Edathy-Affäre um Nacktbilder Der Fall Edathy zeigt: Für die Strafverfolgung bei Nacktfotos von Kindern fehlen derzeit die rechtlichen Instrumente. Dabei empfinden die Opfer die Nacktfotos als Missbrauch auch wenn sie nicht verboten sind. Ein Betroffener erzählt.
Berlin - Werner P. weiß, wie es sich anfühlt, wenn Kinder für vermeintlich harmlose Nacktaufnahmen posieren müssen. Sein Schulleiter am Bonner Aloisiuskolleg machte Hunderte von Fotos von ihm und seinen Mitschülern. Die Jungen mussten sich für die Kamera ausziehen, nackt durch den Park rennen oder im FKK-Urlaub vom Pater fotografieren lassen. „Es kam mir nicht richtig vor, und ich wusste, dass das nicht o. k. war. Aber er war unser großer Schulleiter“, sagt Werner P., der in den 1980er Jahren auf das vom Jesuitenorden geführte Internat ging.
Ihm fehlt deshalb jedes Verständnis dafür, wenn es in der aktuellen Debatte um den Fall Edathy heißt, die Fotos, die der SPD-Politiker gekauft haben soll, seien alle legal gewesen, weil sie lediglich nackte Jungen abbilden und nicht pornografisch seien. „Wozu will man überhaupt solche Fotos haben? Sie sind nicht harmlos, und es gibt auch keinen guten Grund, warum ein Erwachsener Bilder von fremden nackten Kindern besitzen sollte. Es ist Unrecht, auch wenn es nicht verboten ist.“ Daran, was es für die Jungen oder Mädchen bedeute, sich für die Kamera ausziehen zu müssen, damit Erwachsene sich später an diesen Fotos befriedigen können, denke offenbar niemand. „Auch diese Kinder werden durch die Fotos missbraucht.“
Es ist Unrecht, auch wenn es nicht verboten ist
Ob es bei den Gesetzen gegen Kinderpornografie tatsächlich Lücken gibt, will nun die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig überprüfen lassen. Dies betreffe Regelungen im Jugendschutzrecht, für das die SPD-Politikerin zuständig sei, sagte eine Ministeriumssprecherin. Auch der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach forderte eine Überprüfung der Gesetzeslage. „Es muss auf jeden Fall sichergestellt sein, dass nicht die Grenze von Natürlichkeit zu Missbrauch überschritten wird, die Kinder entwürdigt“, sagte er der „Rheinischen Post“.
Ähnlich äußerten sich am Montag Vertreter von Missbrauchsopfern. In einer Erklärung, die unter anderem Matthias Katsch, Sprecher der Initiative Eckiger Tisch, unterzeichnet hat, appellieren sie, nicht die Opfer zu vergessen. Auch das nichtindizierte Bildmaterial werde mit hoher krimineller Energie produziert, weil Erwachsene nackte Kinder in vermeintlich natürlichen Situationen betrachten wollten. „Auch dabei werden Kinder in ihrer Menschenwürde massiv verletzt“, heißt es in der Erklärung, in der eine Debatte darüber gefordert wird, wie für die Opfer solcher Darstellungen „das Recht am eigenen Bild gestärkt und strafrechtlich bewehrt werden kann“.
Nur Sorgen um die Schule, nicht um die Opfer
Für Werner P. stehen die erlaubten Nacktbilder von Knaben in einer Linie mit härteren Missbrauchsabbildungen von Kindern. „Es ist nicht gut, dass sie trotzdem legal sind“, kritisiert er. Ohnmächtig musste er als erwachsener Mann erleben, wie der Pater und langjährige Schulleiter bis zu seinem Tode straflos davonkam. Als die Nacktbilder bekanntwurden, habe man sich nur gesorgt, dass sie dem Ruf der Schule schaden könnten. An die Schüler, die sich nackt vor der Kamera ausziehen mussten, habe niemand gedacht, kritisierte schon damals die Kölner Rechtsprofessorin Julia Zinsmeister, Leiterin des Untersuchungsteams.
Neben Schilderungen von Missbrauch und Misshandlung beschrieben die Autoren in ihrem Bericht auch, wie Pater Georg Tausende Fotos von nackten oder halbnackten Jungen machte, die er zum Teil sogar veröffentlichte. Weil diese Fotos nicht pornografisch gewesen seien, wurden sie nach Bekanntwerden vernichtet. Eine Strafanzeige gegen die Schul- und Ordensleitung blieb folgenlos, der oberste deutsche Jesuit entschuldigte den Pater als „Hobby- und Kunstfotografen“. Nicht mal eine Hausdurchsuchung habe es gegeben, beklagt Werner P., obwohl 2010 überraschend noch eine Kiste mit 250 Nacktfotos von jungen Schülern aufgetaucht war.