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Der Riese wird 50 Der Riese wird 50: Darum ist der Berliner Fernsehturm eigentlich ein Schwarzbau

Von Jens Blankennagel 02.10.2019, 09:00
An der Kuppel des Fernsehturms wird gebaut.
An der Kuppel des Fernsehturms wird gebaut. picture-alliance/Das Neue Berlin-Kraemer/dpa-Zentralbild/dpa/dpa-Bildfunk

Belin - Da steht er: groß gewachsen, sehr aufrecht und elegant – Dirk Otto, der Schichtleiter des Tages im Berliner Fernsehturm. Der 54-Jährige trägt eine dunkle Weste über dem hellen Hemd. Er wartet drinnen im Foyer des Turms, draußen warten drei Dutzend Besucher. Sie wollen mit den zwei Aufzügen hoch hinaus in diesem 368 Meter hohen Turm und die Aussicht genießen. Punkt 9 Uhr öffnet er die Türen und sagt: „Jetzt kann’s losgehen! Hallo, Guten Morgen, Welcome!“

Der Fernsehturm ist der höchste Blitzableiter der Stadt, aber vor allem der höchste Sendemast mit 150 Antennen für Fernsehen, Radio und Richtfunk. Er ist der beste Aussichtsort und ein idealer Orientierungspunkt für alle, die durch die Stadt irren. Und natürlich ist er Berlins weltbekanntes Wahrzeichen – und ein Bauwerk der Superlative.

Der Empfangschef

Und wer dort arbeitet, kann ebenfalls Superlative aufweisen. So wie Dirk Otto, der seit vier Jahren Schichtleiter im Besucherservice ist. Der gelernte Elektroinstallateur hat davor als Aufzugführer gearbeitet – und da kommen viele Höhenkilometer zusammen: Pro Schicht sind es etwa 200 Fahrten, bei 220 Arbeitstagen und elf Jahren ist Dirk Otto also mindestens 484.000 Mal hoch- und runtergefahren, hat mehr als 95.000 Kilometer zurückgelegt und rein rechnerisch fast 11.000 Mal den höchsten Berg der Welt bezwungen. „Wenn richtig was los ist, haben wir 5.000 Gäste am Tag“, sagt er.

Otto, der gelernte Elektriker, der früher auch mal Baumaschinen fuhr, ist ein gelassener Typ. Immer freundlich, aber bestimmt. Das ist wichtig, wenn es zum Beispiel darum geht, den Touristen zu erklären, dass sie keine Rucksäcke mitnehmen dürfen – aus Sicherheitsgründen. Oder dass Leute mit Gehbehinderung nicht hinein dürfen. „Der Turm wurde bis 1969 gebaut. 

Damals gab es den Begriff Barrierefreiheit noch gar nicht.“ Das Foyer ist so gebaut, dass die Besucher bis zu den Aufzügen 30 Stufen bewältigen müssen. „Aber um diese Stufen geht es gar nicht“, sagt der 54-Jährige. „Es geht um den möglichen Notfall, wenn die Aufzüge nicht funktionieren sollten. Dann muss jeder Besucher allein in der Lage sein, die 986 Stufen hinunterzusteigen.“

Das Jubiläum

Der Fernsehturm wird im Oktober 50 Jahre alt und gehört heute zu den meistbesuchten Touristenzielen der Stadt. Längst ist vergessen, dass er durchaus umstritten war. Für die einen war der Turm einfach nur eine architektonische Meisterleistung. Andere störte der politische Hintergrund der Entstehung: dass SED-Chef Walter Ulbricht diesen Angeber-Bau quasi diktatorisch durchgesetzt hatte. In der DDR war der Turm für die Herrschenden „ein Meisterstück für die Republik“.

Nach dem Ende der DDR gab es sogar Stimmen, die den Turm auf eine Stufe mit der Mauer stellten und den Abriss empfahlen. Aus heutiger Sicht ist es ein passender Zufall der Historie, dass es gleich zwei Eröffnungstermine gab: Die Öffentlichkeit durfte den damals zweithöchsten Fernsehturm der Welt erstmals am 7. Oktober 1969 betreten – am 20. Geburtstag der DDR. Offiziell eröffnet aber hatte ihn Ulbricht bereits am 3. Oktober.

Der Aufzugfahrer

Auf dem Bildschirm über der Tür steht die aktuelle Höhe über dem Boden: 6,25 Meter. Acht Leute treten in einen der zwei Aufzüge. Anders als in anderen Gebäuderiesen werden die Gäste sich hier nicht selbst überlassen. Und so steht Andreas Mewes in seiner Ecke – der Aufzugführer. Der gebürtige Berliner ist seit sechs Jahren dabei. Mit betont ruhiger Stimme begrüßt er die Gäste: „Guten Morgen! Good morning! You speak english?“ Die Dänen, Slowaken und Japaner nicken, und er erklärt ihnen, dass es mit sechs Metern pro Sekunde aufwärts geht und dass die Fahrt 40 Sekunden dauert.

„Dass wir hier sind, hat vor allem mit Sicherheit zu tun“, sagt er. „Die einen haben etwas Angst, wollen nicht hoch und zögern, die anderen sind ungeduldig und drängeln.“ Er ist natürlich Ansprechpartner, wenn ein Aufzug steckenbleibt. Das passiert etwa ein Mal pro Jahr. Dann kommt die Servicefirma. Natürlich fährt Mewes nicht nur hoch und runter. Ganz am Anfang steigt er aus und schaut sich die Aussicht an: Für seine Gäste muss er wissen, ob man diesmal die 70 Kilometer bis zum Tropical Islands in Südbrandenburg schauen kann oder nur bis zum nahen Dom.

Die Aufzüge wurden in 50 Jahren zweimal ausgetauscht: Erst fuhren schwedische, dann finnische, nun deutsche. Sie werden wirklich oft benutzt. Denn zu den mehr als 200 Besucherfahrten kommen vor und nach der Öffnungszeit noch die Dienstfahrten für das Restaurant. Nach 40 Sekunden stoppt der Aufzug ganz sanft, und Mewes sagt zu seinen Gästen zum Abschied: „Sie haben alles richtig gemacht, dass Sie so früh gekommen sind. Jetzt ist es noch nicht so voll. Have a nice day!“

Die Besucher

„Im Fernsehturm arbeiten etwa 120 Leute“, sagt Dietmar Jeserich, Sprecher der Firma, die den öffentlichen Teil des Turms gepachtet hat. Dort arbeiten Leute in den Garderoben, an den Kassen, im Souvenirladen, in den Aufzügen, in der Küche sowie Kellner im Restaurant. Dort passen 200 Gäste hinein, dazu 100 in der Aussichtsplattform. Jedes Jahr kommen 1,3 Millionen Besucher. Wer es genau wissen will, bekommt schnell eine Antwort. Jeserich greift zum Handy, ruft eine Frau im Turm an, die nachschaut. Die Gesamtzahl aller Besucher seit der Eröffnung: 60.937.441. Das ist eine Hausnummer.

Der Chef

Hinter die Kulissen des Turms bringt uns Torsten Brinkmann. Dorthin, wo kein Tourist hinkommt. Es geht mit dem dritten – dem technischen – Aufzug 4,20 Meter in die Tiefe. Im Keller stehen zwei mächtige Notstromgeneratoren. „Innerhalb von 15 Sekunden übernehmen wir den Betrieb“, sagt der Objektmanager der Firma Deutsche Funkturm, der auch dieser Turm gehört. Die 100-prozentige Tochter der Telekom betreibt bundesweit 29.000 Funkstandorte.

Weiter geht es in einen Raum, in dem fast 200 mannshohe Gasflaschen stehen, die mit Stickstoff, Argon und Kohlendioxid gefüllt sind. „Die gehören zur größten Löschgasanlage Berlins“, sagt er. Das Gasgemisch würde im technischen Bereich des Turms eingesetzt werden. „Feuer braucht Sauerstoff zum Brennen, mit dem Gas nehmen wir ihm den Sauerstoff weg. Es ist genau so dosiert, dass ein Feuer ausgehen würde, aber Menschen überleben würden.“ Für ein Feuer im Publikumsbereich gibt es eine „Hochdrucknebelsprühanlage“ mit Wasser.

Berliner Fernsehturm ein Schwarzbau?

Der Aufzug stoppt bei 223,78 Metern. Wir sind oberhalb der Kuppel. Nun geht es noch mal 108 Stufen hinauf zur Außenplattform. Brinkmann sagt einen Satz, dessen Wirkung er genau kennt. „Eigentlich ist der Berliner Fernsehturm ein Schwarzbau.“ Er lächelt. „Als es losging, gab es kein Papier, auf dem Baugenehmigung stand.“ Wer sich in die Historie vertieft, begreift, dass der Turmbau zu Berlin damals nicht ganz nach Plan lief, trotz der staatlichen Planwirtschaft.

Als Symbol der Stärke der DDR war er gedacht, geplante Kosten 33 Millionen DDR-Mark. Es herrschte ziemliches Chaos, viele Häuser wurden überstürzt abgerissen, die Kosten liefen aus dem Ruder, sogar eine staatliche Bank stellte sich quer. Das mit der Genehmigung wurde nachgeholt, und mit zehn Monaten Verspätung war der 31000-Tonnen-Koloss dann fertig – mit 130 Millionen Mark viermal so teuer wie geplant.

Aber er steht und macht keine Probleme. „Das ist alles sehr sauber gearbeitet“, sagt Torsten Brinkmann und öffnet eine schwere Stahltür. Hier oben sind Dutzende Antennen angebracht. Es ist nur ein kleiner Schritt, dann stehen wir unter freiem Himmel auf einem eisernen Gitterrost in 246,28 Metern Höhe. Der Wind pfeift, doch der Turm ist ja rund und ein Stück weiter ist Windschatten.

Zum Schluss der Höhepunkt: Der Aufzug stoppt bei 90,01 Meter. Es geht in eine Zwischenetage mitten im Schaft. Der Raum ist hoch, der Blick nach oben verliert sich in der Dunkelheit. Der Raum ist wirklich das Beeindruckendste, weil man oft vergisst, dass der Turm ein riesiges hohles Betonrohr ist, das da seit 50 Jahren mitten in Berlin steht. (mz)

Dirk Otto ist Empfangschef im „Telespargel“
Dirk Otto ist Empfangschef im „Telespargel“
dpa-Bildfunk
Andreas Mewes bedient der Aufzug im Berliner Fernsehturm.
Andreas Mewes bedient der Aufzug im Berliner Fernsehturm.
dpa-Bildfunk
Der Chef: Torsten Brinkmann ist Objektmanager der Firma Deutsche Funkturm.
Der Chef: Torsten Brinkmann ist Objektmanager der Firma Deutsche Funkturm.
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