende regimebedingte Straftaten aus der DDRerfasst. 1994 wurde das Archiv dann nach Braunschweig verlegt. Seitder Grenzöffnung 1989 trug es dazu bei, Verbrechen aufzuklären. Nochim Oktober sollen die 40 000 Akten nun ins Bundesarchiv nach Koblenzkommen. «Die Aufgabe der Justiz ist erfüllt», sagt der LeitendeOberstaatsanwalt Eckehard Niestroj. Nun seien die Historiker am Zuge.
Im Keller der Braunschweiger Justizbehörde riecht es nach altemPapier. Die 40 000 roten Schnellordner reihen sich über 270 MeterLänge aneinander. «Das sind 32 Kubikmeter Akten», berichtet OttoBaars. Der Justizbedienstete hat bereits mit dem Verpacken der Mappenbegonnen - 450 große Umzugskartons stehen bereit. «Im Bundesarchivgibt es ganz andere Möglichkeiten, die Akten aufzuarbeiten, alshier», sagt Niestroj.
In den ersten Jahren nach der Wende wurden die Akten noch häufigaufgeschlagen und alle Unterlagen erneut gesichtet. Die zuständigenStaatsanwaltschaften in den neuen Bundesländern erhielten Kopien, beiTötungsdelikten die Originale. «Beim Abgleich mit den Akten der Stasiund der Volksarmee wurden viele unserer Erkenntnisse dann zuwichtigen Mosaiksteinen bei der Rechtsfindung», sagt Niestroj. Zudemgingen damals bis zu 3000 Anfragen jährlich ein. Viele Behördenwollten vor der Einstellung eines Juristen oder Polizisten wissen, ober in den Akten erwähnt wird. «Heute haben wir nur noch sehr wenigaktuelle Anfragen», berichtet Niestroj. Auch das niedersächsischeJustizministerium bestätigt, dass die strafrechtliche Aufarbeitungder Akten abgeschlossen sei.
Aussagen von Flüchtlingen und freigekauften Gefangenen,Informationen von Verwandten nach DDR-Besuchen, Zeitungsartikel überZwischenfälle an der Grenze, der tägliche Lagebericht von dergesamten deutsch-deutschen Trennungslinie - alle Dokumente sollen inKoblenz sachgerecht und sicher gelagert werden. «Die Akten werdenauch bewertet und erschlossen», sagt Ute Simon, Sprecherin desBundesarchivs. Zudem werden sie katalogisiert. Über eine kurzeInhaltsangabe und eine Signatur können später Archiv-Besucher dieMappen finden. Wann die Akten für jeden zugänglich sein werden, istaber noch unklar. Politiker verschiedener Parteien fordern, dass nuneine wissenschaftliche Aufarbeitung folgen müsse.
In den Akten festgehalten sind so spektakuläre Fälle wie der desPeter Fechter, der als 18-Jähriger von DDR-Grenzern angeschossenwurde und verblutete. Im Laufe der Jahre wurden 80 Menschen an derBerliner Mauer und 112 an der innerdeutschen Grenze getötet, ergabdie Auswertung der Akten. Zudem registrierte die Erfassungsstellerund 4200 Verdachtsfälle von versuchter Tötung, 2000 Misshandlungenin Gefängnissen, 3000 politischen Verdächtigungen und Verschleppungensowie 30 000 Verurteilungen, bei denen es aus politischen Gründen zuunverhältnismäßig harten Strafen kam. So wurden noch kurz vor derGrenzöffnung DDR-Bürger zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil sie einweißes Bändchen an ihrer Autoantenne hatten - ein Zeichen, dass sieausreisen wollten.
Immer wieder war die Erfassungsstelle auch Verhandlungsmassezwischen Ost und West. Die DDR forderte ständig ihre Abschaffung, sahdarin eine Einmischung in innere Angelegenheiten. Und auch wenn imWesten zeitweise niemand mehr an eine absehbare Vereinigung glaubte,so überlebte die Stelle doch.