Der Fall Murat Kurnaz Der Fall Murat Kurnaz: Im Stich gelassen und gefoltert
Berlin/dapd. - Fünf Jahre haben sie mich beinahetäglich verhört, gequält und gefoltert. Aber meine Namen konnten siebis zuletzt nicht richtig schreiben.» Mit zwei Fingern riss sichMurat Kurnaz das grüne Plastikarmband mit seinem Foto, seinerGuantanamo-Häftlings-Nummer, 061, und dem falschen Namen ab, als eram 24. August 2006 endlich von den Amerikanern freigelassen wurde.In seinem Buch «Fünf Jahre meines Lebens» hat er seinen Leidenswegins US-amerikanische Folterlager Guantanamo und seine Rückkehr indie Freiheit geschildert.
Kurnaz war im Oktober 2001 nach Pakistan gereist, um, wie ersagte, mehr über den Islam zu lernen. Er wollte in einer Koranschuleder Missionsbewegung Jamaat-e-Tabligh unterkommen. Als das nichtgelang, reiste er ziellos durch Pakistan. Bei eine Routinekontrollewurde er festgenommen und an US-Truppen verkauft. Sie brachten ihnin ihr Lager im afghanischen Kandahar. Dort wurde er gefoltert, weiler gestehen sollte, zu Al-Kaida zu gehören. Auch deutsche Soldatender Eliteeinheit KSK sollen ihn dort misshandelt haben, was aberniemals aufgeklärt werden konnte.
Im Januar 2002 kam er als einer der ersten Gefangenen nachGuantanamo. Die US-Regierung nutzte den Armee-Stützpunkt, um denInsassen hier, außerhalb der Grenzen der USA, alle Schutzrechte zunehmen. Willkür, Schläge und Isolationshaft waren an derTagesordnung. Ab November 2002 wurde die Folter systematisiert:Dauerbeschallung, Unterkühlen, Essensentzug, stundenlangesFestketten in Stresspositionen.
Luftzufuhr in Isolationszelle abgeschnitten
Nachdem es Kurnaz einmal gelang, einen Wärter, der Gefangenegenussvoll quälte, zu attackieren, lernte er die Isolationszellen inBlock India kennen. «Ich merkte sofort, dass etwas nicht stimmte.Hier drin war keine Luft! Die Klimaanlage über der Tür brummtenicht. Und Luft konnte in diesen Raum nur durch die Klimaanlagekommen. Das war es: Sie hatten die Luftzufuhr einfach abgestellt.»Wie Kurnaz in seinem Buch weiter schilderte, erhielt er nur durchden schmalen Spalt am Fuß der Tür Atemluft. Mehrfach verlor er dasBewusstsein. Die Wachen kontrollierten lediglich, ob er noch lebte.33 Tage wurde er in dieser Erstickungszelle gequält.
Zahlreiche Menschen haben für Kurnaz' Freilassung gekämpft -sowohl in Deutschland, als auch in den Vereinigten Staaten. Dochwenigen Menschen gelang es jahrelang, sie zu verhindern. Einer warder damalige Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Am29. Oktober 2002 befand die sogenannte Präsidentenrunde unter seinemVorsitz auf Basis zweifelhafter Indizien, dass Kurnaz einpotenzieller Gefährder sei. Er dürfe keinesfalls nach Deutschlandzurückkehren.
Das Verhörerteam des Bundesnachrichtendienstes, das Kurnaz kurzzuvor auf Kuba vernommen hatte, hatte dagegen gemeldet: «USA sehendie Unschuld von Murat Kurnaz als erwiesen an». Ihr Urteil: Kurnazstelle mit an «Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit» keineGefahr «hinsichtlich deutscher, amerikanischer oder israelischerSicherheitsinteressen» dar.
Jahre später bemühten sich die Beteiligten imUntersuchungsausschuss des Bundestages die Entscheidung gegen Kurnazzu rechtfertigen. Der ehemalige BND-Präsident August Hanning nannteplötzlich den entlastenden Bericht seines Verhörerteams, der nichtso recht zur Entscheidung der Regierung gegen Kurnaz' Rückkehrpassen wollte, «grob fehlerhaft», «von vornherein mangelhaft» und«unprofessionell». Davon wurde nahezu der gesamteBundesnachrichtendienst überrascht, hatte es doch vorher keinerleiKritik am Bericht gegeben. Insbesondere der für den Berichtverantwortlich zeichnende Delegationsleiter wunderte sich. Dennunmittelbar nach seiner Verhör-Reise nach Kuba wurde er als«besonders erfahrener Sachgebietsleiter» mit «umfassendenFachkenntnissen» gelobt.
Kurnaz' Rückkehr nach Deutschland verhindert
Pikant an der SPD-Abwehrstrategie war insbesondere, dasseinerseits behauptet wurde, Kurnaz' Freilassung hätte im Herbst 2002gar nicht angestanden, während gleichzeitig unter Hochdruck darangearbeitet wurde, seine Rückkehr zu verhindern. Bereits einen Tagnach der Entscheidung der Gruppe um Steinmeier analysierte eineFachabteilung im Bundesinnenministerium die Rechtslage und fand denHebel im Ausländerrecht. Angeblich war die Aufenthaltsgenehmigungdes in Bremen geborenen und aufgewachsenen türkischen StaatsbürgersKurnaz erloschen.
Der Verfassungsschützer K. erhielt den Auftrag, den Amerikanernklar zu machen, dass Kurnaz in Deutschland nicht erwünscht ist.Seine Aufenthaltsgenehmigung im Pass, den die US-Truppen hatten,sollte ungültig gestempelt werden. Dabei hatte K. im September 2002zusammen mit den zwei BND-Profis Kurnaz in Guantanamo befragt undfestgestellt, dass Kurnaz kein Terrorist war, und dass nur nochDetailfragen zu klären seien. Vor dem Ausschuss sagte er aus: «Wirwaren uns einig - das ist, denke ich, auch unstreitig - , dassKurnaz nicht in terroristische Strukturen verwickelt war, dass erkein Taliban war, dass er keinem aktiven Rekrutierungsnetzwerkangehörte.» Trotzdem bemühte sich K. vor dem Ausschuss, dieangeblichen Verdachtsmomente hochzuspielen. Der Vernehmungsberichtist hinsichtlich der eigenartigen Rolle, die K. spielte, sehraussagekräftig. K. schrieb, dass Kurnaz bald freikomme, weswegen vondeutscher Seite zu klären sei, ob man das wünscht und ob man nicht«dokumentieren möchte, dass alles versucht wurde, seine Rückkehr zuverhindern». Die Rückkehr von Murat Kurnaz aus dem Folterlager wurdenoch vier weitere Jahre verhindert.