Debatte um Familiennachzug in der CDU Debatte um Familiennachzug in der CDU: Ein Alleingang der Angela Merkel schadet

Berlin - Der, der die Aufregung verursacht hat, verlässt die Sitzung als einer der Ersten. Gerade mal eine Stunde hat Thomas de Maizière es am Montagmittag in der CDU-Zentrale ausgehalten, seine Kollegen bleiben doppelt so lange. Es hat Ärger gegeben, schon das ganze Wochenende und gerade noch einmal hier in der Runde seiner Parteikollegen. Ärger über die Äußerung des Innenministers, dass Flüchtlinge aus Syrien ihre Familien nicht nachholen sollten. De Maizière eilt mit großen, schnellen Schritten nach draußen, geschäftig kann man das nennen oder: auf der Flucht. „Jetzt gucken wir nach vorne“, sagt de Maizière und lächelt freundlich.
Aber das ist ja genau die Frage, was da vorne aufscheint für ihn. Der dunkle Dienstwagen ist es nach ein paar schnellen Schritten ganz konkret. Der bringt ihn an diesem Vormittag wohl nur neben das Kanzleramt, ins Innenministerium. Aber es gibt auch zwei andere Perspektiven für den Minister, die das Wochenende wieder in den Vordergrund gerückt hat: das Kanzleramt oder sein Wohnhaus in Sachsen, Aufstieg oder Rückzug also.
Eine „missliche Lage“
Wenn man so hört, was in der CDU geredet wird, liegt die Idee des Rückzugs nahe. Aber es geht um noch viel mehr. Darum, was vor Merkel liegt: weiter das Kanzleramt oder demnächst mehr Freizeit in ihrem Ferienhaus in der Uckermark. Darum, ob die CDU sich mehr um Flüchtlingspolitik kümmert oder mehr um Parteitaktik und Machtspielchen. Oder ob da überhaupt einer weiß, was der andere gerade macht. Angela Merkel selbst machte ihren Ärger ungewöhnlich deutlich.
Der Vorgang habe sie in eine „missliche Lage“ gebracht, sagt sie im Parteipräsidium. In der Vorstandssitzung legt Unions-Fraktionschef Volker Kauder nach. So wie es jetzt gelaufen sei, gehe es natürlich überhaupt nicht, wird er zitiert.
CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn sagt: „Die letzten Tage waren insgesamt kommunikativ sicher keine Meisterleistung.“ Andere werden deutlicher: „Wenn das eine Strategie gewesen sein soll, war sie beschissen verkauft“, regt sich ein führendes CDU-Mitglied auf. „Das Elend ist, dass unsere inhaltlichen Beschlüsse jetzt nicht mehr wahrgenommen werden“, beklagt ein anderer.
Tatsächlich: Am Donnerstag hatte sich Merkel mit SPD-Chef Sigmar Gabriel und CSU-Chef Horst Seehofer auf das weitere Vorgehen in der Flüchtlingspolitik geeinigt. Auf spezielle Aufnahmelager für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten etwa. Ein wochenlanger Streit schien befriedet. Gerade mal 24 Stunden später war die Einigung dahin.
Ein Interview, das alles durcheinander bringt
Da hatte der Innenminister auf einer Albanien-Reise dieses Radio-Interview gegeben und erklärt, Syrern werde künftig in Deutschland nur noch der subsidiäre Schutz gewährleistet. Die Koalition hatte den sperrigen Begriff zwar in ihre Einigung geschrieben. Der Union war der Punkt wichtig, die SPD stimmte zu, weil sie angeblich dachte, es treffe nur wenige und auf jeden Fall nicht die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien. Nun waren die Syrer allerdings plötzlich die Hauptbetroffenen.
Die SPD schäumte. Die Kanzlerin ging über ihren Sprecher auf Distanz. Ihr Flüchtlingskoordinator, Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), behauptete, er habe von nichts gewusst. Über die Einigung vom Donnerstag redete keiner mehr. De Maizière, der sogar das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schon angewiesen hatte, Syrer entsprechend einzustufen, musste zurückrudern. Er sah aus wie der Verlierer, einmal mehr. Aber ist das wirklich so?
Ausgerechnet der Mann, der lange einer der engsten Mitarbeiter der Kanzlerin gewesen ist, der als loyaler, treuer Diener galt, der mit seiner bedächtigen Art schon als möglicher Merkel-Nachfolger gehandelt wurde. Niemand also, der Ärger macht oder gar eine Revolution anzettelt.
Merkel hat sich von de Maizière abgewendet
Das allerdings war schon eine Weile nicht mehr so: Auch der scheinbar perfekte de Maizière hat Fehler gemacht, als Verteidigungsminister stolperte er fast über das schlecht geplante Drohnen-Rüstungsprojekt. Merkel hat sich spürbar von de Maizière abgewendet: Er musste nach der letzten Wahl das Wehrressort verlassen, in dem er gerne geblieben wäre, weil die Kanzlerin Ursula von der Leyen den Vorzug gab. Er hat das als ungerecht empfunden.
Und durch den öffentlichen Zuspruch, den er immer wieder erfuhr, hat der Wahl-Sachse an Eigenständigkeit und Eitelkeit, und dann durch die Rückstufung an innerer Unabhängigkeit gewonnen. Es wird ihn nicht gefreut haben, dass die Kanzlerin ihm auch noch die Koordination der Flüchtlingspolitik entzog.
De Maizière als Kopf einer Revolte gegen Merkel, die Gelegenheit ausnutzend für eine Revanche? Verbunden mit Wolfgang Schäuble, der auch einmal Innenminister war, mit die höchsten Zustimmungswerte hat in der Partei und vielleicht doch noch mal auf einen späten Aufstieg hofft? Es wäre eine riskante Aktion. Merkel hat zwar an Zustimmung verloren, ist aber dennoch weit vorne in den Umfragen.
Familiennachzug „diskutieren und wohl auch einschränken“
In der CDU heißt es, es habe an der internen Kommunikation gelegen, daran also, dass de Maizière nicht wusste, was vereinbart war. Oder was er wann sagen durfte – denn dass de Maizières Vorschlag in der CDU kursierte, wird nicht bestritten. Es wäre auch ein Tribut an den Teil der CDU, der Merkels Flüchtlingspolitik für zu offen hält.
Anträge für den Parteitag im Dezember werden vorbereitet. Hören kann man diese Leute jetzt schon auf den Regionalkonferenzen der CDU, zuletzt vor einer Woche im hessischen Darmstadt, wo eine Mannheimer Vize-Kreisvorsitzende schimpfte, es habe „noch nie so eine Wut in der Bevölkerung“ gegeben. Es gibt nicht nur solche Wortmeldungen, aber es gibt sie auch.
Merkel ließ de Maizière über Regierungssprecher Steffen Seibert das Vertrauen aussprechen. Auch das Parteipräsidium stellte sich hinter den Minister. Generalsekretär Peter Tauber sagte nach der Sitzung, man wolle den Familiennachzug „diskutieren und wohl auch einschränken“. Merkel und Altmaier müssten dann aber der SPD erklären, warum sie nicht mit offenen Karten gespielt haben.
Thomas de Maizière übrigens hat in der Vorstandssitzung erklärt, er habe öffentlich nur wiederholt, was er schon öfters intern angekündigt habe. Ruhig und kühl sei der Minister aufgetreten. Das klang so gar nicht nach einem Verlierer und auch nicht so, als wolle da einer schon gehen.